Kontrolle

Einsendung zum Schreibwettbewerb "KörperGEFÜHLE" von

Langsam zog ich an der Zigarette in meinem Mundwinkel. Ich inhalierte so viel ich konnte, um dann in einem Stoß den ganzen Rauch aus der Nase zu pusten. Ich musste mich beruhigen. Die Kontrolle über mich bekommen. Wenn man es nicht schaffte, die Kontrolle zu behalten, keine Emotionen an sich heran zu lassen, konnte man es gleich bleiben lassen.
Viele halten das nicht aus. Sie versuchen, ihre Armut, das Gefühl, wie ein rohes Stück Fleisch behandelt zu werden, die Angst, jeden Moment von der Polizei aufgegriffen zu werden, in Alkohol und anderen Drogen zu ertränken. Immerhin ist der Schwarzmarkt auch direkt um die Ecke, und dort gibt es alles, was das Junkieherz begehrt.
Von Marihuana über LSD und Heroin bis zu Crystal Meth. Wenn die Kohle stimmt, versteht sich.
Aber ich halt mich aus so was raus. Kommt nicht gut an bei der Kundschaft. Die wollen Frischfleisch, und niemanden, der eh nur noch ein wandelndes Skelett ist. Und das ist halt die Folge, wenn man sein Geld für Heroin statt für Brot ausgibt. Überhaupt kriegt man von dem ganzen Spritzen blaue Flecken, und da kommen die Freier normalerweise nicht gerade angelaufen. Und wenn man Pupillen von der Größe einer 1-Euro-Münze hat, ebenso wenig.
Dabei läuft das Geschäft gerade zimlich gut. Es ist Sommer, Urlaubszeit. Und während die Einen in Frankreich schwimmen, sind die Anderen in Polen ficken. So ist das nun mal.
Mit der Zeit war mir kalt geworden. Es war schon Nacht, und mit meinem Minirock und den nackten Beinen fror ich. Aber ich gab mir alle Mühe, es nicht zu zeigen.
"Selbstkontrolle", ermahnte ich mich in Gedanken. Die ersten anderen Stricher gingen schon, an irgendeinen wärmeren Ort. Aber ich blieb. Ich brauchte heute noch einen Freier, sonst würde ich morgen aus der Wohnung geschmissen werden. Und auf der Straße schlafen, war so ziemlich das Letzte, was ich im Moment wollte.
Endlich hielt ein großer, schwarzer Wagen vor mir. Als die getönte Fensterscheibe herunterfuhr, konnte ich einen älteren Mann mit Halbglatze ausmachen.
"How much?", fragte er mit starkem deutschen Akzent.
"Vierzig", antwortete ich. Wieder einmal dankte ich Gott, wenn es ihn denn irgendwo da draußen gab, dass mein Vater mal einige Zeit in Deutschland gelebt hatte. Bis man ihm das Asylrecht verweigert und ihn zurück nach Polen gebracht hat.
Er öffnette die Tür und ich stieg ein. Wir fuhren ein kurzes Stück, bis zu einer stillen Seitenstraße. Währenddessen schaute ich mich um. Das Auto sah ziemlich teuer aus, und von seinem Rückspiegel baumelte das Bild einer Frau mitte zwanzig. Wahrscheinlich seine Tochter.
Plötzlich spürte ich seine Hand unter meinem T-Shirt, wie sie zu meinem BH hoch wanderte. Instinktiv wollte ich sie wegschlagen, doch ich konnte gerade noch an mir halten. Ich zuckte nur kurz, doch er krallte sich sofort an mir fest. Ich spürte, wie ihm der Schweiß aus allen Poren floss und meine Haut unter seiner verkrapften Hand nass wurde, sah die Erregung, die Gier in seinen Augen. Ich war bloß ein Stück Fleisch. Es war erbärmlich. Er widerte mich an, ich verachtete ihn. Und doch war ich bei ihm, würde Liebe machen, ohne verliebt zu sein.
"Selbstkontrolle", wiederholte ich immer wieder in meinen Gedanken, wie eine Zauberformel. Und ich schlug seine Hand nicht weg, zeigte mit keiner Regung, wie sehr er mich anekelte. Ich sagte nur: "Erst das Geld."
Denn das ist das Einzige, was zählt.

Autorin / Autor: von Sarah, 13 Jahre