Meine Mama hat immer gesagt: „Sei ein guter Mensch, hilf anderen! Heute wird es sich auszahlen.“, denke ich mir und schließe die Augen, damit der Doc mit der Operation beginnen kann.
Zwei Stunden später erwache ich auf der gleichen harten Metallliege, auf der ich auch eingeschlafen bin. Ein bisschen benebelt, aber alles in allem geht es mir ganz gut.
Die Türe wird geöffnet. Eine weitere Liege wird herein geschoben. Das dicke Mädchen darauf schläft noch, aber sie wird bald aufwachen. Das ist doch nicht etwa die blonde Schönheit von vorhin? Das kann unmöglich sein!
Ich weiß noch, wie ängstlich das Mädchen neben mir ausgesehen hat. Sie hat offensichtlich nicht versucht ein guter Mensch zu sein. Aber wer ahnt schon, dass die Wissenschaftler einen Chip entwickeln, der die innere Schönheit nach außen trägt? Und wer ahnt schon, dass dieser auch noch gesetzlich zur Pflicht wird, für jeden, der 21 wird? Nein, das konnte niemand wissen!
Ich hatte keine Angst vor der Operation, ich war nur ein wenig nervös. Ich weiß, dass ich alles Mögliche getan habe um ein guter Mensch zu sein. Das hat nicht immer geklappt und manchmal habe auch ich die Fassung verloren, aber das ist in Ordnung. Es wird mir ein paar Makel einbringen, aber wer ist schon perfekt?
Meine Mutter hat schon immer viel Wert auf die innere Schönheit gelegt. Heute danke ich es ihr.
Wie ich jetzt wohl aussehe? Jeder wird nun wissen, was für ein Mensch ich bin.
Ich hebe den Kopf, soweit das möglich ist, und schaue an mir herunter. Ich scheine ein wenig abgenommen zu haben und meine Proportionen sind ebenmäßiger, aber so richtig erkenne ich noch nichts.
Das Mädchen neben mir schlägt die Augen auf. Ich lasse meinen Kopf wieder zurück auf die Liege fallen. Durch den leisen Aufprall erschrocken, dreht sie sich zu mir. Sie hat einige Pickel im Gesicht und bekommt große Augen, als sie mich sieht. Sie wirkt panisch, aber mir ist das egal, ich bin erschöpft und mache die Augen zu.
Das pickelige Mädchen hört einen dumpfen Knall. Ruckartig dreht sie sich danach um und schaut in das hübsche Gesicht eines Mädchens mit langen, hellbraunen Haaren. Sie sehen sehr gesund aus, stellt sie neidisch fest. Da fällt ihr alles wieder ein. Sie ist gerade erst wieder aufgewacht und hat heute den Chip eingesetzt bekommen. Lange hat sie sich versucht davor zu drücken; sie mochte ihren Körper und sie hat hart für ihn gearbeitet, aber das ist nun alles nichts mehr wert. Hektisch sucht sie nach ihrem kleinen Taschenspiegel, den sie davor in ihre Hose getan hat. Durch ihre zappeligen, nervösen Finger braucht sie ein bisschen, bis sie ihn herausbekommt. Aber sie schafft es nicht ruhiger zu werden. Sie atmet noch einmal tief durch und betrachtet ihr pickeliges Gesicht im Spiegel. All die vielen Cremes, die stundenlangen Beautymasken und Besuche in der Wellnessklinik, um ihre Haut porentief rein zu halten, waren umsonst, völlig für die Katz‘. Sie hebt ihren Kopf ein Stück und schaut an sich herunter. Überall schwabbelt es! Zahllose Stunden, die sie schwitzend im Fitnessstudio verbracht hat; nichts mehr bedeutet etwas! Sie ist dick. Eigentlich hat sie schon mit ihrer Modellkarriere angefangen. Sie wurde in einer Agentur aufgenommen und hat ein paar kleinere Jobs bekommen. Demnächst wollte sie nach New York umziehen, um dort richtig durchzustarten, aber mit diesem Aussehen wird das nun wohl nichts mehr. Niemand mehr wird sie buchen, niemand mehr wird sie wollen. Sie wird für immer alleine bleiben und schlussendlich einsam sterben. So darf sie nie jemand zu Gesicht bekommen. Aber ihre Freunde werden sie sowieso nicht mehr erkennen. Das Mädchen macht sich in Gedanken selber weiter fertig bis sie hemmungslos anfängt zu schluchzen. Sie kann sich gar nicht mehr beruhigen, so sehr tut sie sich selber leid; und das alles nur wegen eines bescheuerten Chips!
Ich höre, wie das Mädchen neben mir anfängt zu weinen. Sie tut mir leid. Sie hat sich bestimmt gut um ihren Körper gekümmert und jetzt sieht sie so aus. Sie hat immer noch ein hübsches Gesicht, aber es ist eben nicht dasselbe. Wäre es bei mir anders, wäre ich auch traurig. Ich war zufrieden mit meinem Körper, aber der neue scheint sogar noch etwas verbessert worden zu sein. Es tut mir leid für die Leute, die das neue Gesetz beeinträchtigt. Mir gefällt das nicht. Der Chip für die innere Schönheit ist in Ordnung, aber es sollte auf freiwilliger Basis geschehen, jeder sollte sich frei entscheiden können, ob er ihn haben will oder nicht. Was haben wir denn noch, wenn wir nicht mal über unseren eigenen Körper frei verfügen dürfen.
Ein Pfleger kommt herein um mich abzuholen. Langsam richte ich mich auf. Als ich stehe, beuge ich mich noch kurz zu dem anderen Mädchen herunter und flüstere ihr ins Ohr: „Das Gesetz besagt nur, dass jeder zwischen seinem 21. Und 22. Geburtstag verpflichtet ist, sich den Chip einsetzen zu lassen. Es ist ein deutsches Gesetz.“ Ich stehe auf, blinzele ihr noch einmal zu und verlasse den Raum. Ihre Augen leuchten, sie scheint mich verstanden zu haben. Ich werde den Chip behalten, er soll mein Ansporn sein, weiterhin ein guter Mensch zu sein, aber wegen mir soll ihn niemand tragen müssen, der es nicht will.
Unter ihren Schluchzern bekommt das Mädchen mit, dass die Hübsche neben ihr abgeholt wird. Das ist aber auch alles was sie wahr nimmt, sie kümmert sich nicht sonderlich darum, sie ist ganz in ihr eigenes Elend versunken. Bis sie merkt, dass sich das Mädchen zu ihr beugt. „Das Gesetz besagt nur, dass jeder zwischen seinem 21. Und 22. Geburtstag verpflichtet ist, sich den Chip einsetzen zu lassen. Es ist ein deutsches Gesetz.“, flüstert sie dem Mädchen auf der Liege zu. Diese ist zuerst zu überrascht um zu verstehen, was das Mädchen meint. Aber dann bekommt sie große Augen. Sie muss nicht mit diesem Körper leben! Sie hatte ohnehin vor nach Amerika ziehen, dort kann sie sich den Chip wieder herausnehmen lassen und bekommt ihren eigenen Körper zurück. Schlagartig versiegen die Tränen, sie hat wieder Hoffnung geschöpft. Sie ist wieder für ihr eigenes Schicksal verantwortlich! Bis auch sie von einem Pfleger abgeholt und nach draußen geführt wird, schmiedet sie in Gedanken schon ihre Umzugspläne.