Hey Mia,
Weißt du noch den Tag, als wir uns kennen gelernt haben? Ich fühlte mich so schlecht, dass ich diesen Schokoriegel gegessen habe und ich konnte mit niemandem darüber reden.
Dann kamst du und hast dich bei mir vorgestellt.
Du machtest mir das Angebot, IMMER bei solchen Situationen für mich da zu sein. Ich nahm dein Angebot an und somit deine ewige Freundschaft.
Anfangs brauchte ich dich nicht immer, Ana war noch bei mir, die mir half, kontrollbewusst und damit dünn zu sein. Du warst immer am Wochenende bei mir, wenn Ana mich verlassen hatte. Ich habe dich gehasst, ich habe das viele Essen früher am meisten gehasst. Das Übergeben fand ich nicht so schlimm.
Irgendwann habe ich Ana verlassen und mich nur noch auf deine Freundschaft konzentriert. Jeden Tag, hast du mir das gegeben, was mir bei Ana immer fehlte und du hast mir direkt die Entlastung auf dem silbernen Tablett serviert.
Mia, du willst mich nicht mehr loslassen, bzw. ich will dich nicht mehr loslassen. Das Fressen tut so verdammt gut und gibt mir einen Moment lang das Gefühl aus meinem Körper auszubrechen. Ich gebe mich selbst eine kurze Zeit auf und bin in einem berauschenden Zustand des Genusses. Ich vergesse in dieser Zeit alles um mich herum, keinen Gedanken, ich fresse einfach. Ich fresse und fresse und vermeide jeden Blickkontakt mit mir selbst. Will mich nicht sehen oder mich fühlen. Ich will einfach den ganzen Frust der in mir verborgen ist, auffressen. Ich fühle mich frei, habe keinen Sinn für Grenzen und bin unberechenbar. Ich genieße es und wünsche mir, dass es kein Ende nimmt.
Nun kommt der schlimmste Teil. Der Genuss hat sein Ende genommen und nun kommt der Druck, das Gewissen, das mich aus meinem berauschenden Zustand aufweckt. Angst. Zwingend schleppe ich meinen derzeit abscheulichen Körper zu dem Ort, der in diesem Moment mein Himmel ist, der mich zur Erleichterung bringen wird. Ich schaue mich im Spiegel an, mein Kopf ist wieder eingeschaltet und es schießen jetzt tausend Gedanken und Gefühle hoch. Ich bin verzweifelt.
Jetzt kommt der Moment. Ich reize mich bis ans äußerste, der Druck und Aufstoß folgt. Erleichterung. Einen kurzen Moment lang. Und ich wiederhole es solange, bis ich wieder die Leere in mir spüre, diese schöne Leere. Ich schaue mich wieder im Spiegel an. Meine Augen feucht, meine Wagen gerötet und mein Gesicht angeschwollen. Ich gehe aus dem Himmel hinaus und fühle mich schlecht und erleichtert zu gleich. Kontrollverlust, das zerstört mich täglich immer mehr. Du zerstörst mich immer mehr, Mia. Seitdem du da bist, habe ich immer mehr Probleme und wenn ich Probleme habe, bist du wieder für mich da. Dabei bringst du die Probleme zustande! Es ist ein Widerspruch in sich.
Mia, ich bin ein Mensch der gerne liebt, aber die Liebe anderer Menschen nicht annehmen kann. Ein Mensch, der hilfsbereit ist, aber sich dabei total aus den Augen verliert. Ein Mensch, der großzügig ist, aber Großzügigkeit anderer wiederrum nicht akzeptieren kann.
Ich will aber das Leben in vollen Zügen genießen, ich will so viele Abenteuer erleben, wie ich nur kann. Ich will erfolgreich sein, mir schöne Dinge leisten können, auf eigenen Füßen stehen und einfach frei sein. Wie ein Vogel. Ich will die Welt bereisen und die Naturschönheiten betrachten. Ich will, ich will, ich will so vieles. Ob ich all das bekomme, liegt nur an mir. Ich muss diese Freundschaft zu dir beenden. Loslassen können. Du bist ein Teufel mit Engelsflügeln, mit dem ich so eine Art Pakt eingegangen bin. Ich habe eine intensive Hass-Liebe zu dir entwickelt.
Ich denke, ich habe Sehnsucht nach Liebe, die ich seitdem du da bist nicht annehmen kann, da du mir nur erlaubst, dich zu lieben. Wenn ich hungrig nach der Liebe bin, gibst du sie mir mit dem Essen.
Sobald ich verliebt war, habe ich dich nicht beachtet. Ignoriert habe ich dich!
Mia, du bist ein hinterfotziges Miststück. Seitdem du und Ana bei mir seid, habe ich Minderwertigkeitskomplexe, ein falsches Selbstbild und denke, ich sei nicht gut genug. Ich fühle mich einfach scheiße in meiner Haut.
Meine ganze Familie leidet unter meinem Verhalten und sie machen sich Sorgen. Ich fühle mich elend zu Hause und bin nur noch am schlafen. Hin und wieder habe ich darüber nachgedacht, dass alles besser werden würde, wenn ich tot wäre. Für mich. Meine Furcht vor dem Tod ist zwar zu groß, um mich umbringen zu wollen, aber dennoch denke ich, dass ich nicht lange leben werde.
Mit großer Dankbarkeit und ebenso großer Verabscheuung,
deine Melisa