“Ich finde dich schön” sind Worte, die bei ihr wie Regenwasser an eine Fensterscheibe klatschen und sich dann langsam einen Weg hinunterschlängeln.
Sie prallen ab und landen in ihrem Spam-Ordner.
“Dein Hintern hat eine tolle Form” ist eine hohle Phrase, die jeder Junge zu einem Mädchen sagt, das er ins Bett bekommen will.
“Ich liebe deine kleinen Pölsterchen” ist eine Aussage, die in etwa so wahr ist, wie dass die Welt eine Scheibe ist.
Mira nimmt ihren Körper hin wie ihre monatliche Blutung. Ein Übel, das jede junge Frau über sich ergehen lassen muss, denn das zeichnet sie unter anderem als Frau aus.
Mira fühlt sich nie zu Hause. Ihr Körper ist kein “Tempel” oder “Palast”, den sie mit Genuss, Energie, Lust und Lebensfreude bewohnt, wie es in einem der Ratgeber heißt, die ihre Mutter gelegentlich liest.
Mira fühlt sich fremd in ihrem Körper. Da sind zwei blasse Arme, die zwar auf ihr Kommando reagieren und die auch richtig zu funktionieren scheinen, denn sie fühlen, wenn sie fühlen sollen, dennoch fühlt es sich für Mira abgetrennt an.
Dasselbe gilt für ihre Beine, ihren Busen, ihren Bauch, ihren Po, für all die Äußerlichkeiten, die Mira bei den skinny Models bewundert und bei sich selbst vergeblich sucht.
Sie fühlt sich gefangen in ihrem Körper, der an den falschen Stellen schwabbelt weder schlank noch mit den entsprechenden Kurven so richtig weiblich ist.
Durch alle geltenden Kategorien und Maßstäbe fällt ihr Körper irgendwie hindurch.
Dennoch bekommt sie Komplimente und Worte, die ihr beweisen sollten, dass ihr Körper mehr ist als ein sich abnutzendes Kleid, das sie eben trägt, weil sie ja irgendetwas tragen muss.
“Mira, dein Body macht mich so geil”, hat Max – ein entfernter Kumpel ihrer Freundin – bei dröhnendem Beat von Elektroswing gesagt und sie landeten im Bett.
Mira hört diese Worte gerne. Sehr gerne sogar. Ihr Verstand würde vorzugsweise aus der Schädeldecke preschen und einen heißen Tango aufs Parkett zaubern; doch ihr Herz folgt pulsierend seinem stetigen Takt und bringt damit zum Ausdruck, dass es solche Äußerungen in etwa so glaubwürdig findet wie die Vorstellung von geraden Krümmungen oder harten Weichteilen.
“Deine Brüste sind perfekt geformt und schön weich”, meinte Martin – ein inzwischen guter Freund – dessen Bekanntschaft sie nach dem Schwimmtraining vertiefte.
Manchmal fragt sich Mira, was diese Sexualität überhaupt wert ist. Sie genießt ihren Sex. Sie ist freizügig, lebt ein wildes Leben mit wechselnden, jungen Männern und fühlt sich wohl dabei.
Nur ihr Körper, der scheint irgendwie nicht so richtig mit ihrem Kopf, ihrem Verstand, ihrem Herzen, ihren Gefühlen verbunden zu sein.
Kompliment um Kompliment registriert sie. Nüchtern und fast schon gelangweilt zuckt sie innerlich die Achseln, wird äußerlich feucht und bereit; empfängt, was man als junge Frau so empfängt, wenn sich ein Mann zwischen die einladend weit geöffneten Schenkel schiebt.
Ihr Körper ist wie ein Selbstbedienungsladen. Wer mit dem richtigen Geld bezahlt, kann sich nehmen, was er möchte.
Manchmal wünscht sich Mira, sie würde mehr spüren. Mehr von den Worten der Kerle, mehr von den Begehren ihres Körpers und mehr von den Zusammenhängen zwischen Psyche und Physis.
Miras Körper ist ein Kleid, das sie unentwegt trägt, sich nie ausgesucht hat, nicht umtauschen kann und dennoch ununterbrochen tragen muss. Es nutzt sich tagtäglich ab und das einzige, das sie tatsächlich spürt, ist, dass es zunehmend in die Brüche geht. Mira spürt, es wird der Tag kommen, da wird sie nackt sein. Mira spürt, eines Tages wird ihr Körper in eine neue – für sie schwarz erscheinende – Welt eintreten.
Mira spürt. Mira. Spürt. Spürt, Mira?