Seit Stunden warte ich auf einen äußeren Anstoß für meine „Spurensuche im Inneren“, denn noch nie habe ich bewusst darauf geachtet, wie einer dieser Momente, in denen ich ganz nah an mir selbst bin, entsteht. Ich habe mich vielmehr darauf beschränkt, sie zu genießen, wenn sie mir „zufielen“ und gleichzeitig versucht, sie zu nutzen, um das „Besondere“ festzuhalten. Unbedacht, wie mir jetzt scheint! Das Einzige, was ich bisher „rekonstruieren“ konnte, ist, dass diese Momente oft einen wohltuenden zwischenmenschlichen Auslöser hatten, aber das hilft mir heute Nacht allein nicht weiter.
Eine immer größer werdende Ratlosigkeit schleicht sich in meine Gedanken ein: Wo setze ich nun an?
Als meine Augen den einschläfernden Blick auf die weiße Zimmerdecke schließlich nicht mehr aushalten, stelle ich mich ans offene Fenster. So langsam wird mir bewusst, dass jeder äußere Anstoß nur in Kombination mit einer bestimmten inneren Haltung zum gewünschten Zustand führt - das passive Warten kann mich nicht weiterbringen!
Ist es nicht so, dass allen glücksbringenden oder bereichernden Erfahrungen ein mühsames und oft mutiges „Herbeiführen“ vorausgeht? Aber wie nutze ich diese Beobachtung?
Vielleicht nur, um endlich aktiv zu werden, schieße ich ein Foto des Nachthimmels, der mit provozierend strahlenden HimmelsKÖRPERN übersät ist. Ein paar Sekunden später lasse ich dieses auf meinem Computerbildschirm erscheinen. Jetzt handle ich intuitiv und nach einer kurzen Bildbearbeitungsphase zieht sich eine horizontale Sternenreihe über meinen Monitor - das eben noch so natürlich wirkende Bild hat sich in eine scheinbar zusammenhängende Leuchtkette auf schwarzem Hintergrund verwandelt. Doch das endgültige Ergebnis sieht folgendermaßen aus: Alle HimmelsKÖRPER vereinen sich in einem einzigen Punkt in der Bildschirmmitte.
Eine Konzentration zum Mittelpunkt? Ein Zusammenführen unterschiedlicher Teile zu einem Ganzen? Oder - ein Gedankenschritt weiter - zum wahren Kern?
Kann ich das mit mir selbst, mit dieser Einheit aus dem Geist als denkendes und dem KÖRPER als ausführendes Subjekt, auch? (1)
"Ich werde jetzt meine Augen schließen, meine Ohren verstopfen, alle meine Sinne abberufen (…); mit mir allein will ich reden, tiefer in mich hineinblicken und so versuchen, mir mein Selbst nach und nach bekannter und vertrauter zu machen." (2)
Dieses Vorhaben lasse ich wirken und was dadurch hervorgerufen wird, lässt sich nur in mehreren Versuchen beschreiben: Es gleicht keiner Meditation, keiner Kontemplation, eher einer Konzentration auf den inneren Einklang von Gedanken und Gefühlen, einem Versuch, mit dem Herzen zu sehen (3), einer Ausfaltung der Einfalt, einem authentischen Bewusstseinszustand, in dem ich mir am nächsten bin.
WIE zweifle ich an mir und bin mir dennoch sicher?
WIE handle ich (dauerhaft?) bewusst, ernsthaft und intensiv?
WIE finde ich Erfüllung?
WIE sprenge ich zwischenmenschliche „Grenzen“, ohne Regeln zu überschreiten?
WIE kann ich am besten eine Stütze für andere sein?
WIE komme ich an und hinterfrage mich dennoch?
WARUM?
Kein Spiegel meiner selbst, keine Verarbeitung bestimmter Situationen, sondern diese unvollkommenen und im wahrsten Sinne des Wortes fraglichen „Lebensaufgaben“ breiten sich aus.
Ich weiß intuitiv, dass ich mich ihnen konsequent annähern muss, wenn sie mir ein eigenes Korrektiv sein sollen, auch wenn es vermutlich nicht das Ziel sein kann, sie zu beantworten…
Gleichzeitig ist mir bewusst, dass ich erreicht habe, worauf ich am Anfang meiner Spurensuche hinauswollte und ein Gefühl der Zufriedenheit, vielleicht am ehesten zu beschreiben als eine Mischung aus Leere und Erfüllung, entfaltet sich.
Meine Aufgabe ist fast beendet, doch aus jeder sehr emotionalen Situation muss ich mich „herausdenken“ und „-fühlen“, ich muss diese innere Haltung aufgeben und den äußeren Anstoß beiseiteschieben, bevor ich nicht involvierten Menschen - stabil und selbstsicher, gewappnet und gerüstet, souverän und solidarisch - entgegentreten kann. (4) Ich setze mich dazu an meinen Computer und löse den Sternenmittelpunkt auf. Es entsteht wieder das anfängliche Bild des Nachthimmels.
Sobald ich diesen Abstand und diese Distanz gewonnen habe, macht sich mein Reflexionsvermögen an die Arbeit…
(1) Anmerkung: vgl. dazu: „Es gibt nichts rein Körperliches und nichts rein Geistiges in uns.“ (Michel de Montaigne, http://www.kulturbuchtipps.de/archives/67, 10.1.14, 16.15 Uhr)
(2) Quelle: René Descartes, „Über die Grundlagen der Philosophie; 3. Über Gott und dass er ist“, http://www.zeno.org/Philosophie/M/Descartes,+Ren%C3%A9/Untersuchungen+%C3%BCber+die+Grundlagen+der+Philosophie/3.+Ueber+Gott,+und+dass+er+ist, 8.1.14, 11.21 Uhr) Anmerkung: Hier wird lediglich Bezug zu Descartes Zustand in der „Urszene “ der neuzeitlichen Philosophie hergestellt, nicht jedoch zu seinen Inhalten!
(3)Anmerkung: vgl. dazu: „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ (Antoine de Saint-Exupéry, „Der kleine Prinz“)
(4)Anmerkung: vgl dazu: „Wie fern bin ich den Menschen, wenn ich bei ihnen weile und wie nahe, wenn ich fern von ihnen bin.“ (Khalil Gibran, http://www.aphorismen.de/suche?f_autor=1429_Khalil+Gibran, 14.1.13, 18 Uhr)