Ein Lächeln, ein verführerischen Augenaufschlag zu dem Jungen in dem Flur. Ich betrete den Klassenraum. Während ich mich zu meinem Platz begebe, spüre ich alle Blicke auf mir. „Hallo, Süße.“ Mein Freund gibt mir einen Kuss. Ich sehe wie ein paar Jungs meinen Freund neidisch angucken. „WOOOW!! Deine neuen Schuhe sind ja der Hammer!“ Lisa kommt auf mich zu, drückt mir einen Kuss auf die Wange und betrachtet meine neuen Treter. „Die müssen ja ein Vermögen gekostet haben.“ Auch Nina bewundert nun meine Schuhe. „Ach, nur 650 €“, antworte ich in ruhigem Tonfall. In diesem Moment betritt Sienna die Klasse. Ihre Haare hängen ihr in langen, dünnen, fettigen Strähnen von der zu hellen Kopfhaut. Ihre schwarzen Klamotten sehen so trostlos aus wie ihr Gesicht. Ihre Turnschuhe hat sie bestimmt aus der Steinzeit geklaut. „Na Sienna, ist mal wieder die Dusche ausgefallen? Es müffelt!“, begrüßt Lisa sie. Ich setzte mein strahlendes Lächeln auf, setzte mich auf ihre Tischkante und beuge mich zu ihr herunter. „Mach dir nichts draus, es kann nun mal nicht jeder so hübsch sein wie wir. Und wenn du nett fragst, darfst du auch mal bei uns unterm Gartenschlauch duschen.“ Sienna schaute mich mit ausdruckslosen Augen an. Ich würde gerne wissen, was sie jetzt fühlt.. Der Lehrer betritt den Raum und ich gehe zurück zu meinem Platz. „Heute beschäftigen wir uns mit den Zellen der...“ Ich schalte mein Gehirn aus und hole meine Nagelpfeile raus um meine manikürten Fingernägel zu perfektionieren. Nach der Stunde gehe ich mit Lisa und Nina zum Kiosk. Vor mir in der Schlange steht Sienna. Ich schiebe mich mit den Worten „Lady's first“ an ihr vorbei und kaufe mir eine Flasche Wasser. Sienna verdreht ihre Augen und kauft sich einen Schokoriegel. „Vielleicht solltest du dir lieber einen Apfel kaufen, sonst wirst du noch fetter.“, rät Lisa ihr. Ich lache und wir gehen zu den Jungs aus den höheren Klassenstufen. Die Pause über rede und flirte ich mit den Jungs. Mein Freund musste einem Lehrer helfen und störte somit nicht. Ich meine, ein bisschen Spaß darf man ja noch haben oder nicht? Nach der Schule fahre ich mit meinem Mercedes nach Hause. Ich steige aus und laufe hoch in mein Zimmer. Meine Schultasche landet in der Ecke und ich stelle mich vor den Spiegel. Das Make-up sitzt gut, trotzdem trage ich noch ein bisschen mehr auf. Meine Haare locken sich nach wie vor perfekt über meine Schultern. Ich bin perfekt. Der Duft von köstlichem Essen steigt in mein Zimmer und ich gehe in unseren Speisesaal. Es gibt Ente mit Kartoffeln und Rotkohl. Mein Lieblingsessen. Meine Mutter sitzt am Tisch und wartet schon auf mich. Dann betritt mein Vater den Saal und ich wundere mich, weil er um diese Zeit eigentlich noch arbeitet. „Wir müssen mit dir reden, Schatz.“, sagte er nachdem wir uns alle an den Tisch gesetzt haben. „Wir sind pleite, unsere Firma ist bankrott gegangen und nun müssen wir all unsere Sachen verkaufen. Wir werden uns wohl an einen anderen Lebensstandard gewöhnen müssen. Es tut mir leid.“ In meinem Kopf rattert es. Ich bin sprachlos. Nein. Das geht nicht. Ich schaue aus dem Fenster und sehe, wie mein Mercedes abgeschleppt wird. „Wir werden auch deine Klamotten und Schuhe verkaufen müssen.“, meldete sich jetzt meine Mutter zu Wort, die bisher noch nichts gesagt hatte. Meine perfekte Welt bricht zusammen. Ich renne in mein Zimmer und kann nicht glauben, dass das gerade passiert ist. Eine Träne rollt über die Wange und verschmiert meine perfekt geschminkten Augen. Die Zimmertür öffnet sich und meine Mutter stellt mir einen Karton hin. „Dort sind deine neuen Sachen drinnen. Was anderes haben wir nicht. Wir wollen gleich in unsere neue Wohnung.“ Wohnung? Wir ziehen in eine Wohnung? In eine dreckige, ekelige, kleine Wohnung? Nun fließen die Tränen wie ein Wasserfall über mein Gesicht. Was wird dann aus meinem perfekten Leben?
Am nächsten Tag komme ich mit einem weißen T-Shirt, einer billigen Jeans und Turnschuhen in die Schule. Die meisten ignorieren meine Anwesenheit oder werfen mir einen verwunderten Blick zu. Ich senke meinen Blick. Ich schäme mich. In der Klasse kommen Lisa und Nina zu mir und fragen, was bei mir passiert sei. Ich erzähle ihnen alles. Sie gucken mich an als ob das ein Scherz wäre und als sie begreifen, dass es das nicht ist, wenden sie sich ab und gehen zu ihren Plätzen. Mein Herz setzt aus. Ich gehe zu meinen Freundinnen und frage sie, warum sie einfach gegangen sind. Sie schauen mich beide mit einem abschätzendem Blick an. „Schau dich doch mal an. So kann man doch nicht herum laufen. Das ist voll peinlich.“ , antwortet Nina. „Echt, du verstehst doch, dass das unserem Image schadet oder?“ Ich fasse es nicht. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich gehe zu meinem Platz zurück und spüre nichts mehr. Ich denke, sie sind meine Freundinnen und jetzt wenden sie sich einfach von mir ab. Sienna guckt mich mit einem Lächeln an. „Willkommen in meiner Welt, Prinzessin!“ Das ist zu viel. Ich renne raus. Raus aus der Klasse. Raus aus der Schule. Mein Kopf ist leer. Mein perfektes Leben ist von heute auf morgen verschwunden. Ich kann es noch immer nicht fassen und wünsche mir mehr als alles andere, dass ich jetzt aus diesem fiesen Traum aufwache. Aber das tue ich nicht.
Am nächsten Tag in der Schule beachtet mich keiner. Ich habe das Gefühl, gar nicht da zu sein. Waren alle meine Freunde nur mit mir zusammen, weil ich beliebt und hübsch war? Habe ich mich in allen geirrt? Ich gehe auf den Schulhof. Dort steht mein Freund. Mein Herz fängt an zu rasen. Ja, er wird mich nicht im Stich lassen. Er liebt mich. Ich fühle mich für einen Moment frei und voller Hoffnung. Und dann küsst Nina ihn. Mein Herz setzt erneut aus. Nein, das darf sie mir nicht antun. Das kann nicht sein. Nein, nein, nein. Die Wut kocht hoch und ich stoße sie von meinem Freund weg. „Was fällt dir ein? Einfach mein Freund zu küssen?“ Nun meldet sich auch mein Freund zu Wort: „ Also eigentlich ähh bin ich jetzt mit Nina zusammen. Sry, aber deine Veränderung, das bist nicht mehr du..“ Und schon wieder verschlägt es mir die Sprache. „Das bin nicht mehr ich?“ , brause ich auf, „ Wer bin ich denn dann?“ Betretenes Schweigen. „Naja, du kannst dich ja mit Sienna anfreunden... Aber hier hast du nichts mehr verloren. Das ist die Welt der Reichen und Schönen. Du gehörst jetzt zu den anderen.“ Ich schaue Lisa empört an. „Du stellst mich auf eine Schiene mit der da?“ Ich zeige auf Sienna, die alleine auf dem Schulhof sitzt und Musik hört. „Ich denke, ihr habt sicher was gemeinsam... Zum Beispiel tragt ihr beide billige Klamotten. Und wohnt in einem Armenviertel.“ , mischte sich jetzt einer der Jungs aus den höheren Klassen ein. Und plötzlich verstand ich Sienna. Sie verstand nicht, warum man sie für das Leben fertig machte, für das sie nichts konnte. Warum sie weniger wert war, nur weil sie keine Markenklamotten trug. Sie versteht es nicht, und ich tue es auch nicht. Ich mochte Sienna nie. Aber war es richtig, sie zu mobben, nur weil sie anders war als wir? Ich drehe mich um und gehe in das Schulgebäude. Ich fühle mich schuldig. Schuldig, weil ich Sienna gemobbt habe, schuldig, weil ich meinen Eltern nie gedankt habe, schuldig, weil ich ein so arroganter Mensch bin. Ich stehe auf dem Schuldach und schaue herunter. Die Welt unter mir schrumpft auf ein Nichts zusammen. Das Ganze wird zu einer Playmobilschule. Es hat geklingelt. Das Gewimmel unter mir löst sich auf. Ich drehe mich um. Ich stehe nur wenige Zentimeter mit meinem Rücken von dem Abgrund entfernt. Plötzlich steht Sienna vor mir. Sie guckt mich mit einem ausdruckslosen Blick an. „Warum tust du das?“, fragt sie mich. „Ich war wohl ein bisschen zu perfekt, um zu merken, wie kaputt meine Welt ist“ , antworte ich ihr. „Ja, du warst ein bisschen zu perfekt.“ Ich lasse mich fallen. Einfach nur fallen. Sie hat mich nicht aufgehalten. Ich bin allen egal. Ich bin feige. Ich habe Angst. Ich bin nicht perfekt.