Liebes Tagebuch,
ich habe ein Problem: Das mit dem Internet und mir läuft irgendwie nicht mehr so wirklich... Ich mein, es ist so vielfältig, schlau, humorvoll, zuverlässig, sieht unglaublich toll aus und ist einfach immer für mich da. Aber es wird mir alles zu viel, ich hab überhaupt keine Freiräume mehr! Es will überall dabei sein: Wenn ich mich mit meinen Freundinnen treffe, bei Familienausflügen, wenn ich lernen muss, ja selbst in der Nacht reißt es mich zeitweise aus dem Schlaf. Mittlerweile ist es schon so weit, dass mir selbst meine Eltern unmissverständlich zu verstehen geben: So kann es einfach nicht weiter gehen! Aber ich weiß echt nicht, was ich machen soll. Ich will es doch nicht verletzen, und einfach ignorieren funktioniert auch nicht, das hab ich schon versucht. Dann protestiert es immer lauthals, bis ich letztendlich doch nicht länger widerstehen kann. Weißt du was, ich glaub ich sprech morgen einfach mal mit der Aische darüber. Die weiß bestimmt Rat. Muss jetzt leider aufhören, die abendliche Skyperunde steht an. Bis morgen :)
*15.05.*
Habe heute mit Aische gesprochen. Sie kann echt nicht verstehen, was ich habe. Ich solle mich glücklich schätzen und bedenken, dass bei weitem nicht jeder die Chance auf eine so tolle Beziehung hat. Das alles einfach aufzugeben wäre ein großer Fehler, den ich schnell bereuen werde. Vielleicht hat sie Recht. Vielleicht sollte ich die positiven Aspekte mehr betrachten und froh sein, das Internet zu haben. Andere würden es nie wieder her geben, während ich hier rum heule, weil ich zu viel davon hab. Und nein, ich glaub ein Leben ganz ohne das Internet könnte ich mir nach all den Jahren auch nicht mehr vorstellen. Aber ein paar mehr Freiräume würde ich mir schon wünschen.
*16.05.*
Es wird nicht besser, darum habe ich einen Entschluss gefasst: Die kommenden drei Tage werde ich alle positiven und negativen Erlebnisse und Eigenschaften des Internets, die mir im Laufe der Zeit auffallen, notieren und am vierten Tag das Fazit ziehen. Dann kann ich mir hoffentlich einen vernünftigen Überblick verschaffen und entscheiden, wie es weiter gehen soll.
*17.05.*
Heute ist der erste Tag meines Vorhabens. Und was soll ich sagen, das Internet macht es mir gleich am ersten Tag schon echt nicht leicht: Während der gesamten Referatvorbereitung war es für mich da, hat mir Tipps gegeben und Informationen geliefert, die sonst keiner von uns wusste. In diesem Moment war ich unglaublich froh, das Internet an meiner Seite zu haben. Doch schon beim gemeinsamen Abendbrot ging es wieder los: „Muss das Handy wieder dabei sein?“ Nein ich denke, das muss es eigentlich nicht. Morgen treffe ich mich mit meinen Freundinnen zum Essen, dann bleibt es einfach mal zu Hause, ob es will oder nicht!
*18.05.*
Tag zwei: Heute war ich mit meiner ganzen Clique essen. Das Handy hab ich - wie angekündigt - zu Hause gelassen. Alle haben sie mich gefragt, wo ich es gelassen hätte. Aische hatte schon Angst, dass ich wirklich Schluss gemacht habe, aber ich konnte sie beruhigen und habe ihnen von meinem Vorhaben berichtet. Ich glaube, die meisten fanden die Idee sogar garnicht so schlecht. Sie hatten ihr Handy aber alle dabei. Außer Cara, die hat als Einzige von uns noch keins. Sie meint, dafür ist im Moment einfach kein Platz in ihrem Leben. Sie war froh, dass ich dieses Mal auch alleine gekommen war, so konnten wir uns den ganzen Abend über unterhalten. Zum ersten Mal ist mir heute Abend aufgefallen, wie viel Zeit alle mit ihrem Handy am Tisch verbringen. Wenn man seins selber dabei hat, merkt man das garnicht so stark, aber jetzt kann ich Cara verstehen, die sich schon öfter beschwert hat. Als das Essen auf dem Tisch stand, hat Lill erstmal ein Foto für Insta gemacht, dann durfte gegessen werden. War echt lecker. Wieder zu Hause musste ich dann umso mehr Zeit für mein Handy aufbringen. Es gab einige Nachrichten nachzulesen, und beim Bild auf Insta musste ich doch auch noch schnell bestätigen, dass es echt super geschmeckt hat und ein toller Abend war. Und das war es wirklich, selten habe ich mich so ausgiebig mit Cara unterhalten. Tja ich glaube beim Kinoabend muss es nächste Woche auch zu Hause bleiben. Und vielleicht lässt der ein oder andere seins ja auch zu Hause. Alea hat heute schon darüber nachgedacht in Zukunft auch öfter ohne die Begleitung ihres Handys zu kommen. Ich fänds cool.
*19.05.*
Heute muss ich dir schon etwas eher schreiben, da gleich ne lange Skypenacht mit den „Programmier-Mädels“ ansteht. Darauf freu ich mich schon riesig, wird bestimmt wieder lustig :D. An dieser Stelle muss ich auch betonen, dass wir ja nur dank des Internets jeden Tag völlig unkompliziert miteinander schreiben und skypen können. Natürlich haben wir uns schon des öfteren richtig getroffen, und einige weitere Termine sind bereits in Aussicht, aber das ist aufgrund der großen Distanzen halt nicht immer so einfach. Fakt ist jedenfalls, dass ich sie alle unglaublich lieb gewonnen hab und ohne das Internet nie kennen gelernt hätte. Und auch für die Kommunikation mit meinen Mädels hier ist es echt hilfreich, vor allem wenn wir bald alle wo anders wohnen. Zum Abschluss meiner Untersuchung gibt es also nochmal einen fetten Pluspunkt für das Internet.
*20.05.*
Der Tag der Abrechnung ist gekommen. Insgesamt kann ich wirklich sagen, dass sich sowohl meine positiven als auch negativen Erfahrungen mit dem Internet bestätigt haben. Ja es hat mich zu sehr in meinen Freiräumen eingeschränkt, und das muss sich definitiv ändern! Aber es tut auch einfach gut zu wissen, dass es immer bei mir ist, Tipps gibt, belehrt, aufmuntert und unterhält. Und vor allem all die Kommunikationsmöglichkeiten bietet. Die vergangenen drei Tage haben mir deutlich gemacht, dass es manchmal einfach besser ist, das Handy zu Hause zu lassen und nicht überall mit hin zu schleppen. Aber ich habe auch gelernt, dankbar dafür zu sein, diese Beziehung führen zu können. Denn sie bietet zweifellos viele erfreuliche und einmalige Möglichkeiten, die ich nicht mehr missen möchte.