Never forget me

Beitrag zum Schreibwettbewerb "Total digital" von Julie, 17 Jahre

Hey ich bin Harry. Ich bin 17 Jahre alt. Ich lebe in einer kleinen britischen Stadt in der Nähe von London zusammen mit meiner älteren Schwester und meiner Mutter.
Ich möchte euch gerne meine Geschichte erzählen, also passt gut auf was ich euch erzähle. Ich fange nicht am Anfang an denn das würde viel zu lange dauern also beginne ich mittendrin. Dieser Sommer ist ungewöhnlich heiß und es gab bis jetzt auch nur wenig Niederschlag. Ich persönlich hätte nichts gegen ein wenig Regen einzuwenden. Trotz der vergangen Wochen und dem ständigen Sonnenschein bin ich noch nicht wirklich braun geworden.
Ich werfe einen leicht neidischen Blick zu meinem besten Freund Louis mit dem ich bis eben noch in der Schule war. Er ist etwas kleiner als ich, zwei Jahre älter und in meiner Klasse da er es nicht für nötig hält regelmäßig zur Schule zu kommen. Irgendwelche Games im Internet hält er für wichtiger aber ich habe das Gefühl dass das seid einiger Zeit nachgelassen hat zumindest seit ich ihn immer öfter mit nach draußen schleppe.
Er erzählt grade wieder von einem dieser seltsamen Spiele aber ich ignoriere das einfach. Ich will momentan nur nachhause und mich in meinem kühlen Zimmer verkriechen.
Mit einer Hand fahre ich mir durch meine wirren Locken und lächle Louis fröhlich an, dass es gespielt ist muss er nicht wissen.
„Hey Lou wollen wir nachher noch was unternehmen oder willst du wieder nur zocken?“
Er grinst mich entschuldigend an. Okay ich werde wohl heute Abend wieder alleine sein. Ich seufze und biege in die nächste Straße ein um zu meiner Wohnung zu gelangen.
„Bis morgen Harry!“, höre ich Louis noch hinter mir rufen. Erneut verlässt ein Seufzen meine Lippen. Ich dreh mich noch einmal um und lächle ihn fröhlich an.
Der restliche Weg zu meinem Zuhause ist schnell zurück gelegt und ich betrete diese nur um mich gleich darauf in mein Zimmer zu begeben. Meine Mutter ist noch nicht zuhause und meine Schwester ist sicherlich bei ihrem Freund.
Meine Tasche landet in einer Ecke und ich wende mich meinem Laptop zu der auf meinem Schreibtisch liegt.
Ich schlucke schwer ehe ich ihn aufklappe und anschalte. Ich weiß was mich erwartet. Ich scheine eine Art Masochismus entwickelt zu haben da ich immer noch Tag für Tag online gehe, Tag für Tag die Nachrichten lese die mir meine Klassenkameraden und andere Schüler meiner Schule schicken.
'Abartig', 'hässlich', 'Homo', 'Schwuchtel'. Ich kann es nicht mehr hören. Ich will es nicht mehr hören.
Jeden Tag bekomme ich solche Nachrichten. Immer die selben Beleidigungen, immer und immer wieder. 'Geh sterben', 'niemand will dich' immer das selbe. Ich öffne die Nachrichten und sehe wieder sämtliche Hassnachrichten. Die Worte fühlen sich an wie Messerstiche die nach und nach in meinen Körper eindringen und mich noch mehr zerstören.
Seit ich mich vor ungefähr 2 Jahren geoutet habe, habe ich kaum noch Ruhe vor solchen Nachrichten. Meine vermeintlichen Freunde haben sich von mir abgewandt, haben gesagt sie wollen nicht mit 'etwas' wie mir befreundet sein. Auch von ihnen bekomme ich täglich solche Hassnachrichten. Louis ist mein einziger Freund, er hat sich nie abschrecken lassen. Er ist immer für mich da. Nur dieses mal will ich ihn da nicht mit reinziehen.
Alle sagen immer man soll sich in einem solchen Fall an die Polizei wenden wegen Cybermobbing, aber wer würde mir schon helfen ich bin doch nichts weiter als eine widerliche Schwuchtel.
Ich ziehe meine Knie fest an meinen Oberkörper und ein Schluchzen verlässt meine Kehle. Warum kann ich nicht 'normal' sein? Die Tränen fließen heiß und feucht über meine Wangen, meine Schultern beben und ich wünschte die Leute würden mich einfach akzeptieren...so wie Louis.
Das Geräusch einer neuen Nachricht lässt mich hochschrecken. Vorsichtig hebe ich meinen Kopf und strecke meine zitternde Hand aus um die Nachricht zu öffnen. 'Wann bringst du dich endlich um? Du kannst doch nicht ehrlich erwarten das sich jemand an dir die Finger schmutzig macht!'
Mein Blick wandert zum Absender der Nachricht, es ist einer meiner ehemaligen Freunde. Ich überlege für einen kurzen Moment ob ich Lou anrufen sollte um ihm alles zu erzählen. Ich zögere. Ich kann das nicht. Ich beiße mir auf die Lippe. Louis wird schon genug beleidigt weil er mit mir befreundet ist. Er hat sich wegen mir auch schon das ein oder andere mal geprügelt.
Ich will das nicht mehr.
Ich springe auf und renne in die Küche und schnappe mir die Flasche Vodka die seit dem Geburtstag meiner Schwester in der Küche steht und begebe mich daraufhin ins Badezimmer um an den Medizinschrank zu gelangen.
Ich nehme alles an Tabletten was ich finden kann. Schmerztabletten, Schlaftabletten, Antidepressiva. Ich gehe zurück in mein Zimmer und lasse mich auf mein Bett fallen. Ich lege die Flasche Vodka neben mich aufs Bett und drücke ungefähr 20 Tabletten auf meine Handfläche. Ich seufze und erhebe mich noch einmal um mich an meinen Laptop zu setzen.
Ich sehe, dass Louis nicht online ist also ist er wahrscheinlich am zocken. Mit zitternden Händen tippe ich eine Nachricht für ihn und schicke sie an ihn. Er wird sie wahrscheinlich erst später lesen wenn er keine Lust mehr auf sein Spiel hat.
Mit klopfendem Herzen setze ich mich auf mein Bett und starre auf die Tabletten in meiner Hand.
Mit der freien Hand greife ich nach der Vodkaflasche und öffne sie.
Nach und nach wandern Tabletten und Vodka abwechselnd in meinem Magen. Die Flasche stelle ich zurück auf den Boden.
Erschöpft sacke ich nach hinten auf mein Bett. Meine Sicht verschwimmt. Mir ist schwindlig.
Erleichterung durchströmt mich. Endlich ist es vorbei.
Meine Augen fallen zu.
Ich habe das einzig richtige getan. Louis wird es auch besser gehen. Meine Mom und meine Schwester werden traurig sein aber auch sie werden mich bald vergessen.
Das Surren meines PCs, auf dem noch immer meine letzten Worte an Louis leuchten, ist das letzte was ich noch wahrnehme bevor alles um mich herum verblasst.
„Ich liebe dich über alles...Louis ich hoffe du wirst mich nie vergessen.“

Autorin / Autor: Julie, 17 Jahre