Beitrag zum Schreibwettbewerb "Total digital" von Verena/Rena Paperell (28 Jahre)
Montag, 7 Uhr Früh. Nachdem ich den Wecker ausgestellt habe, ist mein erster Blick auf
„Facebook“. Gestern habe ich ein Video gepostet, indem ich mit meiner Freundin Doris Musik
mache. Ich finde es genial, aber gestern Abend gab es nur fünf Personen, die auch meiner
Meinung waren und das Video geliked haben. Ich verstehe es nicht. Aus Frust habe ich
Schokolade, Chips, Soletti und Cola in mich hineingestopft. Und das um 11 am Abend. Als ich alson in der Früh aufwache ist es zwar schon ziemlich spät, aber ein Blick auf Facebook muss schon drin sein: ein neuer Like. Ich bin enttäuscht und überlege warum niemand das Video toll findet.
In der Straßenbahn schaue ich wieder auf Facebook. Gut, dass es heutzutage schon so einfach ist und ich auch von meinem Handy auf Facebook kann. Es ist kein neuer Like für mein Video dazu gekommen. Als ich in der Arbeit ankomme, schaue ich wieder auf Facebook. Aber manchmal habe ich das Gefühl je öfter ich schaue, desto weniger Likes gibt es.
Ich überlege, was ich als nächstes posten könnte. Mir fallen ein paar Dinge ein. Ich schreibe alles auf. Mein Facebook-Leben ist sehr strukturiert. Muss es auch sein, denn sonst würde ich komplett durcheinander kommen. Ich brauche ein Foto mit einer meiner großen Gitarren, das sich zum Posten und auch als neues Profilbild eignet. Das muss ich machen. Aber das geht auch nicht sofort. Na gut, ich denke für den Moment muss es genügen, dass ich unser Video like, teile und noch einmal teile. Ich hoffe sehr, dass das zu mehr Likes führt. Zusätzlich kann ich dann noch ein paar Leute einladen meine Seite zu liken. Dort wäre es auch schön noch mehr Likes zu bekommen.
Eine Stunde gearbeitet und Mittagessen besorgt. Sogar mit einer Kollegin habe ich mich
unterhalten. Jetzt werde ich wieder einen Blick auf Facebook werfen. Juhu, ein neuer Like für unser Video. Jetzt sind es insgesamt schon 7. Ich fühle mich besser. Auch auf meiner Seite gibt es Neuigkeiten. 4 neue Likes seit gestern. Ich fühle, wie ich immer glücklicher werde. Ich werde kurz etwas essen und dann gleich 4 neue Leute einladen meine Seite zu liken. Immerhin gefällt sie mittlerweile schon 159 Personen.
Es ist Abend und ich sehe nach, was es für Neuigkeiten gibt. Ehemals gute Freunde von mir haben etwas Lustiges zusammen erlebt. Ich sehe Fotos davon, viele Kommentare und noch mehr Likes. Ich bin eifersüchtig und frage mich, wie sie es schaffen, so viele Likes zu bekommen. Naja, jeder von ihnen hat über 2000 Freunde auf Facebook. 2000,
wie soll ich das nur jemals schaffen? Selbst 1000 werde ich noch lange nicht erreichen. Aber 800 habe ich mittlerweile schon geschafft. Wenn ich die Fotos von Stefan, Leon und Michi sehe werde ich ziemlich traurig. Sie fehlen mir. Es fehlt mir die Leichtigkeit unserer Freundschaft. Vor allem Leon fehlt mir sehr. Ich habe schon oft überlegt ihn und auch die anderen auf Facebook zu löschen, aber dann wäre auch noch das letzte bisschen, das ich von ihnen habe, weg. Nachdem ich die Neuigkeiten gelesen habe sehe ich, dass das Foto, das Doris und ich gestern gemacht haben 2 neue Likes bekommen hat. Immerhin.
Dann gibt es noch ein paar Leute denen unser Musikvideo gefällt. Insgesamt hat es trotzdem nur 11 Likes. Ich weiß nicht, was ich tun kann, damit es mehr werden. Vielleicht werde ich es morgen noch einmal auf meiner „Künstlerseite“ teilen.
Klaus Neuner hat meine Freundschaftsanfrage bestätigt. Das ist gut. Wieder ein Freund mehr. Wie viele Freunde ich genau habe, kann ich am Handy leider nicht nachschauen. Das kommt auf meine To-do-Liste für morgen. Jetzt ist es halb 10 am Abend. Ich habe noch viel Arbeit. Ich sollte eine 4-seitige Reflexion schreiben und einige Hefte verbessern. Ich bin nicht sehr motiviert und auch in keiner sonderlich guten Stimmung. Lieber würde ich etwas posten. Und ich habe auch gerade eine geniale Idee! Ein Foto mit der E-Gitarre, die ich von Thomas habe. Das ist perfekt. Dann kann ich schauen wie viele
Likes dieses Foto bekommt. Ich werde mir noch schnell etwas anderes anziehen und dann kanns schon losgehen.
Foto gemacht und gepostet. Ich glaube es sieht ganz gut aus. Ich habe auch noch ein paar
Personen dazu markiert: Doris, Klaus und Thomas. Sie haben alle mehr oder weniger mit der E-Gitarre zu tun, aber ich hoffe so auf mehr Interaktion und dadurch auch mehr Likes. Habe das Foto um 21:54 gepostet. In 10-Minuten-Abständen werde ich reinschauen und nachsehen, ob es jemandem gefällt. Dazwischen versuche ich mich zu überwinden und ein paar Texte zu verbessern. Die ersten 10 Minuten sind vorbei. Die Ausbeute ist okay: 3 Likes und 1 Kommentar. Leider von nicht allzu coolen Personen. Naja, schauen wir was die nächsten 10 Minuten bringen. Das größte Geschenk wäre für mich, wenn Leon eines meiner Bilder liked. Obwohl ich weiß, dass das nie wieder passieren wird, hoffe ich bei jedem neuen Post insgeheim auf einen Like von ihm. Es würde mir unglaublich viel bedeuten.
Die nächsten 10 Minuten waren schon weniger erfolgreich. Nur ein neuer Like. Dafür wurde unser Musikvideo auch noch einmal geliked, hat also jetzt insgesamt „schon“ 12 Likes. Finde ich dennoch etwas wenig, ich hätte mir mindestens 20 erwartet.
Nächsten 10 Minuten vorbei - Ausbeute auch nicht besser: 1 neuer Like.
Leon war in der Zwischenzeit online. Geliked hat er mein Foto nicht, dafür hat er 2 oder 3 neue Freunde. Vielleicht sollte ich etwas später auch noch einmal auf Freundschaftssuche gehen.
So, Freundschaftssuche beendet. Ich habe das Gefühl langsam gibt es einfach keine Personen
mehr, die ich kenne und noch nicht als Freunde auf Facebook habe. Ich überlege mir, wo ich neue Leute kennenlernen könnte. Die ganze Zeit überlege ich mir schon, ob ich meinen Schülern und Schülerinnen Freundschaftsanfragen schicken soll. Im Moment lasse ich es lieber noch.
Ich bin enttäuscht, dass mein Foto niemanden interessiert. So macht es auch keinen Spaß weiter zu arbeiten. Ich gehe schlafen und hoffe, dass der Tag morgen besser wird. Gute Nacht!