Spieglein, Spieglein an der Wand…
kalypso Meinung zur wahren Schönheit!
...wer ist die Schönste im ganzen Land? Und der Spiegel antwortet: "Frau Königin, Ihr seid die Schönste im Land!" So geht es Tag für Tag, doch eines Tages blickt die Königin wieder in den Spiegel und der Spiegel antwortet: "Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier, aber Schneewittchen ist tausendmal schöner als Ihr."
Ob die Königin den Spiegel danach an die Wand geworfen hat, ist nicht überliefert, aber ich könnte es ihr nicht verdenken. Denn mir geht es genau wie der Königin. Manchmal schaue ich in den Spiegel, lächle meinem Spiegelbild zu. Aber manchmal (vor allem morgens) würde ich den Spiegel am liebsten aus dem Fenster schmeißen, um das Abbild meiner selbst – bin das etwa Ich? – nicht mehr sehen zu müssen. Dann bekommt mein Spiegelblick höchstens noch einen verächtlichen Blick und ich bin von da an schlecht gelaunt.´Noch schlimmer ist es dann, wenn ich mit mir zufrieden bin, mich dann aber in einem Spiegel in direktem Vergleich zu anderen Mädchen sehe und der Spiegel mir zuzurufen scheint: "Ihr, Frau Königin seht ja ganz nett aus, aber das Mädchen neben Ihnen ist tausendmal schöner. Hahaha."
Der Spiegel verfolgen uns den ganzen Tag. Man steht auf und schlurft ins Bad. Hat man sich dann einmal von dem Schreck seines Anblicks erholt, greift man nach dem Motto. „Ich kenn dich nicht, aber ich wasch dich trotzdem“ zum Waschlappen. Dann geht’s weiter vor dem Schminkspiegel, der tagtäglich unsere Verwandlung vom Zombie zum Menschen miterlebt. Ist man fertig, spiegelt man sich beim Frühstück in der Kaffeekanne, die das Gesicht so unvorteilhaft verzieht, dass ein Boxer dagegen ein richtig nettes Gesicht hat. Nach einem kurzen Check des Aussehens im Flurspiegel, kann man sich noch in der Heckscheibe des Busses, den man gerade verpasst hat, bewundern und wenn man dann, von der ganzen Hetzerei verschwitzt, zuerst einmal die Toilette aufsucht, ist das Spiegelbild auch schon da, und grinst uns über dem Waschbecken unverschämt an. Wir spiegeln uns in Fensterscheiben, Gläsern, Kulis, in Displays und Lampenschirmen, in Pfützen und – wer hätte es gedacht – in Spiegeln, nirgends können wir unserem Spiegelbild entgehen. Und jedes Mal, wenn man...frau...an einem Spiegel vorbei geht, dann ist da dieser obligatorische Blick hinein, auf den der obligatorische Griff ins Haar folgt. Und dabei täte es uns gut, uns einmal nicht um unser Aussehen kümmern zu müssen. Es wäre schön, uns einmal nicht zu sehen und es würde unsere Laune beträchtlich heben, wenn wir uns einbilden könnten, dass wir trotz nasser Haare und verlaufener Wimpertusche noch glänzend aussehen – so wie die Stars im Kino auch noch nach dem Weltuntergang einen Schönheitswettbewerb gewinnen könnten.
Solange wir träumen können, fühlen wir uns gut. Und solange wir uns gut fühlen, strahlen wir eine gewisse Schönheit aus, eine Schönheit, die anziehender ist, als die der Erscheinung. Mein Rat also an alle, deren Haut nicht weiß wie Schnee ist, deren Lippen nicht rot wie Blut sind und deren Haar auch nicht die Farbe von Ebenholz hat: Schmeißt eure Spiegel weg und fangt an zu träumen - oder wenn ihr euch dazu nicht überwinden könnt, ignoriert jeden Spiegel, der mit einem „aber“ antwortet.
Autorin / Autor: kalypso - Stand: 27. September 2010