Episode 1 oder "In der Regel ist mein Vater überfordert"
Das erste Mal seine Tage zu bekommen ist so schon nicht leicht, aber mit drei Männern, anstatt einer Mutter, wird es zum Härtetest.
"Papa, ich hab' meine Tage"
"Wie meinst du das?"
Das war die erste Bewährungsprobe für meinen Vater. Ein grausames Wochenende mit drei überforderten Männern und mir mittendrin. Ich war 13 und seit circa 8 Monaten quasi mutterlos. Zu allem Übel hatte ich auch noch eine Musicalaufführung an besagtem Wochenende. Eine Stunde bevor sich der Vorhang heben sollte, saß ich auf der Toilette und war ziemlich genervt. Warum heute? Warum ausgerechnet jetzt?
Wahrscheinlich war ich für ihn direkt erwachsen
Die Zeit der Vorführung überbrückte ich mit viel Unterstützung meiner Schauspielkollegen, die das alles irgendwie sehr viel aufregender fanden als ich - und Toilettenpapier. Und dann abends saß ich auf dem Bett und überlegte, wie ich es meinem Vater wohl am besten beibringen würde, dass sein kleines Mädchen nun so langsam erwachsen wurde. Zumal meine Kindheit vermutlich vollkommen an ihm vorüber gegangen ist. Wahrscheinlich war ich für ihn direkt erwachsen. Keine Kindheit. Sofort 13.
Papa, ich hab meine Tage
Wir standen gerade in der Küche. Mein Vater stöberte im Kühlschrank. Dabei steckt er gerne den ganzen Kopf hinein, um sich den Inhalt im Detail an zu sehen, damit ihm auch nichts entgeht, was er essen könnte. Ich saß am Esstisch über der Tageszeitung, hob unvermittelt den Kopf und sagte: "Papa, ich hab meine Tage." Erschrocken reckte er sich hoch, vergaß aber leider, dass er seinen Schädel immer noch zur Hälfte im Kühlschrank hatte. Es kam ein ärgerliches "Au!" aus der Küche. Dann sah er zu mir rüber und fragte: "Wie meinst du das?". Tja, wie meinte ich das jetzt? "So wie ich's gesagt hab." Ratlos rieb er sich die gestoßene Stelle an seinem Hinterkopf: "Und... eh... brauchst du irgendwas?" "Jo, wär schon ganz hilfreich, ne.", sagte ich, den Blick wieder auf die Zeitung gerichtet.
Wie war das noch im Sexualkundeunterricht?
Ohne ein Wort zu sagen war er verschwunden. Ich hatte nicht einmal Zeit, richtig darüber nach zu denken, wo er hin gegangen sein könnte (wahrscheinlich mit dem nächsten Kloster telefonieren), da kam er auch schon wieder die Treppe hinunter gepoltert. Vollbepackt mit allerlei -sagen wir - fraulichen Untensilien huschte er den Flur entlang in Richtung Esszimmer. Die zahllosen kleinen Päckchen breitete er hektisch auf dem Esstisch aus. "Kannst du davon was gebrauchen?", er sah mich flehend an. Ich durchstöberte den Berg an Binden, Tampons und Slipeinlagen. Super Plus, Extra Large, Mit Fügeln. Reste, die meine Mutter bei ihrem Auszug im Badezimmer meiner Eltern zurückgelassen hatte. "Ne, nicht so wirklich", sagte ich traurig. Ich war nicht traurig wegen mir, sondern weil ich meinen Vater in so eine unangenehme Situation gebracht hatte. Da erinnerte ich mich an den Sexualkundeunterricht in der 6. Klasse. Damals hatten alle Mädchen eine Art Starterpacket von OB bekommen. Ich tätschelte meinem Vater liebevoll den Kopf. "Mach dir keine Sorgen, ich mach das schon", beruhigte ich ihn und ging mit seinem mitgebrachten Kram die Treppe hinauf ins Badezimmer. Mögliche Besucher sollten vielleicht nicht einen ganzen Drogeriemarkt auf unserem Esstisch vorfinden.
Können Tampons ablaufen?
Nach kurzer Suche fand ich besagtes Päckchen. Können Tampons ablaufen? Egal. Gott sei Dank: Mini mit Silk Touch. Ich erinnerte mich an die Werbung. Ich las gerade angestrengt den Beipackzettel, als mein damals 18 jähriger Bruder ohne Vorwarnung ins Bad kam. Er sah mich, die Bedienungsanleitung in der Hand, fragwürdige Dinge auf dem Boden verteilt. Offensichtlich zu viel für ihn, denn er hielt sich sofort abwehrend die Hände vors Gesicht, taumelte rückwärts in den Flur, stolperte dabei über den Wäschekorb und landete mit einem lauten Plumpser auf dem Boden. Ich verdrehte nur die Augen und konzentrierte mich wieder auf das Wesentliche.
Willst du nicht lieber die Mama anrufen?
Angelockt vom Lärm kam mein ältester Bruder aus seinem Zimmer. Er ist sozusagen der Pädagoge in der Familie, sehr einfühlsam und zu jener Zeit ernsthaft besorgt. Denn auch er konnte nicht verbergen, dass er leicht überfordert war. "Willst du nicht lieber die Mama anrufen?", er hockte sich neben mich.
"Willst du nicht lieber bei der Mama schlafen?!", kam es ängstlich aus dem Flur. "Nein, ich krieg das schon hin", meinte ich knapp und schob ihn sanft, aber bestimmt aus dem Zimmer. Türe zu. Wenn ich in Ruhe meine Lektüre beenden konnte, dann würde ich es vielleicht sogar wirklich allein hinkriegen. Nach intensivem Studium wagte ich mich dann an den Selbsttest. Und tatsächlich, es funktionierte.
Mein Vater sprach das Thema nie wieder an und meine Brüder legten ebenfalls den Staub des Vergessens darüber.
Abends gingen wir essen. Ich bestellte ein Steak, schön blutig!
Autorin / Autor: rosemary - Stand: 27. August 2009