Episode 2, oder "Geheimmission Trockner"
Wie mein Bruder und ich versuchten die Wäsche zu trocknen
Wir standen vor dem Trockner. Er kam mir damals jedoch nicht vor wie ein Trockner, sondern eher, wie das größte Geheimnis der Menschheit, dass nun von mir und meinem Bruder zu entschlüsseln galt.
So viele Knöpfe und Griffe zum Drehen, an denen komische Buchstaben und Zahlen standen.
Eigentlich durften wir gar nicht an den Trockner. Mein Vater hielt es für Quatsch, weil man die Wäsche ja in der Waschküche aufhängen kann.
"Spare wenn du hast, dann hast du, wenn du brauchst!"
Ein Leitspruch meines Vater. Gut, eigentlich hat er ja Recht. Die Wäsche in den Trockner zu tun ist wirklich überflüssig, wenn man eine geräumige Waschküche zur Verfügung hat.
Aber an diesem Tag ging es halt nicht anders. Wir waren noch ganz frische "Halbwaisen", mein Bruder und ich. Früher wurde die Wäsche, wie durch ein Wunder, durch mystische Rituale und Opferungen vom Wäschekorb wieder in unsere Zimmer befördert. Doch nun sahen wir uns vor einer großen Herausforderung. Mein Vater bekam das mit der Wäsche eigentlich ganz gut hin. Sie war nach dem Waschen auf jeden Fall sauberer als vorher. Zwar manchmal in einer anderen Farbe, aber zumindest ohne Flecken und mit einem leichten Blütenduft (Weichspüler von der Nachbarin geliehen, weil selber noch nie einen gekauft hat).
An diesem Tag brauchte mein Bruder sein T-Shirt aber schneller als wir es mit Lufttrocknung hinbekommen hätten. Und mein Vater war zufällig gerade unpässlich. Wir wollten die Chance nutzen und kamen uns ein bisschen wie Bankräuber vor. Mein ältester Bruder, der einzige von uns, der eventuell eine Ahnung gehabt hätte, war irgendwie auch gerade nicht da. Also nur mein kürzlich volljährig gewordener Bruder und ich allein im Kampf gegen den Trockner.
Die Legende am Trockner
"Wofür ist das denn?", fragte ich und zeigte auf eine Art Legende, die an der Oberseite des Trockners klebte.
"Stör mich jetzt nicht, ich versuche mich zu konzentrieren!", kam es forsch von ihm, als er krampfhaft auf die Knöpfe starrte, als würden sie ihm gerade erzählen, wie er sein T- Shirt ganz schnell trocken bekäme.
Ich untersuchte die Legende allein. Alle Buchstaben und Zahlenkombinationen, die vorne auf der Maschine zu sehen waren, wurden hier aufgelistet. Daneben befanden sich Begriffe, wie "Handtuchtrocken", oder "Schranktrocken", oder "Bügeltrocken". Alles aber irgendwie keine große Hilfe. Schließlich wollte mein Bruder in die Disko. Wieso gab es denn nicht sowas, wie "Ausgehtrocken", oder "Anziehtrocken"?
"Aber jetzt guck doch mal!", ich zog an seinem Arm. Endlich schenkte er mir ein bisschen Aufmerksamkeit und betrachtete die Beschreibung auf dem Aufkleber.
Er wurde jedoch auch nicht wirklich schlau daraus.
Ich lauschte die Kellertreppe hinauf. War da ein Geräusch? Mein Vater? Oh Gott! Auch mein Bruder hatte es gehört. Jemand rief unsere Namen. Falscher Alarm. Mein anderer Bruder war nur gerade nach Hause gekommen.
"Wir sind hier unten und bräuchten Hilfe!", machte ich lautstark auf uns aufmerksam. Er tauchte Sekunden später im Türrahmen auf.
Ein Bruder mehr, trotzdem keine Hilfe
"Was macht ihr da?", sein skeptischer Blick wanderte zwischen meinem Bruder und mir hin und her.
"Wir versuchen mit dieser blöden Maschine hier, mein T-Shirt zu trocknen, damit ich das heute Abend anziehen kann!", keifte mein Bruder zurück. Nein, er ist nicht cholerisch.
"Hm...", machte mein anderer Bruder. Er nahm den Trockner genauer unter die Lupe und blieb - genau wie wir - an der Legende hängen. "Tja, keine Ahnung."
"Super und wenn der Papa gleich aufsteht, kann ich's direkt vergessen", zeterte der andere.
Der Älteste hob nur die Schultern und meinte: "Dann ruf halt mal die Mama an, die weiß es auf jeden Fall."
"Damit sie denkt, wir kämen nicht allein klar, oder wie?", meinem anderen Bruder schien die Idee nicht zu gefallen. Gut, Recht hatte er schon. Meine Mutter war leicht enttäuscht, dass unser Alltag nicht zusammen gebrochen ist, nachdem sie ausgezogen war.
"Dann musst du eben was anderes anziehen", war der abschließende Kommentar des Älteren. Er stapfte die Treppe wieder hinauf.
Letzte Rettung Mutter
Der, der zurück blieb wandte sich wieder dem Wäschetrockner zu.
Ich schaute ihn einen Moment lang an. Dann sah er zu mir rüber: "Gut, hol das Telefon."
Gesagt, getan. Mit dem Ding in der Hand kam ich wieder runter. Er wählte die Nummer von meiner Mutter und reichte mir dann den Hörer. Ich guckte ihn fragend an.
"Na ja du bist auch ne Frau, frag du sie!" Das konnte nicht sein Ernst sein!
"Was ist das denn jetzt für ein Argument?", fragte ich, doch da hob meine Mutter gerade ab.
"Hallo Mama, hör mal! (Bloß kurz machen!) Wir haben 'grad ein Problem: Wir wollen was im Trockner trocknen, aber wir wissen nicht wie das geht."
Ich hörte auf ihre Anweisungen. Das T-Shirt in den Trockner. Zu machen. Rädchen da und da hindrehen und dann auf "Ein". Das war's schon! Und wir saßen eine halbe Stunde ratlos vor dem blöden Ding rum!
"Ok, danke. Ach und sag's dem Papa nicht. Danke, tschö!" Ich legte auf und sah meinen Bruder an.
Der war fassungslos: "Wie, das war alles?" Ich nickte nur, stand auf und ging nach oben.
"Ja, und wie lange dauert das jetzt hier?", brüllte er mir hinterher.
"Keine Ahnung!", schrie ich nur zurück. War mir auch egal. War ja sein T-Shirt.
Mein Vater kam just in dem Moment die Treppe runter, als ich durch den Flur in Richtung Küche tapste.
"Hallo Paps", sagte ich und öffnete den Kühlschrank. "Hallo, alles klar?", wollte er wissen. Das fragte er immer, wenn wir uns das erste Mal am Tag sahen. Ich glaube, er wollte damit nur irgendwie Kontakt aufnehmen. Damals hatten wir noch nicht so wirlich die Gesprächsthemen.
Ich nickte und ging mit einer Möhre in der Hand in mein Zimmer.
Kurz bevor ich die Türe schloss, hörte ich noch ein Erzürntes: "Wer hat den Trockner angemacht?!"
Autorin / Autor: rosemary - Stand: 1. September 2009