Oldschool Tech

Beitrag zum Schreibwettbewerb "Total digital" von Sonja (25 Jahre)

Ich bestätige nur ungern das Vorurteil, laut dem alte
Menschen nichts von der Technik von heute verstehen, aber
manchmal bin sogar ich als „hippe Oma“, wie mein Enkelsohn
mich nennt, völlig überfordert. Bei einer Sache sträube ich
hart gegen die Neuheiten heutzutage und verwende immer noch
die alte Technologie – beim Fotografieren. Folgende Szene
hat sich letztens in meinem Supermarkt abgespielt:
„Verzeihung bitte, ich suche einen Film für meine Kamera.“
Das junge Mädchen mit der Uniform des Supermarkts kaute an
ihrem Kaugummi, stieg von ihrer kleinen wackeligen
Stehleiter herunter und raunte: „Was?“
„Einen Film.“, wiederholte ich, „für meine Kamera.“
Nadja (so nannte sie ihr Schild) legte den Kopf schief.
„Wir verkaufen keine DVDs.“, erklärte sie mir nach einigem
Überlegen und ich runzelte die Stirn.
„Ich will keine DVD. Ich will einen Film für meine Kamera.“
Ich erklärte dem jungen Ding danach eine Stunde lang was
eine analoge Kamera ist, wie ein 35mm Kleinkamerafilm
aussieht, wie man in Dunkelkammern Fotos entwickelt und dass
die Fotografie erst seit einigen Jahren digital
funktioniert. Zu meinem Erstaunen war sie sehr interessiert,
zupfte nach einiger Zeit ein kleines Funkgerät aus ihrer
Uniform, das sie mit dem Geschäftsleiter verband. Dieser
erklärte ihr über Funk, dass ihre Ladenkette keine 35mm
Filme mehr verkaufte.
Nadja schien mir meine Empörung vom Gesicht ablesen zu
können, denn mit einer Schnelligkeit die nur Jugendliche
aufbringen können, zückte sie ihr Smartphone und suchte nach
dem nächstgelegenen Laden in der Stadt, der noch solche
Filme verkaufte, schickte die Ergebnisse auf den W-Lan
Drucker des Supermarkts und brachte mir 2 Minuten später
einen Zettel mit Wegbeschreibung und Adresse.
Anscheinend ist doch noch nicht die Zukunft der ganzen
Jugend im Land beim Teufel. Ich versprach, bei meinem
nächsten Einkauf die Kamera mitzubringen und ein Foto mit
ihr zu machen, („So ein Foto mit Old School Tech hab ich
noch nie gemacht!“) und verließ wie vor den Kopf gestoßen
den Supermarkt.
Ich stromerte eine Stunde herum bis ich den Laden mit meinem
Film finden konnte – gut, dass ich noch fit auf den Beinen
bin.
Früher musste man sich über das Fotografieren noch Gedanken
machen. Da reichte es nicht einfach auf einen Knopf oder
einen Bildschirm zu tippen und zwanzig Bilder von ein und
demselben Motiv zu machen.
Bei so wenigen Bildern die auf einen 35mm Film passten,
überlegte man zwei oder dreimal, bevor man etwas verewigen
wollte.
Man suchte nach außergewöhnlichen Dingen, stellte sich zu
Familienportraits zusammen und war gespannt, wie die Fotos
nach dem Entwickeln aussahen. Heutzutage konnte man hunderte
von Fotos machen, diese sofort wieder löschen und keine
Angst davor zu haben, für verschwommene Bilder zu bezahlen.
Trotzdem hing ich an meiner „Old School Tech“, wie Nadja es
genannt hatte. Ich hoffte nur, dass sie nicht von mir
verlangte mit Entenschnute zu posieren.
Ich betrat den Laden, eine altmodische Klingel verkündete
meine Ankunft.
Ich war von Anfang an begeistert. An den Wänden hingen alte
Kameras, Sammlerstücke, Antiquitäten! Fotoapparate mit
Kurbeln, man konnte sogar in eine Umkleidekabine gehen, sich
verkleiden und mit einer altmodischen Kamera von sich Fotos
machen lassen. In einer anderen Ecke des Ladens thronten die
modernsten Erfindungen des Fotowesens. Spiegelreflexkameras,
Objektive in allen Formen und fünfstelligen Preisen,
Digitalkameras – ich war überfordert.
Ein Gottesgeschenk war Jan, der sich mir als Eigentümer des
Ladens vorstellte und mich höflich fragte, wonach ich
suchte. Er war sympathisch, vor allem erwartete er nicht von
mir, dass ich ihm ein Butterscotch Leckerli in die Hand
drückte.
Ich erklärte Jan, dem blonden, vollbärtigen
Fotoladenbesitzer mit Seemannstattoo und Karohemd, dass ich
einfach nur nach einem Film für meine Kleinbildkamera suchte
und mein Supermarkt diese nicht mehr verkaufte. Daraufhin
setzte er zu einer Schimpftriade apokalyptischen Ausmaßes
an, deren Wiedergabe eine Zensur meiner Niederschrift
bewirken würde.
Er suchte gewissenhaft in einem seiner Regale nach einer
Vorratspackung, nachdem er nach genauer Marke und Typ meiner
alten Kamera gefragt hatte.
„So eine Kamera hatte ich auch mal. Es geht nichts über das
gute alte Entwickeln von Negativen. Das digitale Zeug ist
zwar cool und schnell, aber richtig schöne Fotos bekommt man
nur aus richtigen Filmen heraus.“
Ich war überglücklich, als ich für meine Filme bezahlen
konnte, hatte ich doch nun die Möglichkeit, endlich ein
neues Foto von meinem Enkelsohn zu machen.
„Wenn Sie den fertigen Film vorbeibringen, können Sie ihn
hier im Laden entwickeln lassen. Ich schätze im Supermarkt
wird das jetzt auch nicht mehr gemacht?“
Danach hatte ich gar nicht gefragt, früher hatte man die
fertig entwickelten Fotos dort aus einem Schubregal holen
und dann bezahlen können.
Ich bedankte mich für Jans Hilfe, trug mich mit meiner EMail
Adresse in seine Mail Liste ein (HA! Sowas kann ich
auch!) und verließ den Laden.
Ich freue mich berichten zu können, dass Nadja sich sehr auf
meinen nächsten Einkauf im Supermarkt gefreut hat. Sie hat
darauf bestanden, dass der Ladenamanger ein Foto von uns
beiden machte. Das junge Ding wollte mich sogar „auf
Facebook adden, weil ich eine total coole Dame war“, aber
für sowas hab ich nun wirklich keine Zeit – oder Nerven.
Jan hat für mich wunderbare Fotos entwickelt und ich bin
mittlerweile Stammkunde in seinem Fotoladen. Es ist schön zu
wissen, dass in der modernen Zeit in der alles so schnell
gehen muss und keiner mehr Zeit für die wichtigen Dinge im
Leben hat, es immer noch Menschen gibt die es langsamer
angehen, auf Qualität achten, anderen Leuten helfen wenn sie
die Chance dazu haben und dass alte Werte noch nicht
verloren sind.

Autorin / Autor: Sonja