Engel

Wer hatte da ihr Leben gerettet?

Da steht sie auf der Brücke. Ihr langes schwarzes Haar flattert schimmernd in der Dunkelheit. Der reißende, schwarze Strom unter ihr verschluckt alles, jeden, reist ihn in seine tiefsten Tiefen und gibt ihn nicht mehr her. Ihr schwarzes Kleid flattert ihr um die Beine, als sie sich auf die kalte Brüstung der Brücke stellt. In der Dunkelheit unsichtbar, steht sie dort und blickt in die gewaltige, reißende Masse. 3…, 2…, 1…

-Was tust du da? Da steht sie auf der Brücke. Ihr langes, silbernes Haar strahlt in der Dunkelheit und ihr weißes Kleid flattert ihr um die Beine, als sie zu ihr auf die Brüstung klettert.

*Was tust du da?*
Ich will nicht mehr leben. Ich hasse mein Leben und alle anderen hassen mein Leben auch. Sie ärgern mich und hänseln mich und machen mich schlecht. Ich hasse mein Leben und beende es hiermit. - Sag mir, hattest du jemals das Gefühl, glücklich zu sein, ich meine richtig glücklich? Hattest du das Gefühl, die ganze Welt umarmen zu können, den ganzen Tag zu strahlen und zu wissen: Nichts, nichts auf der ganzen Welt kann mir mein Glück nehmen? - Nein - Dann hast du nie gelebt. Sag mir, hattest du jemals das Gefühl es ihnen allen gezeigt zu haben, wie sie da stehen uns sagen: Das schaffst du nie! Das Gefühl sie anzuschreien: Seht her, ich hab es geschafft! Ihr dachtet ich sei dumm und hässlich, na seht doch mal, was aus mir geworden ist! Hattest du jemals dieses Gefühl? - Nein - Dann hast du nie gelebt. Sag mir, hattest du jemals das Gefühl das irrsinnigste auf der ganzen Welt zu tun? Bist du am Seil von einem Hochhaus gesprungen oder von einer Klippe? Hast du das Adrenalin durch deinen Körper rasen gespürt und gemerkt: Ich lebe! -Nein - Dann hast du nie gelebt. Sag mir, bist du jemals vor der Natur gestanden und warst sprachlos. Überwältigt von der Größe des Alls und geblendet von der Schönheit der Natur? War dir schwindelig von der immensen Größe und du hast gespürt wie klein und unwichtig du auf dieser Welt bist, im Vergleich zum All? - Nein - Dann hast du nie gelebt. Sag mir, warst du jemals für jemanden verantwortlich, richtig verantwortlich und hast dabei gespürt, wie sehr derjenige dich braucht? Hast gespürt, wie hilflos er ohne dich ist und wie wichtig und groß du in seiner Welt bist? - Nein - Dann hast du nie gelebt.

*Wie willst du beurteilen,*
dass das Leben schlecht ist, wenn du gar nie gelebt hast? Wie willst du Schluss damit machen, wenn es für dich noch gar nicht begonnen hat? Diese Leute haben dir dein Leben mit den Hänseleien bis jetzt versaut und du lässt es zu, dass sie dir auch noch dein zukünftiges nehmen? Ich würde hinausgehen, hinausgehen und die Welt anschreien. Das einzige was du gegen die tun kannst, ist zu leben. Wach auf, Mädchen und lebe. Öffne deine Augen und schrei die Welt an: Ich komme, Ich komme! Mach dich auf was gefasst. Du kannst alles schaffen im Leben, alles was du nur willst, wenn du es nur versuchst. Ihr könnt mich alle mal am A.. lecken, jetzt ist Schluss, Leben ich komme. Schrei es, schrei es. Du wirst von den Eisbergen der Antarktis bis über die Sanddünen der Sahara gehen, im Regenwald Insekten suchen und mit den Kängurus hüpfen, du wirst Abenteuer erleben und ruhige Zeiten, du wirst lieben und hassen.

*Du hast Angst vor dem Leben?*
Ich verrate dir ein Geheimnis: Das Leben hat gute und schlechte Zeiten. Wenn du gute hast, weißt du genau, es werden schlechte folgen, und wenn du schlechte hast, weißt du, es werden gute folgen! Hast du gehört? Du brauchst keine Angst zu haben. Du hattest dein ganzes Leben lang schlechte Zeiten, es können nur die guten folgen! Die Anderen müssen Angst haben, denn bei ihnen kommen die schlechten Zeiten. Das Leben ist viel zu schnell vorbei. Lebe dein Leben, stell dich den Abenteuern, es ist voll davon, jeden Tag. Jeder Tag ist kostbar, wenn du das erkennst, dann bist du den Anderen 100fach voraus. Es ist nur ein Fingerschnipps bis du alt und verschrumpelt dasitzt, du kannst dir aussuchen, was du dann sagen kannst: Das Leben war langweilig, wann ist es endlich vorbei? Oder willst du den Enkeln Geschichten erzählen von den Abenteuern, die du erlebt hast und sagen: Ich bereue nichts, ich habe jede Sekunde voll ausgenutzt. Nichts unversucht gelassen. Ich habe mein Leben gelebt.

*Und da setzt sie ihre Füße,*
die von dem schwarzen Kleid umflattert wurden von der Brüstung zurück auf den Boden der Brücke. Silberne Tränen schimmern in ihren schwarzen Augen, während sie ihren Abschiedsbrief zerreist und in die schwarzen Fluten wirft, die sie hungrig verschlingen.

Ihr silbernes Haar schimmert in der Dunkelheit, als sie sich umwendet und langsam zum Ende der Brücke geht.

*Warte, wer bist du?*
Hallt es aus dem schwarzen Mund. - Du hast mir mein Leben gerettet. Doch als sie genauer hinsieht, hat sie sich schon in der Dunkelheit aufgelöst, nur der Schimmer ihres silbernen Haars und ihres weißen Kleides liegen noch glitzernd über der Brücke.

Du warst ein Engel…....

Autorin / Autor: forte - Stand: 8. Oktober 2008