„Und wie war der Urlaub?“, aufmerksam sah Kim mich an. „Besser als erwartet?“
„Viel besser“, bestätige ich schmunzelnd. Nach einem zweiwöchigen Urlaub Irgendwo im Nirgendwo ohne Internet war ich wieder zurück in der Zivilisation, doch wider meiner Erwartung hatte ich mich nicht annähernd darüber gefreut. Skeptisch schaute ich mich im Café um. Menschen saßen mit Freunden und Bekannten am Tisch, redeten, wandten aber immer wieder ihren Blick auf die Laptops und Handys, tippten eifrig und lachten über Dinge, die der Gesprächspartner gegenüber nicht wusste.
Ich lächelte sie an. „Naja, anfangs hätte ich nicht gedacht, dass es so ein entspannter Urlaub wird, aber du kennst mich. Wenn ich sage, ich mache das als Selbstexperiment, dann ziehe ich das auch durch. Die ersten Tage ist es mir schwer gefallen, nicht dauernd auf mein Handy zuschauen und nicht doch das Mobile Netzwerk zu aktivieren, also hab ich mein Handy einfach im Hotel gelassen.“
Erstaunt sah Kim mich an. „Du komplett ohne Handy? So kenn ich dich gar nicht. Du bist doch der Klatsch und Tratsch Mittelpunkt, immer vernetzt, um Neues zu erfahren?“
Verlegen legte ich den Kopf schief. Früher hätte ich bei diesem Stichwort sofort mein Smartphone gezückt und ihr über die neusten Skandale in der Stadt erzählt, doch etwas hatte mich verändert.
„Man sollte den Leuten doch auch ihre Privatsphäre lassen, das ist aber genau das, was einem die meisten Apps nehmen. Weißt du wie viele Berechtigungen du ihnen gibst, wenn du dir einfach nur ein Spiel herunterlädst?“ Irritiert sah Kim mich an und erwiderte: „Was interessieren mich die Berechtigungen und AGBs. Solch Paragraphenkrieg interessiert mich doch nicht. Die App soll funktionieren, mehr nicht. Ob sie nun meine Bilder sehen oder nicht ist doch egal. Zu verbergen hab ich nichts.“ Ausgelassen warf sie ihre blonde Mähne zurück.
„Aber weißt du..“, versuchte ich es nochmal, doch in diesem Moment piepste ihr Handy. Wie hypnotisiert starrte sie auf den Bildschirm und begann geistesabwesend auf dem Bildschirm herum zu tippen. „Unsere Handys kennen uns bald besser als unsere Freunde. Sie haben den vollen Zugriff auf unsere Daten, Bilder und wissen mit wem wir wann wo was machen. Aus den ganzen Daten, die du den Unternehmen lieferst kann man sogar deine Beziehungen ermitteln und relativ genau vorhersagen, was du als nächstes machst oder wie du in einer Situation reagierst. Man kann die Benutzer sogar manipulieren, ohne dass sie davon jemals etwas merken.“
„Was hast du gerade gesagt? Es war wichtig. Natalie wurde von ihrem Freund verlassen, weil sie seinem Kumpel ein Nacktbild geschickt hat. Man sollte wohl nie einen Freund haben, dessen bester Freund fast genauso heißt. Welch dramatische Verwechslung. Der Junge hat nicht Schluss gemacht, sondern nur den Beziehungsstatus auf Facebook geändert.“
„Genau das mein ich“, versuchte ich verzweifelt zu erklären. „Du würdest doch auch nicht wollen, dass jeder sofort von deiner Trennung erfährt. Nicht, wenn es so gelaufen ist. Selbst wenn Natalie absichtlich das Bild geschickt hätte, dann wäre sie es trotzdem wert, dass er persönlich mit ihr redet und es nicht so niveaulos endet.“
Wieder klammerte sich Kim an ihr Handy und streichelte über das Display wie über ein Haustier. Wann sie wohl das letzte Mal ihre Katze so liebkost hatte? Mistvieh, so nannte sie das kleine Kätzchen seit längerem. Sie kümmerte sich kaum um sie, doch für ihr virtuelles Haustier gab sie sogar Geld aus. Sie verglich es nur allzu gern mit den Tieren anderer und kaufte ihm Accessoires.
Bis vor kurzem war ich neidisch auf sie gewesen. Technisch war sie immer auf dem besten Stand, hatte das neuste Handy, einen trendigen Computer und lebte in einer Villa mit viel technischem Kram. Alles konnte man fernsteuern und war miteinander vernetzt. Diese Vernetzung war praktisch, aber hatte auch ihre Kehrseite. Das war mir in den zwei Wochen ohne Internet allzu bewusst geworden. Man verließ sich immer mehr auf die ganzen Geräte und hörte auf, selbst zudenken.
In der heutigen Welt war man froh, dass man sich nicht mehr in allen Lebenssituationen auf die Kirche oder andere Institutionen verließ, doch hatte man diese schlicht durch das Smartphone und Google ersetzt. Google war eine neue Religion, war allwissend und hatte immer die richtigen Tipps auf Lager. Außerdem wusste es immer unseren genauen Standort, was wir taten und wer uns besonders am Herzen liegt. Wie in einem Gebet, in dem wir viel über uns preisgeben, teilten wir durch die immer größer werdende Vernetzung der technischen Geräte Konzernen und Unternehmen unser ganzes Leben mit.
Nachdenklich sah Kim mich an. „Was willst du denn tun? Willst du dein Smartphone ausschalten und mit uns per Brieftaube kommunizieren?“, fragte sie. „Natürlich nicht“, seufzte ich. „Mir ist klar, dass es ohne Handy auch nicht geht. Aber ich will versuchen, mich öfter persönlich mit Leuten zutreffen, ihnen beim Gespräch ins Gesicht schauen und meine Gefühle nicht durch kleine Smileys ausdrücken müssen. Außerdem hab ich den Großteil meiner Apps gelöscht, die wollten mir einfach zu viele unnötige Berechtigungen. Raus kommt man aus der Sache nicht, allein wenn deine Freunde alles ohne nachzudenken erlauben, haben die Entwickler meist Zugriff auf ihr Adressbuch und somit den Daten, die sie hier über dich speichern. Dein Geburtsdatum, ein Kontaktbild, deine Adresse...“
„Das ist ja, als ob sie deine Nummer an irgendeinen Fremden im Club weitergeben würden!“, rief Kim empört. Nachdenklich sah sie mich an. „Wir sollten vielleicht wirklich über den Umgang mit der digitalen Welt nachdenken...“ Als Kims Smartphone erneut piepste und sie unverzüglich danach griff, stieg eine tiefe Enttäuschung in mir auf.
„So, jetzt ist das blöde Ding aus und nervt nicht mehr“, sagte sie lächelnd zu mir. „Jetzt erzähl, wie war der Urlaub? Hast du jemanden kennengelernt?“
Erleichtert und glücklich fing ich an zureden, ohne dass ich ihre Aufmerksamkeit mit einem leblosen, langweiligen Gerät teilen musste.