Franziska ist frustriert. Ihre beste Freundin Lea hat jetzt einen festen Freund. Sie weiß, eigentlich sollte sie sich für Lea freuen, schließlich machen das Freundinnen, aber irgendwie ist sie eher wütend. Wieso interessieren sich alle Jungs immer nur für Lea und nie einer für sie? Bestimmt liegt es daran, dass Lea bereits einen richtigen BH braucht, während bei Franziska nur kleine Knospen zu sehen sind. Vielleicht liegt es auch daran, dass Lea mit ihren engelsblonden Locken und der hellen Stimme den Jungs sofort den Kopf verdreht, während sie selbst nur mausbraune Haare und ein langweiliges Gesicht hat. Ja – es liegt definitiv an ihr!
„Wie war die Schule?“, hört Franziska ihre Mutter von der Küche aus rufen, während sie wütend nach oben stürmt. Franziska schmeißt den Schulranzen in die Ecke und sich aufs Bett. Am liebsten würde sie laut losheulen. Um nicht komplett die Selbstbeherrschung zu verlieren, angelt sie mit der Hand nach ihrem Laptop. Der liegt natürlich mal wieder unterm Bett, ebenso wie ihre alten Socken und ihre Haarbürste. Ordnung ist einfach nicht Franziskas Stärke.
Auf ihrem Bildschirmhintergrund leuchtet das Bild von ihr und Lea auf, damals als sie vor drei Jahren ihren elften Geburtstag gefeiert hat und Lea noch kein Interesse an Jungs hatte. Schnell weg damit. Franziska öffnet den Internet Explorer und meldet sich auf Facebook an, wie sie es jeden Tag nach der Schule macht. Dann öffnet sie den Chat-Room „Knuddels“.
Sie weiß, dass ihre Mutter nicht begeistert von dieser digitalen Welt ist, doch Franziska liebt sie. Ihr Profilbild hat sie erst letzte Woche aktualisiert, nachdem sie eine gute Stunde lang ungefähr 1.000 Selfies vor dem Badezimmerspiegel gemacht hat und anschließend das beste Bild solange bearbeitet hat, bis auch wirklich jeder Pickel und jedes Detail, das sie so an sich hasst, verschwunden war. In ihrer digitalen Welt bekommt Franziska viele Freundschaftsanfragen von Jungs, sogar von welchen, die bereits zwei Jahre älter sind. Hier kommt es nicht vor, dass sie zu stottern beginnt, wenn ein Junge sie fragt, ob er sich einen Stift leihen kann – nicht, dass solche Fragen in dem Chat gestellt werden. Hier kann sie so sein, wie sie es sich schon immer gewünscht hat. Taff, selbstbewusst und vor allem hübsch!
Drei neue Nachrichten sind in ihrem Postfach. Bestimmt von Fabian, den sie gestern im Chat „Single-Room“ kennengelernt hat. Fabian ist bereits fünfzehn, ja fast sogar sechzehn Jahre alt, schaut unglaublich gut aus und spielt sogar in der Bezirksoberliga Fußball. „Tja Lea, da kann dein Julian nicht mithalten!“, freut sich Franziska hämisch.
„Hallo Süße, na wie war dein Tag? Ich musste an dich denken!“ Franziska seufzt leise. Fabian ist ja so süß und romantisch. Ein richtiger Traumtyp, wie in ihren Büchern.
„Hallo Fabian, mein Tag war ganz gut und deiner? Ich musste auch an dich denken.“
Beim Schreiben wird Franziska rot, aber das sieht Fabian ja zum Glück gar nicht. Ein hoch auf ihre digitale Welt. Fabian wohnt laut seinen Angaben in Nürnberg, wie Franziska auch. Vielleicht sollten sie sich einmal treffen, doch Franziska weiß nicht, ob sie das wirklich will. Schließlich ist sie schüchtern, und wenn sie mit einen Jungen spricht, dann fällt ihr kein richtiger Satz mehr ein. Außerdem weiß sie nicht, ob Fabian wirklich so toll ist, wie sie es sich in ihrem Chat-Room vorstellt. Immerhin hat ihre Mutter ihr viele Gruselgeschichten aus dem Internet erzählt, dass manche alte Männer sich als Jungen in ihrem Alter ausgeben, um das Vertrauen von jungen Mädchen zu ködern. An diese Sachen will Franziska gar nicht denken. Sie weiß, dass das Internet viele Risiken mitbringt und dass sie nicht alles glauben kann, was sie dort liest, doch manchmal tun ihr diese Cyber-Beziehungen einfach gut. Hier fühlt sie sich wohl, hier fühlt sie sich nicht wie ein Teenager, bei dem gerade die Hormone verrücktspielen. Irgendwann will sie eine richtige Beziehung, eine, die nicht nur auf dem Computer stattfindet, doch bis es soweit ist, freut sie sich über Komplimente und Gespräche im Internet, denn dadurch kann sie Selbstbewusstsein sammeln und ihre eigene kleine Welt aufbauen.