Es ist Tag 4 meiner Ferienexistenz. Ich wache gerade auf und kann durch das kleine Fenster neben meinem Bett sehen, dass die Sonne am Blau-Weißen Himmel über Bayern hell scheint. Ein wunderschöner Tag, an dem ich keinerlei Ahnung habe, was ich tun könnte. Wie an jedem Morgen pflücke ich erst mal mein HTC vom Ladekabel, könnte ja sein, dass mir ein Ex spontan geschrieben hat, vielleicht auch einer meiner 109 Follower bei Twitter. Doch als ich diese unpersönliche dünne Scheibe - mein Handy - in der Hand halte, Finger auf der Einschalttaste, kommt mir eine verrückte Idee: Es einfach nicht einzuschalten. Es verwegen hier auf meinem Fensterbrett liegen zu lassen und keine einzige Nachricht zu beantworten. Vielleicht sogar noch weiterzugehen, und einen Tag ohne Internet zu leben. Ein Selbstversuch für Abwechslung in den Ferien. Würde ich das schaffen?
Aber was sollte ich dann den ganzen Tag machen, wenn ich keine Blogeinträge verfassen kann? Mein Zimmer habe ich erst letztens umgestellt. Im Garten bekomme ich nur Schreikrämpfe wegen der Nacktschnecken. Weil ich keiner dieser Vinyl-Platten-hörenden-Hipster bin, kann ich dann ja auch nicht Musik hören, die läuft immerhin bei mir über Spotify. So ein Mist, was hab ich mir da denn bitte vorgenommen! Ich drehe mich zu meinem Wecker: 9:38 zeigt er an. Normalerweise würde ich jetzt bis elf liegen bleiben und alle Social Networks, in denen ich angemeldet bin, durchscrollen: liken, kommentieren, rebloggen, das volle Programm.
Jetzt aber stehe ich seufzend auf, um mir Frühstück zu machen. Mit ‚Frühstück‘ meine ich hier ‚selbstgemachte Eiscreme‘, was daran liegt, dass meine Eltern nicht zu Hause sind. Ferienbonus. Ich sehe relativ schnell, dass ich mir was einfallen lassen muss, denn im Gefrierschrank sind nur Johannisbeeren, Bananen und etwas Spinat. Soll heißen, Himbeereis kann ich daraus schon mal nicht machen. Routinemäßig greife ich in meiner Hosentasche nach meinem Handy, um ein alternatives Rezept zu googlen. Hab ganz vergessen, dass es ja seit kurz vor 10 auf meinem Fensterbrett liegt. Ein Tag ohne Eiscreme, sondern mit einem trockenem Marmeladebrot.
Nach dem spektakulärsten Frühstück aller Zeiten ist es eigentlich an der Zeit rauszugehen, denn „wenn d‘ Sun scheint, dann konnst doch ned herin bleim, Kind, es rengt doch eh as ganze Johr do bei uns“ um mal meine Oma zu zitieren. Wie ich da so im Gras unseres Gartens liege und die Wolkendrachen und Schäfchen ohne Beine am Himmel betrachte, gefällt es mir fast schon, mal nicht online zu sein. Fast. Denn erstens vermisse ich die Hintergrundmusik und zweitens ist es verteufelt heiß. Hoffentlich ziehen die Gewitterwolken nicht an meinem Kaff vorbei, denn bei Regen kann ich ohne schlechtes Gewissen Oma gegenüber reingehen und fernsehen. Das wird ja wohl noch erlaubt sein. Wenn nicht, erlaube ich es mir hiermit selbst. Der Himmel, oder das Schicksal, auf wen auch immer man es schieben will, meint es gut mit mir, denn nach etwa 20 Minuten fängt es an zu schütten, sodass ich richtig Angst habe, dass es meine Katze samt Gartenhäuschen wegschwemmt. Ich überprüfe, ob sie wirklich friedlich weiterschläft und das Häuschen stehen bleibt, dann kann ich mich glücklich auf die Couch werfen. Ich zappe ein bisschen durch die Programme, aber weil mich weder „Teenie Mütter – Wenn Kinder Kinder kriegen“ noch eine unter tausend Kochshows interessieren, will ich eine meiner Aufnahmen ansehen.
„‚Meine Aufnahmen‘ konnte nicht geladen werden. Bitte überprüfen sie ihre Internetverbindung“
Wenn ihr das lest, denkt ihr wahrscheinlich alle, dass ich übertreibe. Einen Morgen ohne Handy überleben wir doch wirklich alle. Aber einen Morgen, einen Tag ohne Internet? Es fängt morgens an, man steht auf und checkt erst mal sein Whatsapp. Im Anschluss sieht man sich gleich mal das „Outfit of the day“ bei Stylefruits oder irgendeinem Blog an, um das Outfit-Problem, das wohl jedes Mädchen kennt, zu umgehen. In der Schule geht es weiter. Bei Lehrern, die das nicht merken oder das Handyverbot stilvoll übergehen, schreiben wir unseren Freunden in anderen Klassen, unseren Verabredungen oder auch einfach nur unseren Sitznachbarn pausenlos Nachrichten. Auf dem Nachhauseweg muss man dann natürlich sofort Facebook aktualisieren, könnte ja sein, dass der Ex eine Neue hat, oder der schönste Junge der Schule sein Profilbild geändert hat. Liken! Screenshot! Teilen!
Bei aufkommender Langeweile gibt es bei der ewigen Heimfahrt in einem wackeligen Bus nichts Besseres als eine Runde „Flappy Bird“. Gut durchgerüttelt von Milliarden Schlaglöchern steigt man dann irgendwann aus dem Bus aus, die Sonne scheint in einem wundervollen Winkel herab und färbt das Haar golden, was macht man also – Genau! Ein Selfie. Für Instagram, und wehe dem, der es nicht sofort kommentiert. Sollte man sich zu Hause dazu entscheiden, die Hausaufgaben mal zu machen, anstatt sie in letzter Minute abzuschreiben, ist wahrscheinlich bei euch allen Google der Helfer in der Not. (Wer kann schon ohne Hilfe den gallischen Krieg von Cäsar übersetzen?)
Jetzt dürfte es also in etwa 15 Uhr sein, man beginnt sich – über Whatsapp - zu verabreden oder bleibt zu Hause und liest verschiedenste Websites durch, um keinen Trend zu verpassen. Abends beim Filmschauen muss man natürlich allen mitteilen, was man gerade guckt und wie sexy Taylor Lautner doch in Lebensgröße auf dem Flachbildschirm aussieht. Ob man dabei noch was vom Film mitbekommt, ist nebensächlich. Hauptsache die Welt weiß, was los ist. Aber wenn wir so bemüht sind, allen zu sagen, was wir gerade machen, lenkt uns das nicht eigentlich genau davon ab? Wer auch immer behauptet, er könnte gleichzeitig Candy Crush Saga spielen und sich auf die Nachrichten konzentrieren: Diese Person lügt. Vielleicht habt ihr schon oft etwas verpasst, weil ihr im entscheidenden Moment die Likes auf euer Profilbild kontrolliert habt? Denkt mal drüber nach.