‚Danke für deine Registrierung.‘ Drei mal hatte ich diesen Satz durchgelesen, bevor ich die Leiste, in der es stand, auf meinem Laptopbildschirm wegdrückte. Nun war ich registriert – so wie die anderen aus meinem Umfeld. Ich durchsuchte den Chat nach Leuten, die ich kannte und schickte ihnen eine Freundschaftsanfrage, egal ob ich schon mit ihnen geredet hatte oder nicht. Ich benötigte eine hohe Anzahl von Freunden, sonst würden die anderen über mich lachen, weil das sonst ‚uncool‘ wäre. Auf einigen Profilen blieb ich lange hängen. Es waren die Fotos, die das ausmachten. Manche Personen erkannte ich auf den Fotos nicht - sie mussten stark bearbeitet sein.
Schnell fiel mir auf, dass das sogenannte ‚Like‘ eine große Rolle auf Facebook spielte. Je mehr ein Foto von einer Person ‚geliked‘ wurde, umso höher der Ruf. Ohne groß darüber nachzudenken, spielte ich bei diesem Spiel mit. Ich habe nur Bilder von den Personen geliked, die in der Schule beliebt waren. Die, die Außenseiter waren, hatten nur wenige ‚Likes‘. Obwohl ich die Außenseiter größtenteils nicht kannte, habe ich nicht auf ‚gefällt mir‘ geklickt, obwohl mir viele gute Fotos ins Auge gestochen sind. Die Fotos würden niemals viele ‚Likes‘ bekommen, aus Prinzip, weil sie, die Unbeliebten, darauf waren. Die Chatseite war mir schnell vertraut und das System war leicht verständlich. Die Spielregeln wurden von dem Strom der Menschen bestimmt und eingehalten. Viele meiner Freundschaftsanfragen wurden angenommen und ich selbst bekam viele gesendet, die ich daraufhin sofort bestätigte. Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl dazuzugehören.
Ich lud Bilder von mir hoch, die ich davor drei Stunden bearbeitet hatte. Ich hatte Erfolg – 56 ‚Likes‘. Auch wenn ich in der realen Welt gemobbt worden bin und unbeliebt war, gab mir Facebook das Gefühl ‚in‘ zu sein. Ich vernachlässigte meine Hobbys und das Lernen. Nach der Schule hieß es chatten. Online zu sein war cool, denn man war immer, up-to- date‘. Doch mein Gefühl dazuzugehören ließ schnell wieder nach, denn das Mobbing in der Schule ging stets weiter. Ich flüchtete sobald ich konnte in die digitale Welt. Ich glaubte sie sei die Bessere. Ich schrieb mit Leuten, die ich noch nie persönlich gesehen hatte und fand dadurch auch meinen ersten Freund. Wir schrieben Nächte durch. Ich hielt mich also immer länger und mehr in der digitalen Welt auf. Die reale Welt hasste ich.
Ich litt oft unter Depressionen, weil ich nur meinen digitalen und nicht den realen Freunden von meinen Problemen und Ängsten erzählte. Sobald ich mit etwas nicht klar kam, allein schon mit Kleinigkeiten, brauchte ich sofort einen digitalen Rat. Und diesen fand ich auch immer. Anders als in der realen Welt, wie ich glaubte. Nachdem meine Schulnoten schlechter wurden, führten meine Eltern eine Internetsperre ein. Ich hatte eine beschränkte und sehr kurze Zeit Internet am Tag. Ich nutze die Zeit natürlich vollkommen aus, jedoch wurde ich hinterher aggressiv und laut. Ich schrie meine Eltern an. Ich hatte das Gefühl, sie wollten mir meine Freunde wegnehmen. Das Mobbing in der Schule verstärkte sich, sowie meine Depressionen. Ich verstand das nicht. Ich hatte doch so viele Freunde und ‚Likes‘ auf Facebook. Warum mochte mich niemand in der anderen Welt? Ich warf meinen Eltern schlimme Sachen vor und machte mich selber kaputt.
Die Zeit verging und meine Internetzeit verkürzte sich monatlich, wegen meinem schlechten Benehmen. Oft versuchte ich die Sperre zu knacken, was mir auch gelang, aber das machte die ganze Sache nur noch schlimmer. Ich vernachlässigte meine Hobbys. Auch meine nicht-digitalen Freunde rückten immer mehr in den Hintergrund. Wenn ich nicht online war, dann war ich alleine eingeschlossen in meinem Zimmer. Jeder Besuch oder jedes Familienfest, war für mich erniedrigend und eine Strafe. Ich hasste es unter Leuten zu sein. Ich verwechselte Realität mit der digitalen Welt. Chatten war für mich unterhalten. ‚Likes‘ waren für mich Komplimente. Blockieren war für mich Streit oder Abneigung. Ich lebte in einer einfacheren Welt, zwar nicht ohne Probleme, aber dafür veränderbar. Die andere Welt war schon zu kompliziert geworden. Meine Emotion auszudrücken war für mich höchstes Niveau geworden. Mit Smileys hatte ich es da hingegen nicht so schwer. Ich wurde nach Angaben anderer zurückgezogener und wortkarger. Auch gesundheitlich bekam ich Probleme, da mir der Sport fehlte und ich nichts aß.
Als dann Silvester gefeiert wurde und ich erschrocken über die Ziffer 2013 war, bemerkte ich dass ich einen großen Fehler begangen hatte. 3 Jahre Facebook hatten mich verändert. 3 Jahre Facebook hatten die reale Zeit stillstehen lassen. 3 Jahre Facebook hatten meine Verhältnisse zu meiner Familie zerstört. 3 Jahre Facebook hatten mich kaputt gemacht! Noch in dieser Neujahrnacht schwor ich mir, dass ich was ändern musste. Mir war klar, Facebook musste weg. Nach dem Durchsetzen meines Vorhabens veränderte ich mein Aussehen. Ich strich mein Zimmer neu an und wechselte die Schule. Facebook gelöscht zu haben, war für mich ein Neuanfang. Ich fing wieder mit Joggen an und nahm mir Klavierunterricht. Ich leitete seit kurzem eine Jungschar. Außerdem fing ich wieder mit Fußballspielen an. Ich lernte, wie eine Neugeborene, was es hieß Verantwortung zu übernehmen. Ich spürte die Gemeinschaft in einem Team. Ich spürte die Liebe unter Mitmenschen. Langsam fing ich an, die reale Welt wieder zu lieben. Ich hoffte, sie und der liebe Gott würden mir für meine Untaten verzeihen.
Wenn ich jetzt an die Zeit damals zurückdenke, finde ich, dass ich vieles meiner Kindheit verpasst habe. Aber andererseits ist es mir eine Lehre. Wie sich die digitale Welt entwickeln wird? Viele Jugendliche sind noch in dem Spiel von Facebook gefangen. Viele gehen an dem System kaputt. Ohne den Druck der Außenwelt ist es schwer, die digitale Welt aufzugeben. Aber es gibt Leute unter uns, die uns helfen können und nicht digital sind. Sie sind nicht registriert!