Eisiger Wind streift Kellis Schulter. Ich erschauderte, als die Böe auch mich erreichte. Irritiert blickte ich sie an. Kelli! Ihre Finger wischten über das Display ihres Handys und, obwohl ich schon circa fünf Minuten neben ihr ging, hatte sie mich weder bemerkt, noch gegrüßt. Zögerlich kam ich ihr näher. „Hey!“, meinte ich freundlich. Nichts. Keine Reaktion. „Kelli? Erde an Kelli!, kannst du mich hören?“ Erst jetzt zog sie Ohrenstöpsel, die ich gar nicht mal bemerkt hatte, da diese geschickt unter einem blauen Langarmshirt und ihren in der letzten Zeit immer ungepflegten Haarschopf versteckt waren, aus ihrem Ohr. Für so unwichtige Dinge wie Haarewaschen oder die gemeinsame Schwimmstunde blieb kaum Zeit – deshalb war Kelli die letzten Wochen gut in die Breite gewachsen. „Oh, hi ..,“ mehr sagte Kelly nicht. Ihr Schweigen war mir, ihrer angeblich besten Freundin, unangenehm, denn sofort konzentrierte sich Kelly wieder auf ihr I-Phone. Ehe jedoch die Stöpsel wieder Platz im Ohr fanden, bohrte ich nach: „Und, wie war es in Tunesien? Da warst du doch in der ersten Ferienwoche?“ Verwirrt blickte sich mich an. Ich konnte deutlich spüren, dass sie kein Gespräch beginnen wollte, wartete jedoch auf eine Antwort. „Es war …“, sie brach ab und begann passende Worte zu suchen. „Bunt, sehr bunt, mit all den Märkten. Es war auch extrem heiß, und nirgendwo ein Netz!“ Mehr schien ihr nicht einzufallen. Ich gab es auf. Für heute würde ich nicht mehr versuchen, Kontakt zu ihr aufzunehmen, doch morgen wollte ich es wieder probieren. Ich weiß nicht warum, aber Kelli fasziniert mich auf eine sonderbare Art. Bevor Kelli ein Smartphone besaß war sie anders, ganz anders! So würde ich sie gerne wiederhaben. Lustig, rotzfrech, weltbeste Schwimmerin und top gestylte Superzicke. Wir waren halt einfach zwei 13jährige Teenager, den Kopf voller Flausen. Doch nun hatte sie ja ihr Handy. Ich war zumindest vorerst abgemeldet – auf Standby. Plötzlich blieb Kelly stehen, hob ihr Handy, poste und machte ein Selfie. „Da werd´ ich Melly aber beeindrucken, murmelte sie. Skeptisch musterte ich Kellí. „Und was in aller Welt willst du mit dem Bild machen?“ Kelli runzelte die Stirn. „Blöde Frage, auf Facebook posten und gucken, ob ich mehr Likes bekomme als Melly!“. Sie stoppte kurz und fragte: „Findest du ich sehe auf diesem Foto gut aus?“ Völlig außer Atem von dem kurzen Spaziergang blickte sie mich unsicher an.
Wieder zu Hause angekommen rief ich Kelli an – wohlgemerkt vom Festnetz - und lud sie auf einen Milchshake ein. Ich konnte förmlich ihr Seufzen hören bevor sie antwortete: „Weiß nicht …..!“ „Jetzt komm schon!“ Genervt stimmte sie zu und wir trafen uns im Café Limetto, wo es die besten Shakes und Smoothies der Oberpfalz gab. Kelli war vor mir da und hatte bereits bestellt. Glücklich lächelte ich sie an und gemeinsam warteten wir auf die Shakes. Während ich ihr von Omas Krankenhausaufenthalt berichtete, checkte sie gefühlte tausend Mal ihr Handy, das ununterbrochen vibrierte. Ich seufzte, weil mir Kelly nur mit halbem Ohr zuhörte. „Was hast du denn?“. Unverwandt blickte sich mich an: „Gegen das Handy meine ich!“ Also hatte sie meinen fragenden Blick, im Gegensatz zu meiner blauen Haarsträhne, sehr wohl bemerkt. „Nun..,“ zögernd fuhr ich oft, „du hast gar keine Zeit mehr für die reale Welt. Immer nur Facebook, Twitter, WhatsApp uns was weiß ich noch!“ „Stimmt überhaupt nicht, ohne GPS wäre ich nicht vor dir hier gewesen! Sieh mal das Positive Ich habe immer die aktuellen Hausaufgaben und bin in Sekundenschnelle über alle Neuigkeiten informiert – du bist ja eine totale Außenseiterin mit Deinem Tastenhandy! Einfach nicht up to date!“ Das hatte mich schwer getroffen. Kapierte Kelli denn nicht, dass das was sie über andere wusste, auch andere über sie in Erfahrung bringen konnten, und das jederzeit? Dass sich unbedachte Äußerungen und blöde Fotos noch nach Jahren im Netz finden ließen? Hacker, oh Mann, oh Mann, Personalchefs, Freunde ..? Bevor sich überhaupt ein Streit entwickeln konnte, zischte sie ab. Logisch, dass Kelli gar nicht auf den Gedanken kam, selbst zu bezahlen. Schließlich hatte ich sie ja eingeladen und so eine Flat musste ja Kelli berappen, nicht ich. Ich bezahlte und trottete traurig nach Hause. Wie können sich beste Freundinnen so weit voneinander entfernen. Als ich daran dachte, was jetzt in Facebook über mich stand, streifte kalter Wind meine Schulter. Ich beschloss, weder dem Wind noch dem heute Geschehenen Bedeutung zu schenken. Aber gut fühlte sich der Wind in meinen Haaren schon an!