Online: Die Pfarrkirche Santa Maria la Mayor ist durch Nebelschleier kaum auszumachen. Nelson schlich bis an die hintere Mauer. Ergriff den metallenen Knauf, drückte vorsichtig die schwere Holztür auf. Weihrauch hing schwer in der Luft. Ich lugte, wie so oft, aus der Hosentasche. So verbringe ich den größten Teil meines Daseins. Und in klebrigen Kinderhänden. Nelsons Händen. Ich bin Samsung, sein Handy. Die Kirche war sein Zufluchtsort. Über den Mittelgang erreichten wir den Altar. Es war kühl. Roch nach Moder, altem Gestein. Wir krochen darunter. Nun begann für mich, was der Mensch surfen und spielen nennt. Nelson, neun Jahre alt, verkroch sich Tag ein, Tag aus in dem alten Gemäuer. Ich war schon ganz abgenutzt. Hatte ich doch einen Traum.
New York war mein Ziel. Bei einem Geschäftsmann vielleicht. An der Börse. Wichtig. In manikürten Männerhänden. Oder ein exklusives Hotel, an der East 57th Street.
“Verdammt“ jammerte Nelson. Er verlor das Spiel. Jetzt gab er die Suchfunktion ein. Tippte: PAPA. Er wirkte verzweifelter denn je.
Bei Señora Sanchez, seiner Mutter, herrschte Ordnung. Eine Matrone von Frau, in grober Hose, Strickweste und schweren Holzpantoffeln. Dennoch entgeht ihr, dass Nelson die Schule schwänzte. Bekam Señora Sanchez mich zufassen, wurde ich ausgeschaltet. Eine Schublade mit Schloss, unsanft hinein geworfen, fast jeden Abend. Dann lauschte ich den Stimmen, wie über den Alltag gesprochen wurde. Das Besteck klimperte. Gläser wurden gefüllt. Schmatzen. Nelson jammerte ständig. Fragte nach Señor Sanchez, seinem Vater. Die Mutter lenkte das Thema auf andere Dinge. Auffällig oft.
Einmal im Jahr kam ein Paket für Nelson. Im Vorletzten war ich. Wenn der Junge traurig war, nahm er mich aus der Kommode, lief auf die Anhöhe, wo das Gotteshaus aufragt. Die Internetverbindung war zügig hergestellt. Die Suchfunktion wurde mit Worten wie Papa, Señor Sanchez, gefüttert. Nelson, 9 Jahre alt, suchte bitterlich nach seinem Vater. Die letzten zwei Jahre lag ich Stunden in seinen Händen. In seinem Bett. Er ging nicht zur Schule.
Die beide lebten im spanischen Norden. Ein karges Häuschen mit Garten. Mutter Sanchez pflanzte Kartoffeln und Möhren. Ein knorriger Apfelbaum streckte tapfer die dürren Äste in die Luft. Die Lebensbedingungen waren hart für eine Frau ohne Mann. Nelson, ein stilles Kind. Die Señora das Gegenteil. Polternd, mit Putztuch und Besen bewaffnet, stolperte sie durch die Stube. Die Bettdecke über den Kopf gezogen, teilte er seinen Kummer mit mir. Tränen tropfen auf das Display. Wenn ich also meinen Traum von New York ein Stück näher kommen möchte, werde ich dem Jungen einen Deal vorschlagen. Ich finde den verlorenen Vater. Nelson schickt mich an eine Adresse in New York.
Eines Abends, Nelson und ich waren im Bad, gab ich mich zu erkennen. Vibration. Die Zahnbürste im Mund starrte er mich an. Noch nie hatte er eine SMS bekommen. Grabschend, mit feuchten Fingern bekam er mich zufassen. Drückte den grünen Knopf. Dann las er. Mein rechter Displayrand beschmiert mit Zahncreme. Mich ekelte.
Posteingang: Nelson, ich bin dein Handy. Du suchst deinen Vater. Ich helfe dir!
Ich fiel ihm aus den Händen, landete auf der Badematte. Frottee. Er wischte den Mund ab, hob mich auf, flitzte in sein Zimmer. Mutter Sanchez hatte ein kleines Licht angeknipst, warme Milch stand bereit. Ein Gutenachtkuss, die Türe wurde geschlossen.
„Hallo“, sprach er mich an.
Posteingang: Hör zu Nelson, meine Funktionen erlauben mir, nach deinem Papa zu suchen. Folge meinen Anweisungen. Wenn dein Vater gefunden ist, dann hilfst du mir. Abgemacht?
Mit Augen, so schwarz wie Ebenholz, blickte er mich an. „Okay“, kam dann.
So kleine Hände dachte ich. Fest umschlossen hielt er mich, schlief dann ein. Im Laufe der Nacht landete ich am Fußende des Bettes. Ich ging online. Startete mit dem Zentralregister Spaniens. Sanchez. 6500 Einträge. Nun gut, ich hatte Zeit.
Ein neblig kalter Morgen erwartete uns. Nelson wurde geweckt, mit Broten und Kakao bepackt zur Schule geschickt. Mich stopfte er heimlich in den Ranzen. Santa Maria la Mayor erreichten wir, als die Glocke acht Mal schlug.
SMS: Nelson lege mich unter den Altar. Du gehst zur Schule.
Er zog eine Schnute, verließ aber die Kirche. Sanchez. Nur zwei waren für uns interessant. Der eine, 29 Jahre alt, wohnhaft in Dublin. Der andere lag auf dem Friedhof. Die Suche im Register von Dublin ergab, dass der Mann dort geboren wurde. Ich rief die Seite der Friedhofsverwaltung auf. Señor Miguel Sanchez. Gestorben vor neun Jahren. Mir wurde übel.
Pünktlich, nach Schulschluss holte Nelson mich ab. Er war zappelig, ganz aufgeregt. Fragte, wo denn nun Vater sei.
Posteingang: Junge, bring mich zu deiner Mutter. Setz dich an den Tisch und warte.
Zuhause duftete es nach Fisch und Kartoffeln. Die Señora wirtschaftete in der Küche herum. Nelson legte mich auf die Anrichte. Sie zuckte zusammen, als ich aufleuchtete. Zögernd nahm sie mich.
SMS: Sagen sie ihrem Sohn die Wahrheit über seinen Papa. Er muss es wissen.
Unerwarteterweise hielt sie mich fester. Sie drehte sich, mit Tränen in den Augen zu Nelson um. „Du siehst ihm so ähnlich“, hauchte sie. Eine Ewigkeit später saßen beide eng umschlungen da. Nelsons Vater starb, als sie mit ihm schwanger war. Tieftraurig brachte sie es nicht übers Herz, dem Jungen zu gestehen, dass sein Vater tot war. Sie schickte zu jedem Geburtstag ein Paket. Ich schaltete mich ab. Und ich blieb bei Nelson. Jetzt surft er für Dinge, die ihm in der Schule nützen.
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