„Hörst du mir eigentlich zu?“, meine Stimme klang schrill und zitterte leicht. Von meiner Frage aufgeschreckt nickte er leicht, doch ohne den Kopf zu heben und mich anzusehen. Langsam wurde es dunkel, und ich fröstelte, doch er merkte es nicht. Wie gebannt starrte er weiter auf sein neues I-Phone. Den Blick abwendend sah ich mich um, die Äste der Bäume bewegten sich leicht im Wind. Die Bewegung, die bei Sonnenschein erfrischend und freundlich wirkte, erschien mir jetzt geisterhaft und böse. Denn Schatten der Bäume schienen nach mir zu greifen, und ein Schauder lief mir den Rücken hinunter. Ich erhob mich, um zu sehen, was er tat. Er schrieb einen Facebook-Post, und seine Finger glitten in Windeseile über den Bildschirm. Ich las. Und eine rasende Wut erfasste mich, breitete sich in mir aus, mein ganzer Körper schien zu brennen, ein scharfer Wind blies mir im selben Moment ins Gesicht und meine Haare flatterten. „Romantischer Abend!“, schrie ich. „Wie kannst du so ein Zeug schreiben? Es stimmt nicht. Außer du meinst ein romantischer Abend mit deinem Handy! Denn das scheinst du mehr zu lieben als mich.“ Als ich fertig war, verebbte die eben noch unbändige Wut und verwandelte sich in Verzweiflung und Trauer. Eine tiefe, alles lähmende Trauer, und Tränen stiegen mir in die Augen. Ich wandte mich ab, ging ein paar Schritte und drehte mich wieder um. Der Schein das Touch-Screens zeichnete verschwommene Formen auf seine teilnahmslosen Züge. Nun hob er den Kopf, das erste Mal seit einer Stunde löste er den Blick von seinem Smartphone. „Du heulst?“ Seine Stimme klang irritiert und herablassend. „Ja“, schrie ich. „Immerhin habe ich noch Gefühle. Ich lebe noch in einer realen Welt, in der man noch wirklich fühlt, und in keiner Illusion. Ich spreche mit den Menschen, mit denen ich in der Wirklichkeit zusammen bin, und kommuniziere nicht unablässig über soziale Netzwerke.“ Mein Redestrom versiegte, ich drehte mich um und verließ ihn. Er sagte nichts, rief nicht und tat auch sonst nichts, um mich zurückzuhalten.
Eine Stunde später betrat ich mein Zimmer, griff nach meinem Smartphone und änderte meinen What´s-App-Status von einem roten Herzen in ,Liebe kann man nicht kaufen, doch manchmal muss man für sie bezahlen´, als ich innehielt. Die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag ins Gesicht. Ich war nicht besser. Ich war ebenso abhängig von den Meinungen anderer wie mein Ex-Freund. Ich teilte meinen Liebeskummer direkt den Anderen mit. Ich wollte, dass es alle Welt wusste, wie es mir ging, was ich tat. Ich war gefangen in der Welt der neuen Medien. Wir alle waren es, angewiesen auf die Kommentare der Außenwelt. Wir entwickelten nur eine Art Selbstwertgefühl, wenn unsere Fotos „geliked“ wurden, wir entdeckten unseren schönen Seiten, nur wenn Andere sie vorher entdeckten. Wir waren alle abhängig, oft von Menschen, die wir nicht einmal kannten. Sie konnte schön sein, diese neue Welt. Eine Welt, in der es keine Rolle spielte, wo auf dem Erdball man lebte. Doch sie konnte euch grausam sein, eine Welt, in der es keine wahren Gefühle mehr gab, in der man hahaha schreib, obwohl man nicht einmal ein bisschen amüsiert war, nur das war, was der andere lesen wollte. Eine Welt, in der man sein konnte wer man wollte. Eine Welt in der man ein zweites Ich erschaffen konnte.
Ich sah mich um, der Bus war ziemlich leer, die wenigen Schüler, die darin saßen, unterhielten sich zwar mit den Menschen in ihrer Umgebung, doch trotzdem tippten sie auf ihren Handys oder hörten mit einem Ohr Musik. Ich starrte auf mein Smartphone, ließ mir die gestrige Szene nochmal durch den Kopf gehen. Mir wurde klar, dass ich überreagiert hatte, mir wurde aber auch klar, dass die Erkenntnis, die ich über die neuen Medien hatte, dieselbe war, die meine Eltern mir immer vorbeteten. Doch jetzt wo ich Zeit hatte meine Ansichten zu korrigieren, wurde mir bewusst, dass ich das alles brauchte. Spiele, in denen ich richtig gut war und in die ich mich flüchten konnte, wenn ich nirgendwo sonst Anerkennung bekam, und die Möglichkeit, Menschen zu schreiben, zu denen ich sonst schon längst den Kontakt verloren hätte. Es war Zeit, das richtige Maß zu finden, ich lächelte und schrieb: „Es tut mir leid!“ Eine Minute später bekam ich eine Antwort, ein weiterer Vorteil, wenn man immer online war, man musste auf die Antwort nie lange warten.