Die Nachricht

Beitrag zum Schreibwettbewerb "Total digital" von Katharina, 29 Jahre

Zieh dein tshirt aus

Die Worte der Chat-Nachricht standen da wie eingebrannt auf dem kleinen Touchscreen ihres Smartphones. Sie spürte ein Kribbeln im Bauch und wusste nicht: war das Aufregung, Unwohlsein oder Verliebtheit?  Wahrscheinlich alles auf einmal.

Na los

Immer wenn sie nicht sofort auf seine Nachrichten antwortete, wurde er ungeduldig. Er konnte ja sehen, dass sie on war.

Moment

schrieb sie schnell, um sich Zeit zu verschaffen. Dann schmunzelte sie kurz und schob hinterher:
Hab ich

Auch den bh?

Während sie
Ja
antwortete, sah sie an sich hinab. Unter dem gelben T-shirt, das sie bisher anbehalten hatte trug sie einen Bustier, obwohl da noch nicht viel war, was gehalten werden müsste. Ihre Freundinnen waren da schon weiter, und wie in so vielen Dingen hinkte sie hinterher. Doch jetzt hatte sie IHN. Er war nicht so kindisch wie die Jungs aus ihrer Klasse, mit denen sie sonst manchmal schrieb. Man konnte sich richtig gut mit ihm unterhalten. Dabei war er auch erst 15 und somit nur 2 Jahre älter als sie. Und er interessierte sich wirklich für sie. Fragte, wie es ihr geht, verstand es, wenn sie Streit mit ihren Freundinnen hatte und war einfach immer da, wenn sie ihm schrieb. Im Gegensatz zu ihrer Mutter, die ihr nie richtig zuhörte und sie behandelte wie ein Kleinkind. Da war es dann auch ok, wenn er sowas schrieb. Er musste ja nicht wissen, dass sie nie wirklich tat, was er verlangte.
Obwohl sie schonmal darüber nachgedacht hatte, ob sie es nicht doch mal versuchen sollte, sich da unten anzufassen. Aber nein, dafür fand sie sich noch zu jung. Schon bei der Vorstellung kam sie sich albern vor. Er konnte ja nicht wissen, dass sie nicht 15, sondern gerade erst 13 geworden war.
Und das sollte er auch nicht erfahren. Ihre Profilbilder waren sorgfältig ausgewählt, sie war gut gestylt und geschminkt und man konnte nur ihr Gesicht erkennen. „PING!“ machte das Smartphone laut.

Ich will dich sehen

Das war neu. Was meinte er damit? Wollte er ein Treffen? Ihn endlich sehen, seine Hand halten, in den Arm genommen werden – davon träumte sie schon lange. Aber er hatte immer Ausreden, warum es nicht ging, auch nicht in den Ferien. Naja, Bayern war ja auch ganz schön weit weg von Hamburg und sie konnte auch nicht so einfach dahin fahren. Obwohl sie dafür sparte, seit ihre Mutter ihr verboten hatte, weiterhin mit ihm zu chatten. „PING!“

Mach ein foto
Jetzt?
JA!
Geht nich meine ma kommt muss schnell

Sie brach das Schreiben ab, damit er keinen Verdacht schöpfte. Sie warf das Handy aufs Bett. Mit dieser Notlüge würde sie nicht lange durchkommen, das ahnte sie. Und schon folgte das nächste „PING!“. Die Neugier siegte und sie nahm das Gerät wieder in die nun leicht zittrigen Hände.

Hoffe deine mutter hat nix gemerkt. Machst du das foto wenn sie weg is? Muss dich sehen, ich  liebe dich so sehr!

Hinterher kamen noch drei Herzen. Ihr eigenes Herz schlug ihr bis zum Hals. „Er liebt mich, er liebt mich, er liebt mich“ war der einzige Gedanke, der in ihrem Kopf ankam. Wie ferngesteuert ging sie ins Bad und schloss sorgfältig die Tür.