Ein neuer Star?
Wer oder was gecastet wird ist eigentlich egal, das Prinzip ist immer das gleiche: böses, böses Jurymitglied macht Kandidaten nieder. Bitterböses über Castingshows im deutschen Fernsehen.
Eigentlich wollte ich eine ordentliche Party feiern...
Samstagabend 20:15 Uhr. Eigentlich wollte ich den Freuden des gesellschaftlichen Lebens frönen und mit dem Rest der verdorbenen Jugend unserer beschaulichen Kleinstadt eine ordentliche Party feiern. Ich machte mich also auf den Weg, eine Freundin von zu Hause abzuholen. Es sah ganz danach aus, dass wir einen gelungenen Abend verleben würden. Meine Freundin wollte nur noch einmal eben auf die Toilette. Ich setzte mich für einen Moment zu ihrer Mutter ins Wohnzimmer. Letztendlich durfte ich jedoch Zeitzeuge eines bedeutenden Moments der Fernsehgeschichte werden. RTL sucht das Supertalent. Die vielen talentfreien und somit in dieser Show dem Namen nach falsch platzierten Menschen, die ohne Rücksicht auf den Verlust ihrer Würde versuchen, die Jury zu begeistern, wirkten anfangs ein wenig befremdlich auf mich, doch als sich dann eine leicht bekleidete Dame (sie verzichtete gänzlich auf Unterwäsche) mit lipophilen Hüften, geschätzte 43 Jahre alt, mehr oder weniger im Takt zu Christinas Aguileras Car Wash bewegte - sofern man bei den epileptisch anmutenden Regungen ihrer Gliedmaßen noch von Bewegungen sprechen konnte - hatte mich das Fernsehen in den Castingshowbann gezogen. Selbst ein am Haus vorbeiführender brasilianischer Karnevalsfestzug hätte mich jetzt nicht mehr dazu bewegen können, mich aus dem Sessel zu erheben, geschweige denn eine Party in einer popligen kleinen Bar, die im Vergleich zu diesen geistigen Hochgenüßen so interessant erschien wie eine Stunde Lateinunterricht.
Das Volk sitzt mit offenem Mund vor dem Fernseher und ist schwer beeindruckt
Also blieb ich sitzen. Meine Freundin auch, sowie ihre kleine Schwester. Wie die alten Römer im Kolosseum freuten wir uns über die Perversitäten des deutschen Privatfernsehens, als würde ein Löwe einen Menschen zerfleischen, nur dass der Löwe ein sadistisches Jurymitglied ist und der Mensch... naja, lassen wir den Gedanken. Dabei gilt es jedoch zwischen den verschiedenen Unterhaltungstypen der Kandidaten zu unterscheiden, denn sie spielen auf ganz verschiedene Teile unseres eigentlich gar nicht so komplexen Unterhaltungszentrums an. Da gibt es die lächerlichen, jedoch äußerst selbstbewussten Nichtskönner, die an unser Peinlichkeitsempfinden appellieren und ein gewisses Gefühl der Überlegenheit in uns hervorrufen. Kurz: Diese Menschen machen sich total zum Affen und wir empfinden darüber eine unglaubliche Schadenfreude und sind nicht zu letzt froh, nicht selbst der Depp da vorne zu sein. Schadenfreude ist jedoch nie von langer Dauer und so ist der Auftritt dieser Personen auch nur für einen kurzen Augenblick unterhaltsam, und vielleicht noch wenn das hauseigene Boulevardmagazin am nächsten Mittag darüber berichtet. Sie werden also aussortiert. Ein anderer Teil der Kandidaten überzeugt tatsächlich durch echtes Talent wie die Sangeskunst eines netten, fröhlichen Mädchens mit schwedischer Herkunft, überragendes tänzerisches Können zweier Ausdruckstänzer, die schon seit ihrem 8. Lebensjahr zusammen trainieren oder die Fähigkeit eines etwas seltsam drein blickenden Mannes, zwei Glaskugeln mit den Ellenbogen überkreuzt durch die Luft zu werfen und mit den selbigen auch wieder aufzufangen. Das können die meisten von uns nicht. Das Volk sitzt mit offenem Mund vor dem Fernseher und ist schwer beeindruckt. Dann gibt es noch die, die eigentlich nichts können, jedoch eine unglaublich tragische Vergangenheit haben, die die RTL Redaktion in einer kurzen Filmszene auch ordentlich auszuschmücken und hervorzuheben versteht.
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Autorin / Autor: faba - Stand: 2. Juni 2009