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Beitrag zum Schreibwettbewerb "Total digital" von Leah (14)

„Ich will dich.“
Manchmal spüre ich *es*. Wie *es* mit seinen kitzeligen, starren Fingern  in meinen Gedanken umherkrabbelt. An ihnen herumpfuscht.  Knisternde Hitze entfacht, im Versuch sich Zugang zu verschaffen. Die schlechten Gedanken einfach ausreißt, - als seien sie Unkraut, das die blühenden Knospen unter sich begräbt-um dann neue in meinen Kopf einzusetzen.  Gute, Reine, beim ersten aufglühen der Funken. Sorgen, und ein schlechtes Gewissen, beim Zweiten.
Ich kann mich nicht wehren. Die Erkenntnis, um die ich noch ringe, wird sowieso von *ihm*, im Keim erstickt.  Ich möchte die Erkenntnis eigentlich gar nicht durch die Tür zu meinem Verstand lassen. Sie soll einfach draußen bleiben. Wieder weggehen. Damit alles simpel und schnell verlaufen kann. So, wie es mir immer von *ihm* versprochen wird.
Die Erkenntnis kann vor der Tür mit beiden Fäusten hämmern, kreischen, heulen und um sich schlagen so lange sie möchte - die Tür bleibt verschlossen. An allen Ritzen und Ecken zugeschweißt. Der Schlüssel von einem endlos tiefen Schacht verschluckt. Zu diesem Zeitpunkt, hat Nichts, das mich davon abhalten könnte *ihm* zu folgen, auch nur den geringsten Hauch einer Chance,  sich an mich heran zu schlängeln. Die Flammen, die *es* entfacht, zu löschen. Sie zu ersticken.
Mein Gehirn ist dann nämlich schon wie ausgebrannt, von dem lodernden Feuer in mir. Ich bin selbst kein einfacher Funke mehr, den es anfangs anzuschüren versuchen zu galt, sondern eine züngelnde Flamme, die brennt und zischt: *Es, es, es*!
Deshalb gehorche ich. *Es *lässt mich im Glauben, *es*  sei das einzige, was mir in dieser Situation noch helfen könne. So funktioniert das nun mal. Ich bin nur eine Batterie, die *es* benötigt um sich selbst immer weiter anzutreiben. Immer größer und stärker zu werden, bis *es*  mich fast gänzlich ausgesaugt hat. Unabhängiger von mir wird, während ich mich in eine leere Hülle verwandle, die ohne *es* nicht mehr sein kann. Und das ist traurig. *Es* kann dabei nämlich so widerlich Lächeln, - da *es* genau weiß, das ich denke, dies alles sei genau umgekehrt -, während  *es*  in einem kleinen Eckchen in meinem Gehirn weiterhin seine selbst eingepflanzten Gedanken gießt.
„Ich will dich.“
Schlafen, essen, trinken, sprechen,  lernen, lieben, atmen. Leben.
Ich bin immer online. Tag und Nacht. Manchmal bin ich im Energiesparmodus.  Oder mir wird plötzlich der Akku entzogen. Ab und zu muss Ich herunterfahren.
Ich will online sein. Den schnellsten Browser und am meisten Speicherplatz, die besten Daten besitzen. Mich interessiert immer viel zu sehr was mit den anderen ist : Wie viele Liker haben sie? Was sagt ihr  Status? Wer möchte alles mit ihnen befreundet sein? Wer ist angesagt und wer nicht?
Mich überkommt das Gefühl, mich mit ihnen messen, mich beweisen zu müssen.
Und wer könnte mir dabei besser helfen, als der meistgeliebte,  populärste und allwissendste Freund, den ich habe?
Ein paar Tasten hier, ein paar Klicks da - und schon gelingt es mir mitzuhalten, oder mich von den anderen abzuheben: Ich habe plötzlich viel weniger Grenzen. Die hohe Mauer, die sich sonst wie eine zweite Haut um mich gelegt hat, stürzt ein. Das Gefühl alles erreichen zu können, ohne dafür auch nur meinen Arm ausstrecken zu müssen ist unglaublich. Setzt mich in Ektase.
Ich habe plötzlich einfach alles und jeden um mich.
Weil *es* alles ist: Mein bester Freund. Meine große Liebe.  Mein Lehrer. Das Haustier, das ich nie gehabt habe. Die Unterhaltung, die ich nicht bekomme. Einer meiner engsten Vertrauten. Mein Instrument. Meine Musik.  Kaltes, stürmisches Wetter an heißen Sommertagen. Das Meer, an dem ich noch nie gewesen bin. Mein nächster Winterurlaub. Mein Fitnessstudio. Mein ganz persönliches Einkaufszentrum. Mein Tagebuch. Mein Rückzugsort. Meine Welt.
*Es* weiß alles über mich. Alles was ich ihm erzähle, preisgebe - Nur das, was ich möchte. Und *es* weiß was ich will. Was ich brauche. Es ist alles so einfach. Sipmel. Witzig. Lol. *Es* ist ein Guter Lügner.
*Es* nährt mich. Ich gehöre ganz *ihm*. Nehme die vielen kleinen Pixel, die *es* mir täglich vor Augen führt, in mir auf. Atme sie ein, als seien sie Luft, Sauerstoff. Speicher sie ab. Bis ich selbst ganz diffus bin. Mich in dieser anderen Welt…dort, wo alles so fein, deutlich und unveränderlich ist nicht mehr wohl, nicht mehr zurechtfinde.
Ich sollte meinem Lehrer nicht mehr glauben, bevor ich das, was er mir da erzählt nicht bereits selbst mit ihm nachgeschaut habe. Wieso kann ich die Leute die mich hier nerven nicht einfach blockieren?  Wo sind meine ganzen Follower und Freunde geblieben? 
Ich bin da. Existent. Ansprechbar. Sichtbar. Lebendig. Und dennoch habe ich das Gefühl mich im offline-Modus zu befinden. Bin gespalten. Wenn ich wirklich online bin, da bin, wo alle anderen auch sind, sein müssen – physikalisch betrachtet - , an dem Ort, von dem uns nur unsere Gedanken, unsere Fantasie trennen, fernhalten, wenn nicht sogar beschützen können…. Dann bin ich in der anderen Welt nicht verfügbar.
Ausgeschaltet. Und ich beginne *es* zu vermissen.
Aber dann kommt Wirrnis in mir auf.
Ist es richtig *ihm* zu glauben? *Ihm* zu vertrauen? *Ihn* als Freund zu bezeichnen?
Wird *es* zu mir halten? Oder wird *es *mir eines Tages in den Rücken fallen, mich im Stich lassen?
Lol. Rofl. XD.  Es ist lachhaft, dass ich so etwas denke.
Egal ob der Draht, den ich zu *ihm* aufgebaut habe zu einem bestimmten Zeitpunkt nur so vor Stabilität stutzt oder gar zur vollkommenen Labilität neigt, die Verbindung hält.
Es wird auf beiden Seiten verbissen umklammert, als sei *es* das letzte Rettungsboot, das von einer Insel führt, die zu sinken droht. Und *es* nimmt immer mehr und mehr Draht auf, bis das Seil kürzer und kürzer wird, ich näher und näher rücke. *Es* mich packen kann, damit ich mit *ihm* verschmelze, und selbst Teil dieser Hand, Teil von *ihm* werde. Abe ich bin schon längst Teil dieser Hand.  *Es* schon immer gewesen.
*Es, Es, Es.*
Und wo stecke ich nun in all dem? In all dem *Es*, in all *ihm*?
Lmfao. Wie gesagt es ist ein Witz.
Ich bin nur ein winzig kleiner, vermutlich nichtiger Splitter eines gigantischen Bilds. Ein verschwommenes Mosaik, aus Portraits konturloser Gesichter.
Und es ist als habe jemand das Kunstwerk verwischt, versucht, einiges in ihm zu vertuschen. Damit es nicht wieder erkannt, wieder gefunden wird.
Ich befinde mich jeden Tag vor dem nebulösen Spiegel. Vis-a-vis mit der Verzehrten Version meiner Selbst. In dem schemenhaften Anblick, bin ich schwer zu erkennen. Ich finde keine Ähnlichkeit, die dem entspricht, wer ich bin. Nur dem, was ich wünsche zu sein.  Zur einen Hälfte meine pixelige Persönlichkeit, die ich jederzeit neu gestalten kann,  und zur anderen mein klares, unveränderliches Ich. Einigen Menschen gelingt es ihre undurchsichtige, schwammige Hälfte zu einer Präzisen umzustellen.  Sie sehen sich selbst plötzlich nicht mehr verschwommen, sondern in Details.
Erscheinen anderen Leuten jedoch total verstreut und undeutlich. Distanziert.
*Es* trennt also. Sorgt dafür, dass ich unter *seine* warme Decke krieche, damit ich draußen, in der sozialen Kälte nicht erfriere. Dabei hat *es* den Schneesturm selbst verursacht.
*Es* setzt Grenzen. Obwohl es mir versprochen hat, dass es keine Grenzen mehr für mich gibt.
*Es* Überwacht mich stetig. Will überall mit hin.
Mein Handy ist das höhnische Kichern auf einer Beerdigung. Der Fernseher das Nuscheln eines umgangenen Gespräches. Mein Laptop der moderne Altar, den ich anbete, voll von meinen persönlichen Fetischen und Götterbildern. Das Schulkonzert erscheint mir im Gegensatz zu den Liedern auf meinen Play Lists wie ein schlechter Witz. Leute die versuchen mir etwas beizubringen halte ich plötzlich für dumm, und die Umgebung ist ohne einen Filter oder ein Bearbeitungsprogramm so öde und langweilig.
Undsoalso ist es offensichtlich. Ich klammere mich an *es. Es* klammert sich an mich.
Wir wollen beide sichtbar bleiben. *Es* will seine Lücken mit mir füllen. Ich möchte in dem bunten Durcheinander um mich nicht untergehen. Wir helfen uns gegenseitig. Wir sind ein gutes Team. Mit all unseren Wahrheiten und Lügen. Das eine, macht das andere möglich.
„Ich will *es*“

Autorin / Autor: Leah