Vom Skater zum Kätzchen
Veränderung bedeutet, erwachsen zu werden und nicht unbedingt gelebte Inkonsequenz!
Zappte man sich 2001 durch die Musiksender, so kam man an einer jungen Dame nicht vorbei: Avril Lavigne. In Knickerbockerhose, geripptem Unterhemd und Karo-Krawatte rollerte sie auf ihrem Skateboard über Halfpipes, während sie dem Zuschauer rülpsend ihren Mittelfinger entgegen streckte und mit provokantem Grinsen verkündete, die neue „Anti-Britney“ zu sein. Damit löste die junge Kanadierin einen neuen Trend aus: Mädchen aus aller Welt stylten sich so androgyn wie möglich, klauten den Vätern den Sonntags-Schlips aus dem Schrank und benahmen sich so flegelhaft wie nur möglich. Auch in der Musikszene kam es zu Nachahmern, so zum Beispiel Ashley Simpson, welche mit schwarz gefärbten Haaren und Nietengürtel auf ihrer E-Gitarre herum schrammte und sich und ihren Fans schwor, sich niemals in ein Popsternchen verwandeln zu lassen. Umso größer war das Entsetzen bei den Anhängern der beiden Sängerinnen, als Avril ihre Haare blond färbte, sich im Designerfummel über Rote Teppiche bewegte und sich plötzlich mit Glitzer und Glamour umgab. Auch Ashley überraschte wenig später mit platin-blonder Wallemähne, rosa Kleidchen und operiertem, gepudertem Näschen. Ein Skandal! Die Fans fühlten sich veräppelt und belogen – zu Recht.
Von der Baggy- über die Gothic- zur Hello Kitty-Phase
Ich finde jedoch, nach der ersten Enttäuschung sollte man sich einmal selbst betrachten. Wie oft hat sich der eigene Geschmack, der eigene Stil in den letzten Jahren geändert? Ich für meinen Teil kann mich noch daran erinnern, dass ich zuerst eine „Jungen-Phase“ durchlebt habe. Ich habe Kapuzen-Sweater, Boxershorts unter zu weiten Baggy-Pants und Skaterschuhe an den Füßen getragen, meine Haare abgeschnitten und mich mit Männerduschgel und –shampoo gewaschen. Als nächstes kam ich in die Gothic-/Punk-Phase. Ich färbte meine Haare tiefschwarz, schminkte mir täglich Smokey-Eyes, bepinselte meine Fingernägel dunkel und zog mich – na klar – schwarz an. Ich wickelte mich in Nietengürtel, dekorierte meine Taschen mit Sicherheitsnadeln und dicken Ketten und legte mir Katzenhalsbänder (mit Glöckchen) um den Hals. So klapperte, schepperte und bimmelte ich meiner Wege. Ich wurde vom Chef meiner Mutter des Satanismus bezichtigt und von den Eltern meiner Freundin als „schlechter Umgang“ bewertet. Als nächstes kam meine „Klein-Mädchen-Phase“ an die Reihe. Süß aussehen war nun das oberste Ziel. So wurden alle Klamotten plötzlich rosa, babyblau und weiß. Hello Kitty wurde mein neues Maskottchen, außerdem musste alles an mir pink glitzern: Die Fingernägel, der Lidschatten, der Lipgloss… Als ich zu dieser Zeit an einem unglücklichen Tag mein Handy in der Schule verloren hatte, wurde ich allein durch die Handyschale als rechtmäßiger Besitzer identifiziert: Man fand ein rosa Handy mit glitzerndem, hellblauen Hello Kitty-Logo und silbernen Tasten. Es heißt, man habe in Sekundenschnelle gewusst, wem das Handy gehört… Eine der letzten war schließlich meine „Tussi-Phase“. Hello Kitty wurde vom Playboybunny abgelöst, die Oberteile wurden bauchfrei, die Dekolletés wurden tiefer, die Jeans enger, die Schuhe höher und das Make-Up dicker. Alle halbe Stunde wurde der Taschenspiegel gezückt und in den Pausen verschwand man in den Toiletten, um sich die Haare zu bürsten und die Wimpern zu tuschen. Seit dieser Phase kann ich genau sagen, in welchen Kaufhäusern die Spiegel und das Licht am vorteilhaftesten sind. Im Nachhinein denke ich, dass es wichtig ist, verschiedene Phasen zu durchleben. Nur so kann man seinen Geschmack richtig ausbilden und für sich selbst das Beste raussuchen. Ich zum Beispiel habe heute einen viel erwachseneren Stil, mag zum Beispiel weiße Blusen oder T-Shirts zu Jeans und Turnschuhen oder Pumps, also ganz schlicht, am liebsten. Mit den Sachen von meinem Freund dusche ich aber heute immer noch gerne, ich finde dunkle Haare immer noch gut, ich hab eine Hello Kitty-Halskette und „tussig“ bin ich immer noch, nur nicht mehr so extrem wie früher. Aber gerade diese Mischung macht einen individuell.
Ich denke, dass das für alle Sinn macht. Auch für Mädchen wie Avril Lavigne und Ashley Simpson. Und so lange sich der Mensch selbst nicht ändert, sondern nur der Look, ist dies kein Zeichen von gelebter Inkonsequenz, sondern vom erwachsen werden.
Autorin / Autor: maike, - Stand: 30. November 2007