Kabine 23a lag neben Kabine 23b, gefolgt von Kabine 23c, ihr wiederum diente Kabine 23d als Nachbar und so weiter und so weiter. Eine endlose Aneinanderreihung. Graue Wände auf grünem Linoleumboden. Schwarze Schreibtische mit weißen Computern.
An jedem Arbeitsplatz saßen Männer, Frauen, Bots und Dinge, die ihre Arbeit verrichteten oder auch nicht.
Einige aßen, was streng verboten war, andere starrten auf Bildschirme, was ebenso wenig erlaubt war, es sei denn, man gab irgendwelche Geräusche von sich, die darauf deuteten man sei mit wichtigen Dingen beschäftigt. Jeder stand unter Beobachtung.
Ausser die Bots, materialisierte Computerprogramme, geschaffen um jegliche Art von Arbeit zu verrichten. Sie brauchten keine Pause. Sie mussten nicht essen und sicherlich würden sie auch nie streiken. Jeder hasste sie. Sogar die Dinge.
Und Frank auch.
Er arbeitete, oder vegetiert, wie er es ausdrückte, in Kabine 46 f, genau zwischen zwei von diesen Computerprogrammen. Sie waren ihm zuwider.
Ihre Körper wirkten dünn und blass, fast durchsichtig, nur billige Kopien.
Außerdem redeten sie nie, so dass eine Unterhaltung, die den tristen Alltag aufgelockert hätte, nicht möglich war. Reaktions- und seelenlos waren die.
Einmal hatte er dem Bot aus Kabine 58f, die ihm genau gegenüber lag, den ganzen Tag Papierkügelchen an den Kopf geworfen, mit dem Ergebnis, dass er in diesem Monat auf Grund von Papierverschwendung, eine Gehaltskürzung bekommen hatte, außerdem hatte man ihm seinen Computer weg genommen und ihn gegen zwei Lampen ausgetauscht, die es nun zu beobachten galt. Eine Grüne und eine Rote. Sie anzustarren war noch langweiliger als den Computer.
Frank rieb sich seine angegrauten Schläfen. In den letzten Tagen hatte er nicht viel Schlaf bekommen. Marlene war nun endgültig ausgezogen. Eine Entwicklung die auf langer Sicht absehbar gewesen war. Sie hatten einfach nicht zu einander gepasst. Genauso wenig wie Susanne, Barbara und die etlichen Anderen mit denen er ausgegangen war. Alle teilten einhellig die Meinung: Er sei zu langweilig. Hätten sich alle seine Verflossenen auf einer Cocktailparty getroffen, sie wären bestimmt zu dem Schluss gekommen, dass es niemanden gab der einschläfernder oder ermüdender gewesen war.
Die grüne Kontrolllampe flackerte.
Frank tippte sie mit den Fingern an, so dass sie wieder durchgängig leuchtete. Auch hochmoderne Technik krankte an kleinen Dingen.
Er betrachtete sein Hände, suchte sie nach Altersflecken ab. Mit Mitte vierzig musste man auf solche Dinge achten. Seine langen, knochigen Finger wollten so gar nicht zum Rest passen. Sie wirkten wie Fremdkörper an einer viel zu kleinen Hand, die wiederum in einem schrecklich dünnen Arm endete. Ein schlaksiger Körper und Plattfüße vollendeten das Bild des Elends.
So sah er sich. Ein Wunder, das er überhaupt eine Freundin abbekommen hatte. Dasselbe galt für diesen Job hier: Fachangestellter, 2. Ordnung, Subabteilung Einstellungscontrolling.
Irgendwann, in grauer Vorzeit, hatte er Mathematik studiert. Er konnte gut mit Zahlen umgehen. Doch sein nicht vorhandener Ehrgeiz bremste ihn immer wieder. Seine Mutter meinte zwar er sei zu höherem berufen, doch hatte er diesen Ruf nie vernommen.
Frank fühlte sich so unbedeutend, dass er sich sicher war , wenn er sich eines Tages seiner Existenz bewußt würde, würde er sich auflösen, oder sein Kopf würde platzen.
Wahlweise.
Die grüne Kontrollleuchte flackerte abermals. Wieder tippte er daran. Das Neongrün flammte kurz auf und leuchtete dann durchgehend.
Frank sah auf die Uhr. Zeit für seinen tariflichen Toilettengang.
Gestern Abend hatte er seine wiedergewonnene Freiheit ausgiebig gefeiert und neben einem mächtigen Schädel auch einen unbändigen Harndrang bekommen. Er schob seinen Stuhl zur Seite und verließ schwerfällig seine Kabine.
Mit einem Flimmern und Surren begann die rote Kontrollleuchte zu leuchten.
Er bemerkte es nicht. Und Panik wäre eine angemessene Reaktion gewesen.
Nachdem Frank sein Notdurft verrichtet hatte, schlurfte er zurück, weiter in bittersüßen Gedanken des Selbstmitleids hängend. Ab und zu nahm er den Kopf hoch, um in die einzelnen Kabinen zu schauen.
Es sah Bots. Sie starrten ihn an.
Sein Augen registrierten es, sein Hirn nicht.
Er latschte durch einen breiten Gang, blieb kurz stehen, stutzte, schüttelte den Kopf und setzte seinen Weg fort.
Irgendetwas war anders. Zäh wie Kaugummi, bahnte sich diese Information einen Weg zu seinen Synapsen.
Die Luft flimmerte. Das war nicht ungewöhnlich, denn das Elektromagnetische Feld des Akkus strahlte hier unten besonders stark, einer der Nachteile wenn man im Inneren dieser Geräte arbeitete. Doch irgendetwas schwang mit. Vielleicht nur ein Gefühl, oder eine Alltagsparanoia
Frank drehte sich um.
Bots standen überall im Flur und in ihren Kabinen und starrten ihn an.
Entsetzt. Ängstlich.
Plötzlich begann einer von ihnen zu Schreien. Ein schriller, betäubender Lärm. Das Geräusch griff nach Franks Hirn, kratzte an ihm, quetschte es.
Er schrie mit, konnte nicht anders. Er begann zu rennen. Zurück in seine Kabine.
Da sah er es.
Die Kontrollleuchte strahlte in einem Kirschrot.
Ein folgenschwere Fehler.
Kein Controller durfte seine Platz alleine lassen. Jemand hätte aufpassen müssen, als er auf der Toilette war.
Sein Supervisor hetzte um die Ecke.
„Was soll der Lärm!“
„Enduser 23b-5 hat sein Handy, also praktisch, sagen wir mal,… verloren.“, stammelte Frank.
„Was meinen sie mit verloren.“ Ungläubig starrte der Supervisor auf die Kontrolllampe.
„Naja, er scheint es weggeworfen zu haben.“
„Häh?“ Zu mehr schien der Supervisor nicht im Stande.
„Es fällt.“, antwortete Frank. „Oder besser gesagt wir fallen.“
„Notfall Plan, Zero! Notfall Plan, Zero!“, schrie sein Gegenüber mit hochrotem Kopf.
Frank ließ sich in seinen Stuhl fallen. Er überprüfte die Leuchte und sah auf seine Uhr.
„Zu spät.“, seufzte er. „Fünf Minuten zu spät.“
Wie auf Kommando begann alles zu wackeln.
Was für ein Ende, eines echt beschissenen Tages, dachte Frank, bevor alles über ihm zusammenbrach.