Das Buch inspiriert zu mehr Sorgfalt einerseits und mehr Freiheit andererseits in der Fotografie.
Wen beeindrucken sie nicht, die Fotos, die man tagtäglich in Modezeitschriften und Werbeanzeigen sieht? Manchmal will man selbst zur Kamera greifen, sich ein paar Freunde schnappen und Fotos inszenieren gehen. Nur – warum bloß sieht man auf seinem eigenen Passfoto immer so schrecklich aus? Und wieso gelingt es einem nie, eine vernünftige Gruppenaufnahme zu machen? Ist das letztendlich doch eher etwas für Profis, und sollte man für ein gutes Passfoto doch lieber zu einem Berufsfotografen gehen?
In „Menschen sehen“ geht es nicht um die Frage, ob man das Fotografieren lieber den Profis überlassen sollte – im Gegenteil. Das Buch spricht keine speziell ausgewählte Gruppe an, sondern jeden, der an Portraitfotografie interessiert ist und sich darin weiterbilden, etwas nachschlagen, Anregungen oder Tipps suchen will. Übersichtlich in Kapitel gegliedert, lassen sich die einzelnen Bereiche rasch nachschlagen und bieten so klare Aufteilungen in die einzelnen Genres der Menschenfotografie und Bereiche um Perspektive, Licht, Format und Ausrüstung. „Menschen sehen“ beschäftigt sich mit allen Arten der Portraitfotografie und stellt mit zahlreichen farbigen Beispielen und ausführlichen Anregungen die vielseitigen Genres eines speziellen Fotografiegebiets dar. Mit über 250 Seiten umfasst das Buch nahezu lückenlos Grundlagen, Anweisungen und Tipps, Beispiele und Denkanstöße für Profil, Menschen in Umgebung über Gruppenfoto bis zu Aktfoto. Zu den Bildern sind jeweils Brennweite, Belichtungszeit und Blende angegeben. Wer meint, in einem „Portrait-Fotokurs“ würden nun hauptsächlich die steifen, altbekannten Regeln vermittelt, wie beispielsweise ein Passfoto auszusehen habe („bloß nicht lächeln“) oder ein Gruppenfoto („alle in die Kamera schauen und lächeln“), den belehrt dieses Buch eines Besseren. Mit interessanten, frischen Perspektivenansätzen oder Anregungen zum Licht- und Farbspiel lassen sich mit ein bisschen Übung und Kreativität aus vielen Anstößen tolle Inszenierungen und Schnappschüsse machen.
Besonders angenehm sind außerdem die vielfältigen und abwechslungsreichen, sehr gelungenen Fotobeispiele, die in vielen anderen Fotokursen zu knapp oder zu sehr auf eine bestimmte Landschaft oder Menschengruppe abgestimmt sind. Vorgestellt sind Aufnahmen von jungen wie alten Menschen aus völlig verschiedenen Kulturkreisen, oft mit einem weiteren Fokus auf die Umgebung. Das Buch schließt hierbei nicht nur die Portraitfotografie im Sinne eines einzelnen Menschen oder einer Gruppe ein, sondern auch in einem eigenen Kapitel die Integrierung einer Person oder einer Gruppe in eine Landschaft. Oft ist das gleiche Motiv aus verschiedenen Perspektiven, in verschiedenen Formaten, Belichtungszeiten und Schärfen gezeigt, was einen Vergleich ermöglicht und anregt und eigene Interpretationen zum bestgelungenstem Bild offen lässt.
Der Fotokurs ist nicht nur für Fortgeschrittene zu empfehlen. Auch Anfängern, die bereit sind, sich durch ein wenig mehr Theorie zu schlagen und den Ehrgeiz zu besitzen, sich durch die einzelnen, umfangreichen und detaillierten Kapitel zu arbeiten, würde ich das Buch getrost empfehlen. Es ist zwar kein Werk für absolute Anfänger, die gerade erst zu fotografieren begonnen haben, aber mit einigen grundlegenden Kenntnissen hat man nach der Lektüre nicht nur in der Theorie einiges dazu gelernt. Das Buch inspiriert zu mehr Sorgfalt einerseits und mehr Freiheit andererseits in der Fotografie, beseitigt Hemmungen und zeigt ohne dabei zu übertreiben auch schlechte Beispiele, die man aus dem Zusammenhang und in Kombination mit einem zweiten Beispiel oft selbst bemerkt. Die Erklärungen und Anmerkungen der Autorin sind stets schlicht und sachlich gehalten und die theoretischen Teile stets nachvollziehbar dargestellt. Auch psychologisch zeigt die Autorin immer wieder Beispiele zur Fotografie, weist auf Abwehrhaltungen von Menschen hin, die nicht fotografiert werden wollen, und rät ab und an zu dezenter Zurückhaltung („immer so fotografieren, dass man wiederkommen kann“ (Lebeck R.)).
Das Buch lässt kaum etwas zu wünschen übrig. Es werden nicht nur die altbekannten Genres der Portraitfotografie, sondern auch Bereiche vorgestellt, in denen vielleicht manch einer noch Anregung und Interesse finden wird, beispielsweise die Action- und die Nachtfotografie. Ein Glossar mit Erklärungen sowie eine Übersicht über Material und Kosten helfen am Ende des Buches zur besseren Orientierung, ebenso ist im Anhang der einfache Aufbau eines eigenen Fotostudios erklärt. Zwar ist der Fotokurs speziell für digitale Spiegelreflexkameras verfasst, jedoch lässt sich mit entsprechender Kenntnis vieles auch auf die gewöhnliche Digitalkamera beziehen.
„Menschen sehen“ regt nicht nur dazu an, das Buch öfter einmal in die Hand zu nehmen, sondern auch – und das sollte das wichtigste Ziel jedes Fotokurses sein – die Kamera. Es eröffnet neue, frische Perspektiven auf altbekannte Arten des Portraits und zeigt diese oft von einer unerwarteten, ungewöhnlichen Seite und lädt somit ein, auch einmal etwas anderes als das, was man gewöhnlich unter einem Portrait, versteht, zu wagen. Denn Fotografie ist bestimmt nicht nur was für Profis.
*Erschienen bei: Addison-Wesley *
Autorin / Autor: Nachtblick - Stand: 26. Mai 2009