Das Äußere des schmalen, etwa 200 Seiten umfassenden Jugendromans von Laura Gallego Garcia mutet auf den ersten Blick an wie ein x-beliebiges Buch für die Zielgruppe 9-12 – strahlende Farben, leicht glänzendes, aber nicht allzu filigranes (also im Notfall auch mal belastbares) Cover, und der Titel auf dem Rücken könnte, aus ausreichend großer Entfernung betrachtet, auch etwa „Laura auf dem Ponyhof“ lauten. Bei näherer Betrachtung zeigt sich allerdings, dass die Merkmale eines typischen Jugendbuchs im Fall von „Der Teppich des Dichters“ vermischt sind mit unverkennbar orientalischen Zügen, die fast eine Neuauflage oder Nacherzählung der „Märchen aus 1001 Nacht“ vermuten lassen.
Diese Vermutung liegt nun schon näher an der Wahrheit: „Der Teppich des Dichters“ erzählt die Geschichte des in vorislamischer Zeit lebenden arabischen Prinzen Walid, der in vielerlei Hinsicht so begabt ist, dass sein Volk mutmaßt, er sei von den Dschinn, den Geistern der Wüste, gesegnet. Sein besonderes Interesse, seine besondere Liebe gilt allerdings nur einem: der Dichtkunst, in der er sich auch regelmäßig hervortut. Von den Erfolgen in seinem Heimatland angestachelt, möchte sich der Prinz beim großen Dichterwettstreit in Ukaz beweisen, doch bevor ihn sein Vater ziehen lässt, muss er eine Bedingung erfüllen: er muss sich einem Wettbewerb stellen, zu dem alle Dichter des Landes eingeladen sind – und erst, wenn er dort gesiegt hat, darf er sein Glück auch in Ukaz versuchen.
Siegessicher stellt sich der Prinz der Herausforderung, doch wird er entgegen aller Erwartungen von einem bescheidenen Teppichweber überflügelt – und das nicht nur im ersten Jahr, sondern auch in den beiden darauffolgenden Wettkämpfen. Darüber ist er so verbittert, dass er dem Sieger beim dritten Mal scheinbar eine besonders hohe Ehre zukommen lässt, die in Wahrheit sein Verderben ist: er wird zum königlichen Geschichtsschreiber ernannt, ein Amt, das ihn verpflichtet, sämtliche Aufzeichnungen seines Vorgängers zu sichten und zu sortieren. Nicht angenehm, aber auch nicht sonderlich schwierig, sollte man vielleicht meinen, allerdings hat dieser das jahrhundertelang von seinen Vorgängern gesammelte Wissen zu Papier gebracht – die Geschichte von Generationen. Außerdem muss der Weber sich verpflichten, für den Prinzen einen Teppich herzustellen, bevor ihm erlaubt wird, zu seiner Familie zurückzukehren.
Angetrieben von dem Wunsch, seine Heimatoase wiederzusehen, schafft der arme Teppichweber das Unmögliche: Er legt ein Archiv an, in dem das Gedächtnis der Menschheit zu finden ist, und vollendet sogar den Teppich, den der Prinz daraufhin von ihm fordert: Einen Teppich, der die gesamte Weltgeschichte abbildet. Völlig entkräftet stirbt der Dichter, und König Walid (denn inzwischen ist sein Vater gestorben und er ihm auf den Thron nachgefolgt), dem nach einem einzigen Blick auf den Teppich dessen Visionen hervorrufendes Muster unheimlich geworden ist, lässt den Schatz entsetzt wegsperren. Als er dennoch gestohlen wird, sieht sich der König aus seinem Alltagsleben herausgerissen und verfolgt seinen ehemaligen Diener Hakim, den Anführer der Diebe.
Es folgen eine Reihe von Abenteuern und Begegnungen, die Walid immer besser erkennen lassen, wer er eigentlich hinter seiner königlichen Fassade ist und was der Fehler war, der dazu geführt hat, dass er einem (aus seiner Sicht) einfachen, ungebildeten Teppichweber in der Dichtkunst unterliegen konnte. Aber die Details der Reise, vor allem ihr Ende, seien hier natürlich mal nicht verraten, wen die interessieren, der muss das Buch schon selbst lesen. ;-)
Den Roman einzuordnen und dementsprechend zu beurteilen, ist schon deshalb schwer, weil er sich nicht wirklich in ein Genre stecken lässt. Zwar kommen hin und wieder überirdische Erscheinungen wie die Dschinn vor, doch von einer Fantasy-Geschichte zu sprechen, wäre weit übertrieben. Und obwohl einige der im Buch beschriebenenen Personen in abgewandelter Form wirklich gelebt haben (wer und wie, wird im Anhang kurz erläutert), ist „Der Teppich des Dichters“ auch kein historischer Roman. Am naheliegendsten ist vielleicht die Verwandtschaft mit den Märchen, denen auch der Erzählstil teilweise gleicht: mal werden auch scheinbar spannende, aber für den Verlauf der Geschichte unwichtige Kämpfe einfach übersprungen, mal eine Szene sehr farbenfroh geschildert. Zudem taucht immer wieder die Figur eines Mannes im roten Turban auf, die bis zum Schluss rätselhaft bleibt und doch von Anfang an einen Sinn ergibt – und damit ein wenig an die gute Fee im Märchen oder an das Dingsymbol der Novelle erinnert.
So lässt sich über den Roman wohl sagen, dass er keine eigene, neue Welt erschafft, keinen Kult begründen wird wie „Harry Potter“ oder die „Twilight“-Romane, aber eine schöne, manchmal erhellende und manchmal nachdenklich machende Lektüre bietet, eine Art „Alchemist“ wie in Paulo Coelhos Roman, nur eben für Kinder und Jugendliche.
*Erschienen bei Gerstenberg*
Autorin / Autor: pfefferminztea - Stand: 10. Juli 2009