Vielleicht dürfen wir bleiben
Autorin: Ingeborg Kringeland Hald
übersetzt von Maike Dörries
ab 11 Jahren
Vor fünf Jahren ist der inzwischen elfjährige Albin mit seiner Mutter und seinen kleinen Zwillingsschwestern vor dem Krieg in Bosnien nach Norwegen geflohen. Hier hat er sich eingelebt, Freunde gefunden und kann sich endlich wieder sicher fühlen. Dann aber stehen plötzlich Polizeibeamte vor der Tür, die ihn und seine Familie ausweisen wollen. Albin sieht nur einen Ausweg: Er läuft weg, denn er hofft, dass man seine Mutter und die Schwestern nicht deportieren wird, solange er verschwunden bleibt.
Zunächst weiß Albin nicht, wohin, doch dann hilft ihm der Zufall: Im Bus trifft er die sechs- und zwölfjährigen Schwestern Lisa und Amanda, die ihm erzählen, dass sie auf dem Weg zu den Großeltern sind, um mit ihnen in die Ferien zu fahren. Im Verstecken ist Albin geübt, und so gelingt es ihm, sich heimlich ins Auto der Großeltern zu schmuggeln. Die Fahrt führt die vier Urlauber und ihren blinden Passagier in die norwegische Wildnis, und Albin versteckt sich in einer Blockhütte nahe dem Ferienhaus. Doch es ist kalt, er hat Hunger, und so lässt es sich nicht vermeiden, dass die Mädchen ihn schließlich entdecken. Albin ist halb erfroren, übermüdet und hungrig, und er weiß nicht, ob er noch einmal die Kraft hat, zu fliehen. Doch kann er Lisa, Amanda und ihren Großeltern vertrauen? Kann es doch noch einen guten Ausgang seines Alptraums geben?
Trotz der Kürze des Buches und der im Grunde eher spärlichen äußeren Handlung liefert die Autorin Ingeborg Kringeland Hald mit "Vielleicht dürfen wir bleiben" ein beeindruckendes und bewegendes Romandebüt, das einen bleibenden Eindruck hinterlässt. Denn im Zentrum des Textes steht nicht nur die Geschichte der Gegenwart: Auf seiner Flucht und in der Einsamkeit seines Verstecks bleibt Albin viel Zeit, die traumatischen Erlebnisse seiner Kindheit noch einmal zu durchleben. So sind zwischen die einzelnen Kapitel, in denen die Handlung voranschreitet, Erinnerungen an seine erste Flucht montiert, und auch für den Leser werden die grausamen Erfahrungen, die der kleine Junge so früh machen musste, auf erschütternde Weise beinahe greifbar. Der Tod des Vaters, der von Soldaten erschossen wurde. Die Flucht durch den Wald, samt Hunger, Angst, Kälte. Die Zeit im Flüchtlingslager unter menschenunwürdigen Bedingungen.
Albins Geschichte ist realistisch und authentisch erzählt, und für junge Leser an manchen Stellen sicherlich harter Tobak. Dennoch fesseln der flüssige Schreibstil und glaubwürdige Erzählton, vor allem aber die sich schnell einstellenden Sympathien zu dem elfjährigen Ich-Erzähler von der ersten Seite an. Auch der Titel ist passend, denn die Autorin macht ihn zum Programm: Am Ende steht kein Happy End, sondern Albins Schicksal bleibt in der Schwebe: Es kommt zu einem Verfahren, der Fall seiner Familie wird neu aufgerollt – aber nur vielleicht dürfen sie bleiben ...
Wer nach versöhnlichen, tröstlichen Geschichten sucht, wird von "Vielleicht dürfen wir bleiben" womöglich enttäuscht sein. Für alle aber, die bereit sind, sich auf die lebensnahen und mitunter aufwühlenden Schilderungen einzulassen, ist das Buch eine unbedingt empfehlenswerte Lektüre. Und schließlich erlebt Albin nicht nur Negatives, sondern lernt auch, dass es Menschen gibt, die ihm helfen und für ihn kämpfen ...
*Erschienen bei Carlsen*
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Autorin / Autor: fabienne - Stand: 6. Februar 2015