Lehrerin mit Kopftuch? Wo ist das Problem?
Studie: Jugendliche sind offener gegenüber Vielfalt als Erwachsene
Nachdem das Urteil des Bundesverfassungsgerichts das Kopftuchverbot für muslimische Lehrerinnen gekippt hat, diskutieren PolitikerInnen und PädagogInnen mit sorgenvollen Gesichtern, was das jetzt für den schulischen Alltag bedeutet. Fragt man allerdings diejenigen, die von diesen Lehrerinnen unterrichtet werden, haben sie viel weniger Probleme mit einer Lehrperson, die ihren Glauben sichtbar ausdrückt. Mehr als drei Viertel der SchülerInnen sprechen sich gegen ein Kopftuchverbot aus. Das Kopftuch scheint also für die meisten SchülerInnen weder fremd noch angsteinflößend zu sein, sondern wird einfach nur als ein religiöses Symbol betrachtet. Auch den in den Medien kontrovers diskutierten Themen wie Beschneidungen von Jungen stehen Jugendliche weitaus gelassener gegenüber als Erwachsene. Das sind einige der Ergebnisse, die eine aktuelle Studie des „Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM)“ der Humboldt-Universität zu Berlin herausfand.
16 bis 25-Jährige gehen in Bezug auf Muslime offener und demokratischer mit Verschiedenheit um als Erwachsene, weil sie bereits in kulturell und religiös vielfältigeren Strukturen aufgewachsen sind und Vielfalt ganz selbstverständlicher Teil ihres Alltages ist, erklärt die repräsentative Studie mit dem Titel „Deutschland postmigrantisch 2 – Einstellungen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Deutschland zu Religion, Gesellschaft und Identität“, für die über 1104 junge Männer und Frauen zwischen 16 und 25 Jahren befragt wurden.
Während von den Jüngeren nur acht Prozent überhaupt keinen Kontakt zu Muslimen haben, sind es bei älteren Erwachsenen immer noch ca. 22 Prozent. Dabei beziehen 16 bis 25-Jährige ihr Wissen über Muslime hauptsächlich aus der Schule und aus persönlichem Kontakt und nicht aus den Medien. Anders sieht das bei den über 25 Jährigen aus, von denen 46,3 Prozent sich eher von Zeitungen und Fernsehen informieren lassen. Trotzdem finden immer noch über 60 Prozent der 16 bis 25-Jährigen, dass sie nicht viel über Muslime wissen.
Jugendliche empfinden aber nicht nur eine abstrakte Anerkennung gegenüber Muslimen. Rund 70 Prozent von ihnen sind zum Beispiel auch für einen islamischen Religionsunterricht und für den Bau sichtbarer Moscheen. Damit stimmt ein weitaus größerer Teil der Jugendlichen und jungen Erwachsenen für die Anerkennung religiöser Rechte als bei den älteren Erwachsenen, von denen 64 Prozent für ein Beschneidungsverbot, 52 Prozent für ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen und 44 Prozent für die Einschränkung des Moscheebaus stimmen.
"Nachdem das Bundesverfassungsgericht die Kopftuchverbote gekippt hat, erwartet uns nun eine sehr spannende Debatte darüber, wie die Landesgesetzgeber die Entscheidung umsetzen werden. Hier geht es eben nicht nur um 'ein Stück Stoff'. Hier wird Zugehörigkeit und Gleichwertigkeit ausgehandelt. Es wird darüber verhandelt, wie Deutschland sich verändert, jetzt wo es zu einem Einwanderungsland geworden ist, ob der Islam dazugehört und was das bedeutet. Solche Debatten sind jedoch immer der Gefahr ausgesetzt, dass sich eine Polarisierung entlang der Aushandlung von Minderheitenrechten ergibt. Daher bieten auch die vorliegenden empirischen Ergebnisse wichtige Hinweise für die Politik: Über 70 Prozent der Jugendlichen und jeder zweite Erwachsene in Deutschland finden, dass muslimische Lehrerinnen das Recht haben sollten, im Unterricht ein Kopftuch zu tragen. Offenbar ist für die deutsche Gesellschaft und besonders für die jüngere Generation das Kopftuch kein fremdes oder angsterregendes Zeichen, sondern schlichtweg ein religiöses Symbol, welches zum Glauben eines anderen Individuums dazugehört. Wir können also empirisch von einer großen Offenheit ausgehen, auf die das Urteil trifft", so Naika Foroutan, Sozialwissenschaftlerin an der Humboldt-Universität zu Berlin und stellvertretende Direktorin des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM).
Autorin / Autor: Redaktion /Pressemitteilung - Stand: 27. März 2015