Kascha Nord-Nordost
Autorin: Anne C. Voorhoeve
ab 12 Jahren
„Kascha Nord-Nordost“ ist das neuste Buch der deutschen Autorin Anne C. Voorhoeve. Voorhoeve hat Politikwissenschaften, Amerikanistik und Alte Geschichte studiert. Seit 2000 ist sie selbstständige Lektorin, um sich ganz dem Schreiben widmen zu können. Voorhoeve interessiert sich besonders dafür, mit ihren Büchern jüngste historische Ereignisse für ihre Leserinnen und Leser erlebbar zu machen. Deshalb verknüpft sie in ihren Romanen fiktive Einzelschicksale mit geschichtlichen Geschehnissen. So auch in „Kascha Nord-Nordost“.
Wir befinden uns im Deutschland der 70er Jahre. Kascha ist elf Jahre alt. Mit ihren drei Brüdern, ihrer großen Schwester, ihrem Opa und ihren Eltern lebt sie auf einem Hof in einem kleinen Dorf namens Groß-Mooren in Norddeutschland, nahe der Küste. Eigentlich geht es der Familie gut: Die Kinder gehen zur Schule, der Vater und die älteren Brüder verdienen den Unterhalt, die Mutter führt den Haushalt. Trotzdem hat die Familie kein ruhiges Leben: Im ganzen Ort begegnet man ihnen feindselig, die Kinder werden in der Schule von ihren Mitschülern ausgeschlossen und kein Familienmitglied traut sich alleine ins Dorf. Der Grund: Kascha und ihre Familie sind Sinti. Ihre Nachbarn beschimpfen sie als Zigeuner, unterstellen ihnen Kriminalität und wollen sie am liebsten aus ihrem kleinen Dorf weg haben. Daran hat Kascha sich mittlerweile gewöhnt. Doch als sie erfährt, dass ihre Schwester abhauen will und ihr Großvater sterbenskrank ist, scheint ihre Welt aus den Fugen zu geraten. Bis plötzlich ein Winter über Groß-Mooren hereinbricht, wie ihn in Norddeutschland niemand für möglich gehalten hätte. Auf einmal treten alle anderen Probleme, die Kascha bisher beschäftigt haben, in den Hintergrund. Denn nun geht es um mehr: Es gibt keinen Strom mehr und kein fließendes Wasser, alle müssen näher zusammenrücken. Dabei kommen auch die Nachbarn den verhassten Zigeunern ungewohnt nahe...
In Europa gibt es heute etwa 6 Millionen Menschen, die der Minderheit der Sinti und Roma zugeordnet werden. Sie sind damit die größte Minderheit Europas. Gleichzeitig sind sie in Deutschland aber auch die unbeliebteste Minderheit, wie eine Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes aus dem Jahre 2014 zeigt. Diese ablehnende Haltung gegen Sinti und Roma wird auch „Antiziganismus“ genannt. Anders als Antisemitismus wird Antiziganismus in der Gesellschaft kaum verurteilt. Das ist erschreckend, wenn man sich vor Augen führt, dass durch den Holocaust nicht nur 6 Millionen Juden, sondern auch etwa 500.000 Sinti und Roma ihre Leben verloren haben.
Genau mit diesem Thema beschäftigt sich der Roman „Kascha“, denn Kaschas Leben ist bestimmt von der Antipathie und Ablehnung, die ihr die Bevölkerung entgegenbringt. Einem elfjährigen Mädchen, das mit der für sie vollkommen unverständlichen Ablehnung ihrer Kultur und Familie umgehen muss. Der Autorin gelingt es, durch Kaschas Geschichte den Leser zum Denken zu bringen. Denn Kascha ist nicht anders als wir auch, sie ist Schülerin, ärgert gerne ihren kleinen Bruder und verehrt ihre große Schwester. Sie hat es nicht verdient, dass aufgrund ihrer Herkunft schlechter behandelt wird als ihre Altersgenossen. So schafft es die Autorin, das Schicksal einer einzelnen Person mit einem einschneidenden historischen Ereignis zu verbinden, und somit ein Bewusstsein beim Leser zu entwickeln, das eine neue Sicht auf viele Dinge zulässt. Damit ist das Buch auch ein pädagogisch wertvolles Werk, das beim Lesen trotzdem Spannung und Sympathie für die verschiedenen Charaktere aufkommen lässt. Auch wenn Kascha manchmal etwas zu reflektiert erscheint, wirkt die Geschichte insgesamt authentisch und fesselt den Leser von Anfang bis Ende.
*Erschienen bei Ravensburger*
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Autorin / Autor: lacrima - Stand: 13. Juli 2015