Hustend und keuchend laufe ich durch die graue Stadt. Zu viel Lärm, zu viele Menschen, zu viele Gebäude. Das Erdrückende des Ganzen lässt mich Einzelheiten ausblenden. Nur wenn ich mich konzentriere, erkenne ich Details, die mich frösteln lassen. Dunkle Gassen mit unzählbaren grauen Personen, die ohne Rast umhereilen und ins Leere starren. Ausdruckslos und unbeschreiblich weit entfernt von der Realität. Alles mit Abfall übersäht. Der Geruch macht mir das Atmen schwer und mein gereizter Hals will nicht aufhören mich zum Husten zu zwingen. Hektische Leuchtreklamen und laute Autos, die viel zu nah an mir vorbeirasen, holen mich zurück in das Geschehen der Metropole. Wo muss ich abbiegen? Ich komme an eine Kreuzung, Leute in schwarzen Anzügen rempeln mich an. Sie bemerken mich nicht, sind zu sehr auf ihren digitalen Begleiter fixiert, der unentwegt zu blinken scheint. Ohne eine Entschuldigung rennen sie weiter, alle in eine andere Richtung. Auch sie blenden alles Unwichtige, Unschöne aus. Sie sehen nur das Ganze, das Graue, verteilen mit sich die Gedankenlosigkeit und Gleichgültigkeit auf die ganze Stadt. Die Straßenschilder leuchten grell und die meisten wechseln gallopierend ihre Farben, machen es beinahe unmöglich erkennen zu können, wie der Name lautet. Über mir kratzen die grauen Bauten an den Wolken und es macht mir Angst, dass die Dächer so weit oben sind, dass ich sie nicht einmal mehr erkennen kann. Um die ununterbrochene Bewegung der Stadt nicht anzuhalten, gehe ich einfach weiter und entscheide mich für die linke Abzweigung, da mir das Dunkelgrün dieses Schildes als einziges nicht in den Augen schmerzt. Wasser! Mein Hustenreiz will nicht zur Ruhe kommen, ich halte Ausschau nach etwas Trinkbarem, doch zwischen den Menschenmassen ist es unmöglich, etwas zu erspähen. Der Mann, der neben mir läuft, hat ununterbrochen den Blick auf seine Uhr gerichtet. Ungünstig. Ich schaue nach links und bemerke, dass die Frau mit dem grauen Kleid geradeaus blickt, wenn auch ohne Ausdruck. Ich versuche sie anzusprechen, erkundige mich, ob sie weiß, wo ich Wasser finden könne. Jedoch ohne Erfolg. Kein Wort, keine Mimik, keine Reaktion. Sie läuft weiter, zieht einen digitalen Terminplaner aus ihrem dunklen Mantel und lässt mich anteilnahmslos hinter sich. Merkwürdig. Vielleicht verschluckt der Lärm dieser Stadt meine Stimme. Ohne anzuhalten laufe ich weiter die Straße entlang. Der Gestank ist mittlerweile fast verflogen, die Luft dennoch drückend. Ich habe das Gefühl, dass ich unsichtbar bin. Niemand will mir helfen, egal wen ich anspreche, ich werde nicht einmal eines Blickes gewürdigt. Alles ist so grau und bedrohlich. Ich krame während des Laufens in meinen Taschen, finde ein bisschen Kleingeld und bemerke, dass ich ebenfalls ganz dunkelgrau gekleidet bin. Dass ich mich heute Morgen so angezogen haben soll? Ich schüttele den Kopf und betrete einen Supermarkt. Dem Beispiel anderer Passanten folgend, begebe ich mich zu einem der zahlreichen Schalter. Der Automat begrüßt mich in einer routinierten, einprogrammierten Art und Weise. Ich folge den Anweisungen und sage, dass ich Wasser haben möchte. Ein Greifarm bewegt sich weg von der Maschine und ist in wenigen Sekunden wieder zurück mit der Wasserflasche. Kein Mensch wird benötigt für solch einen banalen Akt. Alles läuft über die Maschinen im Lager und an der Kasse. Praktisch und bedrohlich zugleich. Ich werfe meine Münzen in den Schlitz und öffne die Flasche. Endlich kann ich meinen Durst stillen. Ungeduldig werde ich von der Person, die hinter mir steht weggedrängt. Niemand hat hier das Privileg, sich Zeit zu nehmen. Alles muss schnell gehen und darf nicht eine Sekunde länger dauern als zuvor ausgerechnet. Die Wasserflasche in meiner rechten Hand tragend verlasse ich den Supermarkt und lasse mich vom Strom der Menge die Straße hinunter leiten. Nach einigen Minuten erreiche mein Zeil. Ich betrete das graue Bauwerk und fahre mit dem Glasaufzug und dreißig anderen Personen in das oberste Stockwerk. Etage 251. Der Gong verkündet uns das Erreichen unserer Endstation. Wir steigen aus und schnell verstreuen sich alle in die verschiedensten Richtungen. Endlich bin ich angekommen. Die Aussichtsplattform des höchsten Gebäudes dieser grauen Stadt. Düster liegt die Metropole unter mir und ich erkenne die breite Straße, auf der ich eben noch gewandert bin. Bessere Luft? Ganz und gar nicht. Die Abgase scheinen hier direkt auf meiner Haut zu kleben, die Smogwolke umwabert gefährlich meinen Kopf. Alle Lichter scheinen grell und schmerzen mir selbst aus dieser Entfernung in den Augen. Zu grell, zu schmerzhaft. Ich wende den Blick gen Himmel und kann auch auf dieser Höhe nicht sagen, dass ich der Sonne näher bin. Ein Fleck am Himmel, der etwas heller ist als das Grau drumherum. Mehr erkenne ich nicht. Fremd, surreal und unnatürlich. Plötzlich werde ich geschubst. Ich verliere das Gleichgewicht und stolpere unkontrolliert nach hinten, gefährlich nahe an die Absperrung. Plötzlich ein weiterer Stoß von der anderen Seite. Der Mann sieht mich nicht, erkennt nicht die Gefahr. Ich kann mich nicht halten und stürze über die Brüstung. Keiner hilft mir, keiner bemerkt mich. Während ich in die Tiefe falle kann ich keinen einzigen Gedanken fassen. Kein Schrei löst sich aus meiner Kehle und ich schließe die Augen. Schwarze und stumme Dunkelheit umgibt mich.
Kreischend wache ich auf. Ich bin nass geschwitzt, aber hellwach. Vorsichtig taste ich nach dem Lichtschalter meiner Nachttischlampe. Welch ein Alptraum. Doch schon erstrahlt mein Zimmer in warmem Licht. Ich bin in Sicherheit vor beängstigenden Zukunftsvisionen. Alles ist angenehm hell und freundlich. Ich bin Zuhause und weit weg von allem Unschönen.