Zukunftstädte mit zwei Gesichtern
Einsendung zum Wettbewerb 2050 - Stadt meiner Träume von Vanessa, 23 Jahre
Einatmen. Ausatmen. Augen schließen. Arme ausbreiten. Frei sein.
Warum war das alles so schwer zu erreichen? Es war ein großer Schritt. Zu viele Menschen, zu viele Bedürfnisse. Jeder wollte auffällig, besonders individuell und größer als die Anderen sein. Aber das Einzige, was ganz auffällig, besonders individuell und größer wurde, waren die Häuser und die eigenen Egos der Menschen. Solange bis es einige endlich gelernt hatten. Frei zu sein.
Man wird nicht frei, wenn man eingesperrt bleibt. Man kommt dem Himmel nicht näher, wenn man auf dem Dach des größten Wolkenkratzers steht.
Wir waren alle Vögel in einem goldenen Käfig. Wurden faul und dick. Bekamen alles was wir wollten. Bis wir aufgewacht sind und gemerkt haben, dass die Freiheit draußen auf uns wartet.
Wir haben unserer Tore eingerissen, haben die Tiere und Menschen befreit, die mit uns eingesperrt waren. Wir haben die Menschen mitgenommen, die ihre alten Muster abgelegt haben. Jetzt steh ich hier am Waldrand. Blicke auf die anderen Menschen hinunter. Wir haben uns alle entwickelt. Werden immer schlauer und denken doch zu wenig nach. Wir Menschen haben uns gespalten.
Einige Menschen haben ihre Fesseln abgelegt. Zurück in den Wald, in die Steppe, in die Wüste. Zurück zu Mutter Natur, die uns alles beigebracht hat. Zurück in ihren Schoß. Wurden aufgenommen, auch wenn wir ihr so viel Leid zugefügt haben. Bei uns gibt es keine Zoos und Zirkusse mehr. Wir leben mit den Tieren, haben gelernt, sie zu verstehen. Haben gelernt, uns zu verstehen. Es gibt keine alten Gewohnheiten mehr. Ich atme ein, rieche den Tannenduft, spüre die Zweige unter meinen nackten Füßen, höre die Vögel über mir singen, schmecke die Freiheit. Ich bin Zuhause. Ab jetzt nehmen wir nicht mehr alles an uns wahr, ohne nachzudenken, sondern überlegen und schenken zurück. Wir sind im Einklang, denn wir hören auf unseren Körper. Lauschen in uns hinein - und spüren die Natur um uns herum. Wir können rennen, ohne jemals zu stoppen. Haben aus Blättern und Zweigen, aus Lehm und Steinen eigene Häuser gebaut. Ab und zu besuchen uns Bären, Hirsche, Rentiere, Wölfe. Aber sie tun uns nichts. Wir leben wieder in Freundschaft mit ihnen. Wir haben keine Zukunftsstadt gebaut. Wir haben dieses Leben schon einmal geführt. Nur haben wir vergessen, wie es sich angefühlt hat. Wir haben uns zu lange ausgeruht und gewartet. Alles war grau und langweilig. Jetzt ist es bunt und lebendig. Endlich haben wir aufgehört zu reden - sondern unser Vorhaben in Taten umgesetzt. Einige von uns haben der modernen Welt den Rücken zugekehrt. Wir sind nicht geflohen. Wir verstecken uns auch nicht, wir sind nicht primitiv. Nein, das sind wir nicht. Wir hören zu, leben mit der Erde und ihren Bewohnern. Wir haben eine viel höhere Zivilisation wieder aufgebaut. Wir verachten Macht und Gier – und deren Konsequenzen.
Leider wird es immer wieder Menschen geben, die anders denken und handeln. Sie sitzen abgedunkelt in ihrem Käfig. Wollen immer seltener raus. Warum sollten sie auch? Alles kann direkt zu ihnen geliefert werden. Selbst ihre Freunde müssen nicht mehr zu ihnen kommen. Alle sind miteinander verbunden. Aber es bleibt eine menschenleere Stadt. Die Welt ist nur ein Klick entfernt. Ich stehe am Waldrand und blicke auf die leeren Straßen herunter. Was ist aus uns geworden? Wir haben in den ganzen Jahren nichts dazugelernt. Es wurde alles nur noch automatischer und komplizierter. Mehr Technik und weniger Handarbeit. Mehr Arbeit und weniger Leben. Ich will leben. Wir können nun ohne rauszugehen, in andere Länder zu reisen. Müssen in kein Flugzeug, Bahn oder Auto einsteigen. Wir haben keine Angst mehr. Die Zukunft hat uns immer mehr von den andern Menschen und der Natur abgekapselt. Man will keine kühle Luft draußen spüren, dafür gibt es Klimaanlagen. Keiner braucht die Sonne mehr, dafür gibt es Solariums und Gewächshäuser. Fühlen uns alleine, wollen aber nichts daran ändern. Jeder will seine Meinung vertreten, aber kann die anderen Meinungen nicht akzeptieren. Die Kriminalität hat zugenommen. Wie konnte es auch anders sein. Die Polizisten wurde durch Computer ersetzt. Wer raus geht, ist selbst schuld. Wir müssen ja nicht mehr raus. Das ist jetzt doch nicht mehr nötig. Wir haben die ganze Zeit nicht richtig hingesehen. Jetzt ist es zu spät. Wir haben verlernt, Gefühle zu zeigen. Aber ich stehe hier am Waldrand und schließe die Augen. Wie konnte uns die Zukunft so spalten. Zwei Gesichter. Warum sind Menschen nur so stur? Macht die Augen auf. Geht in den Wald. Spürt eure Kraft. Habt keine Angst. Macht die Zukunft zur Gegenwart. Hört auf, euch ständig zu vergleichen.
Werdet frei.
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Autorin / Autor: von Vanessa, 23 Jahre