Es ist warm; sehr warm heute draußen. Der Schweiß läuft an meinen Armen und Beinen herunter, ohne dass ich überhaupt etwas tue. Meine Haare sind verklebt. Mit meinem inzwischen schon nassen Handtuch reibe ich mir über die Stirn. So langsam bekomme ich Kopfschmerzen!
Die Luft fängt an, vor meinen Augen zu vibrieren – es ist wirklich schwül. Das Flimmern weitet sich aus in ein regelrechtes Zittern und auf einmal beginnt meine Umwelt, sich zu verändern.
Das Hochhaus am Ende der Straße, auf das ich gerade zusteuere, verwandelt sich in eine riesige Palme, die Garagen, die sich neben ihm reihen, werden zu zierenden kleinen Sträuchern – vollbehangen mit bunten, prachtvollen Blüten. Fasziniert und verwundert schaue ich mich weiter um und erkenne, dass sich das Hochhaus mitsamt seiner engeren Umgebung in einen Park verwandelt hat – eine riesige Grünanlage – inmitten der Großstadt. Aber auch das restliche Gebiet um mich herum hat sich verändert. Ich schaue nach rechts auf die geteerte Straße, die keine Straße mehr ist. An ihrer Stelle befinden sich nun lange weiße Schienen und ich kann gerade noch sehen, wie die vielen Autos verschwinden und sich in ein einziges, weißes zugähnliches Gefährt verwandelt, das sich elegant durch die Stra0en schlängelt. Geräuschlos, energiebetrieben, ohne irgendeinen Auspuff aus dem hässliche graue und stinkende Abgase entweichen.
Und auch die Luft insgesamt hat sich verändert. Das Licht ist klarer, die Hitze prallt nicht mehr auf meine Haut – es ist kühler geworden. Aber nicht zu kalt. Vielleicht 22°C – gerade angenehm.
Auch der Geruch ist neu. Ein allgemeiner Duft breitet sich in der Luft aus, durchzieht die Straßen, wie ein verzaubertes Band. Es hat aufgehört nach der alten Fabrik am Ortsausgang zu stinken und nicht nur der Gestank hat sich verflüchtigt. Auch die Geräusche der alten klappernden Maschinen ist verstummt. An ihre Stelle ist ein Vogelgezwitscher getreten, wie ich es noch nie gehört habe. Laut und mehrstimmig – es sind so viele verschiedene Laute, dass man die Anzahl der verschiedenen beteiligten Vögel noch nicht einmal zählen kann.
Ich schaue mich um, suche nach den Verursachern dieses unheimlich lauten, aber gleichzeitig angenehmen Geräuschpegels. Und tatsächlich entdecke ich ein paar Vögel weit oben in den Bäumen des gerade neu entstandenen Parks. Wie gerne würde ich jetzt fliegen können und ihnen zwischen den dicht bewachsenen Ästen Gesellschaft leisten!
Ich schaue mich noch ein letztes Mal um und entscheide mich schließlich, in die andere Richtung weiterzulaufen – nach Hause.
An den normalerweise so monoton nebeneinanderstehenden und vollständig gleich aussehenden Häusern, an denen ich normalerweise auf diesem Weg immer vorbei komme, ist nichts mehr zu erkennen. Ersetzt wurden sie durch niedliche Einfamilienhäuser. Eckhäuschen lächeln mich vom Ende der Straße an, sorgsam angelegte Gärten mit einer Menge an Blumen, kleinen Bäumchen und zahlreichem Gemüse vor den Türen. Ich entdecke Karotten, Kohlrabi, Salatköpfe und vor einem Haus finde ich eine ganze Reihe reifer Rettiche. Aus dem Garten winkt mir eine Dame freundlich zu, die ich zuvor nie wirklich bemerkt hatte. Ich schlendere weiter, bewundere noch auf den letzten Metern die sich so sehr unterscheidenden Häuser – jedes Einzelne ein Unikat, individuell gestaltet, wie es nur möglich ist – und dadurch wird jedes Einzelne zu einem eigenen Kunstwerk.
Als ich vor meinem eigenen Haus stehe, staune ich. Es ist ähnlich gepflegt wie die anderen und wirkt wie verzaubert. Auch ich habe nun einen Garten, aus dem mir die leuchtenden Farben der Blüten schon entgegenstrahlen. Dafür jedoch ist mein Haus an sich kleiner geworden, wie ich bemerke, als ich den ersten Schritt über die Türschwelle gehe.
Alles ist kleiner, die Anzahl der Räume – minimiert auf das, was ich brauche. Aber stört es mich? Eigentlich nicht, denn in dem riesigen Haus, hatte ich mich doch sowieso schon lange viel zu einsam gefühlt und war in der so leer wirkenden Wohnung fast an mir selbst erstickt. Ich hatte fast jedes Fleckchen mit irgendwelchem Krempel vollgestellt, nur damit es nicht zu leer und karg aussah. Alles Dinge, die ich jetzt nirgendwo mehr auffinden kann – aber ich vermisse sie nicht. Verspüre viel eher eine Leichtigkeit darüber, sie endlich los zu sein.
Im Gegensatz zur Verkleinerung des Platzes, ist an der Einrichtung rein gar nichts gespart worden. Die Zimmer sind stilvoll möbliert. Die Türen in weiß, das Laminat auf dem Boden hell. Als ich mich schließlich auf mein neues Sofa fallen lasse, fühle es sich gleich sehr gemütlich an. Ich versinke in den weichen Kissen und fühle mich viel mehr zu Hause, als in meinem eigentlichen riesigen Haus.
Ich stehe wieder auf, um erneut auf die Straße zu gehen und den Rest meiner doch eigentlich so bekannten und nun so sonderbar veränderten Stadt zu entdecken. Bevor ich aus meiner Straße hinaus nach rechts abbiege, blicke ich noch einmal auf mein Haus zurück und erst jetzt fallen wir die Solarzellen auf, mit denen das Dach beschichtet ist – und zwischen den Pflanzen entdecke ich noch ein kleines, privates Windrad – wirklich zauberhaft.
Ich möchte gerade weiter die Straße entlang gehen, da beginnt auf einmal wieder die Luft zu flimmern. Mein Kopf schmerzt noch einmal stark auf – und auf einmal ist der schöne Spuk vorbei. Die Palme, die ich gerade wieder am Ende der Straße erblickt hatte, verwandelt sich in das hässliche graue und viel zu langweilige Hochhaus, die Garagen nebendran, sehen aus, wie beim Bau heruntergefallene Betonklötze. Die Schienen werden von einer hässlichen schwarzen Masse zugeschüttet und darunter vergraben. Auch der weiße Zug verschwindet und die Autos kehren wieder an ihre ursprünglichen Plätze zurück.
Erst als mir eines davon direkt vor die Füße fährt und mich das schrille Hupen des Fahrers erschreckt, bleibe ich stehen – und die Welt um mich herum fällt nun vollständig in sein altes Stadium zurück. Meine Nase füllt sich wieder mit der staubigen, abgasgefüllten Luft, in meinen Ohren höre ich nichts als das nervige Geklapper der alten Fabrik untermalt von den Motorgeräuschen des Straßenverkehrs. Auch die Temperatur hat wieder gewaltig zugenommen und ich kann meinen Schweißtropfen erneut beim Herunterrinnen an meinen Armen zuschauen.
Noch einen kurzen Moment lang wundere ich mich, über all das, was ich gerade gesehen habe. Wahrscheinlich nicht weiter besorgniserregend. Vielleicht nur eine kleine Fata Morgana – ich hatte für die Hitze dieses Tages wirklich viel zu wenig getrunken!
Trotzdem setze ich nicht meinen Weg fort, wie ich es zuvor vorgehabt hatte. Stattdessen kehre ich abermals um und mache mich auf den Weg zu meinem Haus. Natürlich steht es inzwischen wieder in Reih und Glied neben all den anderen genau gleich aussehenden. Aber ich habe es mir auf dem Weg bis dorthin fest vorgenommen! Ich werde ein neues Haus, oder eine kleine Wohnung suchen. Werde ausmisten und versuchen, mit weniger Quadratmetern klarzukommen – suffizient leben. Das muss das Motto der heutigen Zeit und der Zukunft sein, um die 10Mrd. Menschen der Welt, die es im Jahr 2050 voraussichtlich geben wird, irgendwie unterzubringen.
Auch einen Garten werde ich mir anlegen. Ja! Mit meinem eigenen Gemüse – alles, um der Stadt meines Tagtraumes wenigstens ein wenig näher zu kommen!!