Eine viel zu perfekte Welt  (wie es besser nicht werden sollte)

... wie es besser nicht werden sollte
Einsendung zum Wettbewerb 2050 - Stadt meiner Träume von Sarah, 14 Jahre

Wie immer im Sommer strahlte die Sonne vom wolkenlosen Himmel herunter. Doch darüber freute ich mich nicht, wie man es vor 35 Jahren getan hätte, das hatten wir erst letzte Woche im Unterricht durchgenommen und ich stellte mir die ganze Zeit vor, wie es wohl gewesen sein musste, beim Schwimmen unerwartet in den warmen Sommerregen zu kommen. Heute lag das Wetter in den Händen der Wissenschaftler. Nicht nur das Wetter konnten sie kontrollieren, sondern alles Geschehen auf dieser Welt. Ich wusste auch, dass es früher viele schreckliche Dinge gegeben hatte. Menschen sind damals oft an verschiedensten Krankheiten wie Krebs gestorben oder hatten Behinderungen, konnten zum Beispiel nicht laufen. Die Mediziner hatten heute all diese Probleme aus der Welt geschafft. Krebs war nur noch so schlimm wie ein Schnupfen. Auch waren ganz viele Leute diskriminiert worden, aus welchen Gründen auch immer. Entweder weil sie eine andere Herkunft hatten, weil sie nicht dem damaligen Schönheitsideal entsprachen oder auch weil sie männlich waren und Männer liebten oder weiblich waren und Frauen liebten und das wohl, warum auch immer, nicht akzeptiert wurde. Auch über das machte sich heute keiner mehr Gedanken. Alle waren heute gleich. Und so etwas wie Liebe gab es nicht. Ich hatte keine Ahnung wie sich das anfühlte, kannte es nur von den wenigen Lesestoffen von damals, die wir im Unterricht benutzten. Damals benutzte man sogar noch Bücher!
Aber Liebe gehörte eindeutig der Vergangenheit an, wie eigentlich jede Emotion außer Ehrgeiz, Hilfsbereitschaft und Zufriedenheit. Denn alle anderen wurden durch einen medizinischen Vorgang namens Hypnose bei jedem Lebewesen gelöscht. Liebe musste etwas Unglaubliches gewesen sein, aber ich bin froh, dass es sie nicht mehr gibt, schließlich konnte man nur Menschen, die man liebte verletzen, so stand es in meinem Computer.

Ich vernahm ein leises Klingeln meines Holos. Ich drückte auf annehmen und kurz darauf stand mein Nachbar, Nummer 349801, vor mir. Natürlich nicht er selbst, sondern mein Holo projizierte ihn neben mich. „Guten Morgen, Nummer 349801, was kann ich für dich tun?“, fragte ich höflich, so wie es mir beigebracht wurde. „Auch dir einen guten Morgen, Nummer 698435. Ich bete dich hiermit freundlich, heute Abend zu Nummer 897032's Befreiung zu kommen.“ „Danke, Nummer 349801. Hiermit nehme ich die Einladung an.“ Dann beendete sich das Gespräch von selbst. Fast jede Woche wurde ich zu einer Befreiung eingeladen. Dabei sah man zu, wie andere Nummern ihre Zahl weitergaben, von all ihren Verpflichtungen befreit wurden. Früher hieß es sterben. Damals hatte man noch Angst davor, aber es war nichts Schlimmes. Man war einfach großzügig genug, seine Nummer weiterzugeben, schließlich gab es nur eine begrenzte Anzahl an Wohnblöcken. Und die Gebärerinnen hatten fließend Nachwuchs anzubieten.

Ich bat R4778, meinen Roboter, mir alles für die morgendliche Nahrungsaufnahme um 6:30 Uhr fertig zu machen. Danach brachte R4778 mir meine graue, lange Sommerhose und mein kurzes, graues T-Shirt. Das trug jeder, das ganze Jahr über, außer dass man im Winter statt des T-Shirts einen grauen, dicken Wollpullover trug. Dann ging ich vor die Tür, stellte mich auf das Fließband, das zum Bildungstrakt fuhr, vorbei an den grauen Wohnblocks. Auch der Bildungstrakt war grau. Fast alles war grau, weiß oder schwarz. Beim Bildungstrakt angekommen wurde ich von dem Bildungsroboter 890301 begrüßt und freundlich gebeten mich zu setzen, was ich natürlich tat. Wir lernten heute wieder über die unnachvollziehbaren Dinge der Vergangenheit bis 2020. Heute wurde uns etwas über Musik beigebracht. Was für ein lustiges Wort, was das wohl war? Bildungsroboter 890301 erklärte uns, dass man mit der Stimme oder eigens dafür angefertigten Geräten eine melodische Anreihung von Tönen erzeugte, was Leidenschaft und andere unnötige Emotionen hervorrufen konnte. Wir tippten alles in unsere Lerncomputer.
Danach hatte ich, wie alle zwei Wochen einen Termin bei dem Rasierer, der die Fusselchen auf meinem Kopf entfernte. Ich wusste, dass man diese früher Haare genannt hatte, auch dass vor allem Frauen sie sich oft sehr lange wachsen ließen. Bei dem Gedanken daran fragte ich mich, wie die das ausgehalten hatten. So war es doch viel einfacher und wir alle sahen dadurch gleich aus, niemand wurde ausgeschlossen, weil es keinen Grund dazu gab. Danach fühlte ich mich mit dem wieder kahlen, glatten Kopf besser.
Auf dem Nachhauseweg kam ich am Psychiatrieblock vorbei, wo die Nummern lebten, bei denen die Hypnose nicht funktioniert hatte. Vor der Tür hockte eine weibliche Nummer, sie gab ungewöhnliche Laute von sich, man nannte es weinen. Da wusste ich, dass es sich wohl um eine Psychatriebewohnerin handelte. Sie lebten normalerweise eingesperrt, aber um diese Uhrzeit genehmigte man ihnen einen kurzen Ausflug in die Realität. Mein Sinn für Hilfsbereitschaft ließ mich zu ihr gehen. „Hallo. Ich bin Nummer 897032. Wie ist deine Nummer?“, fragte ich anständig. Ich versuchte, mir vorzustellen, wie schlimm es für sie sein musste, traurig sein zu können. Da ich noch nie geweint hatte, fragte ich mich, wie sich das wohl anfühlte. Sie reagierte nicht. „Kann ich dir irgendwie behilflich sein?“, fragte ich noch einmal. Ihr unanständiges Verhalten gab mir noch mehr das Gefühl, ihr aus diesem schlimmen Ausbruch ihrer Gefühle helfen zu müssen. Sie blickte nun auch auf. „Nein, verschwinde bloß! Ihr alle seid doch nichts anderes als mechanisch. Wie eure Roboter seid ihr! Alles auf der Welt ist eintönig, jeder ist gleich!  Man nahm euch jegliche Menschlichkeit! Nur weil bei mir diese verdammte Hypnose nicht wirkte, empfinde ich so, wie Menschen es früher taten und glaub mir, das Leben ist so viel schöner als diese öde, immer gleiche Routine!“, schrie sie. Sie sagte, ich sollte mich von ihr entfernen und um ihren Wunsch zu erfüllen, stand ich auf und ging nach Hause.

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Autorin / Autor: Sarah, 14 Jahre