Viernheim im Mai des Jahres 2050
Einsendung zum Wettbewerb 2050 - Stadt meiner Träume - Eine Vision erzählt von Martin Beickler, 66 Jahre
Als Janek seine leere Kaffeetasse in die Küche bringt, hört er wie die Spülmaschine sich einschaltet. Auch sein Gefrierschrank brummt. Überrascht schaut er auf seine Uhr. "Verflixt, tatsächlich schon elf Uhr, ich komm mal wieder zu spät", murmelt er. Gerade hat die Grüne Stunde begonnen. Ein Super-Spartarif an sonnigen Tagen, erfahrungsgemäß für seinen Stadtteil von elf bis zwölf. Überall in den Wohnungen der Nachbarschaft schalten sich jetzt automatisch die elektrischen Großgeräte ein. Auch seine Klimaanlage arbeitet eine Stufe höher, bemerkt der junge Mann beim Verlassen seines Apartments.
Im Innenhof empfängt ihn die Hitze. Wie oft um diese Jahreszeit brennt bereits am frühen Vormittag die Sonne vom Himmel. Schon 32° im Schatten. Er bleibt kurz vor seinem blauen Sportwagen stehen, mit seinen zwölf Jahren fast ein Oldtimer. Ein Hybrid mit Strom und Methangas betrieben. Jetzt hängt sein Auto am Hausnetz und wird mit Solarstrom vom eigenen Dach aufgetankt. Das kostet ihn fast nichts. Gestern Abend war er in Worms auf der Geburtstagsfeier einer Kollegin und die Batterien des Fahrzeugs sind nahezu leer. „Nee, da nehme ich lieber ein ‚Sharie‘. Kommt mich billiger.“
Auf der Straße sieht er mit einem Blick mehrere rote und blaue Car-Sharing-Autos. Er fischt sein Smartphone aus der Tasche und murmelt in das eingebaute Mikrofon: „Rhein-Neckar-Zentrum“. Den Stadtplan auf dem Display ignoriert er, stattdessen schwenkt er das Gerät wie eine Fernbedienung die Kirschenstraße rauf und runter. Ganz in der Nähe blinken zwei Autos und ein abgestelltes Elektrofahrrad kurz auf. Schon ist er bei einem roten Kleinwagen. Er öffnet ihn, indem er „Mieten “ ins Mikrofon sagt. Dann zieht er den Stecker aus der Ladesäule an der Bordsteinkante und verstaut das Kabel. Als er sich hinter das Steuer klemmt, laufen bereits die Klimaanlage und das Radio.
Das E-Auto surrt flott die Straße entlang. Jedes zweite Hausdach vor Janek funkelt schwarz und blau in der Sonne. Am neuen Eckhaus in der Wormser Straße besteht sogar die ganze Vorderseite aus einer dunklen PV-Anlage, auch die Fenster. Viernheim badet heute in Strom. Immerhin 30 % des Jahresverbrauchs liefert die Sonne. In der Friedrich-Ebert-Straße sieht er in der Ferne den blaugrünen Höhenzug der Bergstraße. ‚Eines der winzigen Windräder dort gehört auch ein bisschen mir‘, schießt ihm durch den Kopf. Wie viele seiner Freunde hat er so für eine ‚Windrente‘ im Alter gesorgt. Mithilfe der Stadtwerke. 60 % des gesamten Stroms ernten die Viernheimer mit 12 Windanlagen im Odenwald und in der Pfalz.
Doch heute steht Viernheim unter Solar-Strom. In zwei Stunden werden alle Batterien geladen sein, auch die große des Stadtteils Bannholzgraben, an deren Container Janek gerade vorbeifährt. Direkt daneben steht das neue Gaswerk der Stadtwerke. Am Nachmittag wird hier mit Sonnenstrom Methan erzeugt. ‚Auch für das kleine Blockheizkraftwerk in meinem Keller‘, fällt ihm ein, Aktion Eichhörnchen für den Winter. Irgendwie ein gutes Gefühl. Außerdem werde ich morgen mein Cabriolet hier mit Gas auftanken, dann komme ich am Wochenende in einem Rutsch bis nach München‘.
Auf der Höhe der Gastankstelle muss Janek an einer Ampel stoppen. In der Seitenstraße hält gerade ein Elektrobus vor der Methanisierungsanlage. Einige Männer mit breiten Texashüten steigen aus und suchen sofort Schatten unter den PV-Dächern des Parkplatzes. Janek entdeckt bei Ihnen die Bürgermeisterin und einige Stadtverordnete. „Na klar, die Delegation unserer amerikanischen Partnerstadt ist immer noch da“, murmelt er. "Die machen sich wohl schlau, wie‘s ohne Erdöl geht". Der junge Mann muss grinsen. Doch irgendwie ist er auch stolz. "Wie haben wir das nur alles geschafft? In so kurzer Zeit!"
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Autorin / Autor: Martin Beickler, 66 Jahre