Abdul Muqeet - berühmt durch alte Zeitungen
Ein Text von Dorian Bauschke
Abdul Muqeet und Dorian Bauschke
*Die weltweite Produktion an Müll erreicht inzwischen Dimensionen, die in Zahlen kaum noch zu begreifen sind. Unbedachtes Verhalten, Plastikmüll in den Meeren zu entsorgen, tötet jährlich hunderttausende Seevögel und Meeresbewohner.*
„Und der da rechts, das ist der Abu Dhabi Award“. Abdul zeigt auf den goldenen Pokal, der wie eine Acht geformt ist. „Der Präsident der Vereinigten Arabischen Emirate hat ihn mir persönlich überreicht“, sagt er ehrfürchtig. Sein Vater erwidert lächelnd: „Aber was der Scheich ihm auf der Bühne ins Ohr geflüstert hat, das will er uns bis heute nicht erzählen.“
Die Wohnung, in der Abdul mit seinen Eltern lebt, ist nicht sehr groß. Das Haus, in dem sich die Wohnung befindet, ist etwas heruntergekommen und die schönste Wohngegend ist es auch nicht. Doch die Wohnung seiner Eltern ist geschmackvoll eingerichtet und man fühlt sich sofort wohl. Seine Mutter bietet liebevoll dem Gast Tee an und bittet darum, es sich im Wohnzimmer gemütlich zu machen. Und wenn man diesem schmächtigen, zurückhaltenden Jungen mit dem Lächeln im Gesicht die Hand schüttelt, fühlt es sich gar nicht besonders an. Im Gespräch wirkt er nicht überheblich, er ist immer höflich und zuvorkommend. Dabei ist Abdul gerade einmal 13 Jahre alt, ein Alter, in dem man eher über seine Beliebtheit in der Schule, Klamotten oder Mädchen nachdenkt. Abdul dagegen denkt mehr über Plastikmüll nach.
2011 wurde er mit dem Abu Dhabi Award ausgezeichnet. Dieser wird an Menschen verliehen, die das Leben in und um Abu Dhabi verbessern oder verbessert haben. Abdul war der jüngste Gewinner, den es je gegeben hat. „Gerade nach dem Abu Dhabi Award fingen Leute an, mich auf der Straße anzusprechen. Sie wollten wissen, wie meine Kampagne und alles andere so läuft.“ Abdul lächelt. Im Februar 2010 begann sein Engagement, als in Abduls Schule ein „plastikfreier“ Tag eingeführt wurde. „Ich fragte mich, was denn an Plastik so schlimm sei. Als ich nach Hause kam, stellte ich meiner Mutter sofort diese Frage.“
Sie wusste gleich, worum es ihrem Jungen ging. So erzählt sie ihm von den Schäden, die Plastik weltweit anrichtet. Von den Tieren, die im Meer und an Land darunter leiden, vor allem, wenn sie Plastik fressen, das bis zu 1000 Jahre braucht, um sich abzubauen. Sie erzählt ihm auch von der Plastikinsel, die im Nordpazifik schwimmt und Schätzungen zufolge heute schon so groß wie Europa ist. Abdul ist verwundert. „Wenn Plastik so schädlich ist, warum benutzen wir es dann?“ Eine akzeptable Antwort darauf konnte er nicht finden. „Ich wollte den Leuten in meinem Umfeld davon erzählen, und sie darauf aufmerksam machen.“ Er sagt das, als wäre es selbstverständlich und als ob es keine große Sache ist. „Am Anfang war es wirklich schwierig, fast niemand hat mir zugehört, die Leute hielten an ihren Standards fest. Ich dachte oft an Mahatma Ghandi, der sagte: „Zuerst werden sie dich ignorieren, dann werden sie dich auslachen und dann werden sie dir folgen.“
Auf die Frage, was er mal werden will, antwortet Abdul: „Ein guter Fußballspieler.“ Natürlich möchte er seine Kampagne auch fortführen. Sein Ziel dabei ist riesig: „Ich will diese Kampagne weiter betreiben, bis Plastik von der Welt verbannt ist.“ Trotz der Notwendigkeit, die ganz klar da ist, sieht er aber auch gute Zeiten vor sich. „Wenn wir weiter kleine Schritte nach vorne machen, wird das einen Unterschied bedeuten. Es liegt an uns, ob wir gute oder schlechte Zeiten haben werden“, prophezeit er schon fast.
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Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Wettbewerbes
Im Wohnzimmer kommt die Mukku-Tüte zur Welt
Eines Tages, als Abdul gerade im Wohnzimmer seiner Eltern sitzt, fällt sein Blick auf die Zeitung, die sein Vater gerade gelesen hatte. Nach etwas Recherche im Internet ist es soweit, die erste Mukku-Tüte ist „geboren“. Den nächsten Tag kann er kaum abwarten. Als dann endlich die letzte Unterrichtsstunde beendet ist, läuft er aufgeregt zu einem Papierwarenladen in seiner Nähe. Er fragt den Ladenbesitzer, ob dieser bereit wäre, seine selbst gebastelten Tüten anstatt der Plastiktüten an seine Kunden weiter zu geben. Der Mann, ebenfalls aus Indien, möchte einem kleinen Jungen seinen Wunsch nicht ausschlagen und stimmt zu. Bevor Abdul den kleinen Laden verlässt, dreht er sich um und kündigt an, er werde zurückkommen, sobald er mehr Tüten habe.
„Womit die Leute nicht gerechnet haben, war Abduls Bestehen auf das Versprechen“, verdeutlicht seine Mutter mit einem Kopfnicken. Abdul verteilt die Tüten regelmäßig an die kleinen Läden in seiner Nachbarschaft, in denen seine Mutter auch Einkaufen geht. Schon nach kurzer Zeit haben die Menschen dort nach seinen Tüten gefragt und in seinem Wohnviertel ist er inzwischen zu einer kleinen Berühmtheit geworden. Zum Einkaufen benutzt Abdul die Tüten aber selten: „Die Tüten halten nicht viel Gewicht, also verwende ich sie nur für die kleineren Einkäufe. Für Größere brauche ich umweltfreundliche Taschen oder Stoffbeutel.“ Abdul möchte Aufmerksamkeit wecken, weniger Plastik zu benutzen und die Papiertüten sollen dazu beitragen. „Auf jeder Papiertüte ist eine Botschaft und sie vermittelt dem Benutzer, wie wichtig es ist, keine Plastiktüten mehr zu verwenden. Und natürlich fragen sich Leute: „Wenn dieser Junge so viel auslöst, warum tue ich dann nichts?“
Abdul war inzwischen schon häufiger durch sein Engagement in der Presse, daher sitzt Abdul auch entspannt auf dem Sofa im Wohnzimmer seiner Eltern. Er weiß, was er zu sagen hat. Im Interview kommt er wie ein Profi rüber, seine Antworten klingen wie vorformuliert. Sein Englisch ist hervorragend, er spricht mit einem leichten, typisch indischen Akzent. Obwohl seine Eltern sich mit im Raum befinden, würde er wohl auch ohne sie so souverän wie jetzt erscheinen. Aber trotzdem sitzt er dort auf dem Sofa, hört konzentriert zu, und zeigt nicht einmal übermäßigen Stolz oder Überheblichkeit.
Die Freunde unterstützen ihn
Abdul ist ein „Nachzügler“ in seiner Familie. Er hat zwei ältere Geschwister, die allerdings nicht mehr bei den Eltern wohnen. Doch gerade von ihnen erhält er viel Zuspruch. Rückhalt hat Abdul immer. „Meine Freunde haben mir geholfen Papiertüten zu basteln und sie dann auch selbst benutzt. Sie trieben die Kampagne mit mir zusammen voran und verbreiteten mit der Idee ein besseres Umweltbewusstsein“, erzählt Abdul mit Freude. „Sie kamen von sich selber aus zu mir und fragten mich, ob sie helfen können“ Abdul schaut völlig überzeugt, denn er hat nie an der Unterstützung seiner Freunde gezweifelt. „Ich bin wirklich glücklich, dass ich so besondere Freunde habe.“
Als belastend empfindet er seine Kampagne überhaupt nicht. „Ich bin eher glücklich, meine Pflicht zu erfüllen. Viele Firmen machen ihre Geschäfte mit Plastiktüten, aber ich erfülle meine Pflicht gegenüber Mutter Erde.“ Aber was treibt ihn denn nun an? Seine Mutter erinnert an einen Moment aus der 2. Klasse: „Damals hat er mir zum Muttertag eine Karte geschenkt, auf der er ein Kästchen mit der Überschrift „Wasser sparen“ zum Ankreuzen zeichnete. Ich glaube, es liegt ihm einfach in den Genen, diese Motivation, die Umwelt zu retten“, sagt seine Mutter, mit einem Leuchten in den Augen. Abdul selber behauptet: „Meine Inspiration ist Scheich Zayed: Er sagte einmal, Menschen müssten nicht nur zu Menschen freundlich sein, sondern auch zu Tieren und Pflanzen, denn Gott zeigt seine Güte denen, die anderen Güte zeigen.“ Von dem Gedanken, er sei doch nur ein kleiner Junge auf der großen weiten Welt, dessen Pflicht es nicht ist, die Umwelt zu retten, hält Abdul gar nichts. „Ich finde diesen Gedanken einfach falsch, alle haben die Pflicht zu helfen und jeder kann auch Sachen tun, egal wie winzig sie erscheinen. Ich denke oft an Scheich Khalifa, der einmal sagte: „Umweltschutz ist nicht nur eine Aufgabe der Regierung, es ist auch die Pflicht eines jeden Bürgers, seinen Teil beizutragen.“
150 Workshops für umweltfreundliche Einkaufstüten
Mit dem Abu Dhabi Award nahm Abduls Kampagne gegen Plastikmüll dann an Fahrt auf. Schulen und Universitäten riefen für Workshops an, von denen er bis heute über 150 veranstaltet hat. Er wurde von den Vereinten Nationen nach Indonesien eingeladen. Auf der Vorbereitung zur Klimakonferenz sprach Abdul vor wichtigen Persönlichkeiten. Außerdem reiste er in die USA, wo er eine Versammlung von „Kids are Heroes“ besuchte. „Die anderen Kinder hatten wirklich tolle Ideen, sie kämpften gegen Mobbing oder sammelten Geld für den guten Zweck“, sagt er fasziniert. „Viele Schüler geben mir neue Ideen. Ich möchte auch eine Initiative gegen Wasserverschwendung mit meinen Freunden beginnen.“
Doch auch Abdul ist trotzdem nicht besonders. „Da ist nichts, worauf man stolz sein könnte. Auch wir haben ihm gesagt, obwohl er den Abu Dhabi Award gewonnen hat oder so oft in der Zeitung war, er ist noch immer der Gleiche. Und er ist tatsächlich immer noch der Gleiche, daher sind seine Freundschaften auch die Gleichen. Er sagt nicht „Ich bin dies und habe das erreicht, sondern er nimmt es als eine positive Sache, die anerkannt wurde“, macht seine Mutter klar. Bei ihr ist die Kampagne noch nicht ganz angekommen. Nach ihrer Auffassung ist Abduls Arbeit lobenswert, aber so wirklich identifiziert sie sich nicht damit.
Im November 2014 verkündete die indische Stadt Varanasi, dass 10.000 Studenten dort 500.000 Papiertüten aus altem Zeitungspapier herstellen werden, nachdem Abdul sie besucht hatte. „Das hat sich wirklich besonders angefühlt. Mir wurde bewusst, dass viele Menschen nun über die Schäden von Plastiktüten Bescheid wussten und dass Plastiktüten eines Tages verboten werden könnten,“ sagt Abdul voller Freude.
Abdul bastelt nicht nur Tüten aus Zeitungspapier, sondern auch Briefumschläge, Geschenkpapier oder Einladungen. „Einmal kündigte unsere Schule ein Sportfest an. Ich bastelte eine Einladung für die Eltern aus recyceltem Papier.“ Er zeigt die Karte, die farbenfroh und ordentlich ist. „Meine Lehrerin fand sie so toll, dass unsere ganze Schule Einladungen bastelte und so kein Papier verschwendet werden musste.“
Indien hört auf Abdul
Und was benötigt die Welt nun wirklich? „Aufmerksamkeit und Bewusstsein! Das ist der Schlüssel, die Leute müssen realisieren, wie schlimm der Zustand schon ist, aber auch, was nun zu tun ist. Wenn mehr Leute davon wissen, werden auch mehr Leute handeln. Eine ausgeglichene Umwelt ist wirklich unabdingbar. Die Verschmutzung nimmt zu, die Erde erwärmt sich und viele weitere schlimme Dinge geschehen. Das passiert alles wegen uns, weil wir mit der Umwelt so wertlos und unbarmherzig umgehen. Wir müssen darauf aufmerksam machen, ansonsten wird es schrecklich werden“, macht Abdul klar. Während des kompletten Gespräch benutzt er in Bezug auf die Umwelt nicht einmal den Begriff „helfen“, sondern er redet nur von „retten“.
Indien ist der erste Ort außerhalb Abu Dhabis, an dem Abduls Kampagne fortgeführt wird. Doch Abdul hat ernstzunehmende Träume. In San Francisco sind Plastiktüten seit 2007 verboten, im März 2014 wurde ein Gesetz verabschiedet, dass bis 2020 alle Plastikflaschen mit einem Volumen von 0.6 l oder weniger abschaffen wird. Abdul ist ein Optimist und er glaubt daran, dass Plastiktüten eines Tages weltweit verboten werden. „Am liebsten würde ich alle Firmen zwingen, umweltfreundliche Taschen zu verwenden“, sagt Abdul mit einem Grinsen.
„Hätte ich die Idee mit den Papiertüten nie gehabt, würde ich noch immer versuchen, durch kleine Schritte etwas zu verändern“, beteuert Abdul. „Die Idee mit den Tüten war ja auch nicht riesig, aber sie hatte ziemlich großen Einfluss. Alleine oder in der Gruppe, macht einen Schritt nach vorne, egal wie unbedeutend es erscheint, jedes Handeln macht einen Unterschied.“
Er hat selber klein angefangen. Neben Wasser und Strom sparen unternahm auch er nicht viel mehr. Doch mittlerweile wird er ständig interviewt. Seine Botschaft an alle ist: „Seid die Veränderung, die ihr in der Welt sehen möchtet. Bekennt Farbe. Denn zusammen können wir alle einen Unterschied machen. Pflanzt mehr Bäume, benutzt weniger Wasser, betreibt Recycling und vor allem, benutzt weniger Plastik.“ „Insgeheim“, sagt er, „ist Plastik eine größere Bedrohung als Atomwaffen.“
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Autorin / Autor: Bild und Text von Dorian Bauschke - Stand: Oktober 2015