2050 - Stadt meiner Träume*

Einsendung zum Wettbewerb 2050 - Stadt meiner Träume von Jenny Langner, 28 Jahre

An den Straßenrändern stehen überall bunte Blumen aus Styropor. Man kann sie durch die dicken Fensterrahmen der Energiesparhäuser sehen. Die ganzjährige Farbenpracht gilt als Indiz guter Laune und verkündet den Einheimischen Motivation.

Die Regierung in der Zukunftsstadt gibt sich alle Mühe, ein 'lebenswertes' und 'soziales' Umfeld für ihre Bewohner zu gestalten. Wenn die Maßnahmen zur Reproduktionsmedizin anhaltend so gut verlaufen wie bisher, sollte dieses Ziel in 30 Jahren erreicht sein. Spätestens dann müssten die letzten Jahrgänge der natürlich Geborenen ausgestorben sein.

Nur noch im Museum wird der alten Zeiten gedacht, als Menschen sich voreinander ausziehen und keimbehaftete Körperflüssigkeiten austauschen mussten, um Nachwuchs zu erzeugen. Heute wird jedem Bürger, der das 25. Lebensjahr vollendet hat automatisch ein Katalog aufs Smartphone gesandt, mit dem er sich seinen eigenen Kinderavatar samt Augenfarbe, Lautstärkepegel und maximaler Endgröße zusammenbasteln kann. Bei der Eintragung ins Herkunftsregister kann man später zwischen zwölf Geschlechtern wählen. Die Lieferkonditionen besagen außerdem, dass dem werdenden Alleinerziehenden binnen der kommenden zwei Jahre eine digitale Erstausrüstung und drei Quadratmeter mehr Platz in seiner Wohnung zustehen. Kein Baby verlässt den Volkseigenen Produktionsbetrieb ohne ausgiebige Qualitätskontrolle! Die Ressourcenverschwendung, ein Kind mit suboptimalen Erbanlagen aufzuziehen, wäre schließlich versicherungstechnisch unbezahlbar.

Schon Kleinkinder lernen, dass die wichtigste Bewegung das Auseinanderziehen von Daumen und Zeigefinger auf einem Bildschirm ist. Mehr braucht hier niemand, um sein Leben zu steuern.

Weil keiner ein Auto hat und raus zur echten Natur fahren kann, sind alle internetsüchtig. Die riesigen Datenspeicher erhitzen die Luft über der Stadt derartig, dass niemand versteht, warum man eine der Winterjacken auf Seite 6392 der Onlinesuchmaschine kaufen sollte.

Angst vor dem Klimawandel hat trotzdem niemand, denn ehemalige Getränkeautomaten wurden in einer ökologischen Großinitiative flächendeckend zu Sauerstoffspendern umgebaut. Prall gefüllte Beutel mit reiner Luft vom Lande werden nun auf Knopfdruck an diejenigen ausgeben, welche ihre Beatmungsmaske mit dem aktuell gültigem Mehrzwecksiegel vor den Sensor halten.

Tatsächlich sind die Verwaltungsstrukturen der Zukunftsstadt sehr effizient. Nur noch 2 % der Erwerbsfähigen sind damit beschäftigt, tiefgreifende Umverteilungsprozesse für alle Anderen zu implementieren.

Bestellhotlines kredenzen rundum die Uhr direkt an die Wohnungstür: individualisierbare Körnermischungen zum Frühstück, mittags Einheitsbrei, abends fettarme Snacks und Polyethylen haltige Energizer sowie nach 21 Uhr dann reichhaltiges THC aus Wasserpfeifen, um den sozialen Frieden trotz monotonem Alltag aufrecht zu erhalten.

Keiner denkt mehr selbstständig. Die Entscheidungsfindung wird komplett an gewaltige Computernetzwerke delegiert. Es wäre schließlich auch viel zu gefährlich, wenn die Leute zum Beispiel einfach so aus ihren Häusern spazieren würden ohne den mathematisch perfektionierten Ausgangsplan zu beachten.

* Wer sagt, dass Träume und Visionen immer gut sind?

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Autorin / Autor: Jenny Langner, 28 Jahre