Früher war alles besser  - auch 2050

Einsendung zum Wettbewerb 2050 - Stadt meiner Träume von Wienke, 19 Jahre

Glänzend, strahlend, gläsern, stählern; mit Wolkenkratzern, die sich in der Unendlichkeit des Universums zu verlieren scheinen; vielleicht sogar schwebend – so wird sie aussehen, die Zukunftsstadt 2050.

Zumindest, wenn man dem Internet und insbesondere der Bildersuche eines großen Onlinedienstes blind vertraut, die einem auf Anfrage diverse architektonische Meisterleistungen gleich dutzendfach präsentiert. Und mal ehrlich – genau diese Bilder waren doch auch Ihre ersten Assoziationen zu diesem Thema, oder?

Doch je länger man diese glitzernden Hochglanzbilder betrachtet, desto stärker überkommt einen das Gefühl, dass auf ihnen irgendetwas, besser irgendjemand fehlt: Nämlich der, dem diese ganzen futuristischen Konstrukte später einmal nutzen sollen: der Mensch.

Werden 2050 wirklich fliegende Autos, Roboter und selbstständige Häuser dazu beitragen, dass die Menschen der Zukunftsstadt angenehmer leben, in Sicherheit und Frieden zusammen leben werden? Denn ist es nicht im Endeffekt das, was alle Menschen sich für ihre Zukunft wünschen: Sicherheit, Frieden und Freiheit? Und sollte deshalb nicht auch die Vision einer Zukunftsstadt vielmehr unter diesen tiefgreifenden Gesichtspunkten betrachtet werden, statt sie in den schillerndsten, realitätsfernen Farben auszumalen?
Denn klar ist doch: Die Zukunft beginnt heute. Wer möglichst viel seiner potentiellen futuristischen Stadtvision umsetzen will, muss sich schon jetzt mit grundlegenden Fragen beschäftigen und aktiv Antworten finden. Da wäre z.B. die Frage nach der Staatsform, in der wir 2050 leben werden. Wird bis dahin das ohnehin schon beschädigte Vertrauen in die Politik gänzlich verloren gegangen sein, weil politische Entscheidungen nur noch über die Köpfe der Bürger hinweg gefällt werden und Wahlen eh „uncool“ sind, da alle Parteien sowieso irgendwie das Gleiche wollen.

Werden wir stattdessen vielleicht in einer Diktatur leben, in der endlich mal wieder einer klar die Führung übernimmt? Ist es nicht ohnehin viel bequemer, der Freiheit beraubt zu sein, eigenständig zu entscheiden? Das ist doch sowieso immer so anstrengend; diese ganze Verantwortung ...

Auch wenn dieses Szenario natürlich etwas überspitzt dargestellt ist, lässt sich zugleich ein bereits jetzt erkennbarer Trend in diese Richtung nicht leugnen. Was müsste die Stadt der Zukunft in diesem konkreten Fall also leisten? Zunächst einmal müsste für politische Bildung aller Bürger egal welcher Altersklassen gesorgt werden. Das Lernen dürfte in der Zukunftsstadt nicht nach der Schule aufhören. Vielmehr müssten jährlich verpflichtende Seminare zu aktuellen politischen Themen angeboten werden, und Möglichkeiten der aktiven städtischen unbürokratischen Mitbestimmung aufgezeigt werden, wie es sie heute in einigen Städten, z.B. Hamburg schon gibt.

Dort kann man sich per E-Mail Filter über wichtige Bauvorhaben in seiner Nachbarschaft informieren lassen und bei Nichteinverständis eine Unterschriftensammelaktion starten, bevor es zu spät ist: Mehr direkte Demokratie durch die Einführung städtischer Volksentscheide wäre ein probates Mittel, um der aktuellen Politikverdrossenheit entgegenzuwirken.
Den Bürgern sollte von Beginn an gezeigt werden, dass sie durch aktives Handeln etwas verändern können, weshalb auch die Stimmen von Kindern und Jugendlichen in Form von Jugendparlamenten viel stärker gehört werden müssten. Nur wenn sich die Bewohner der Zukunftsstadt der Verknüpfung von Freiheit und Verantwortung, der Wechselwirkung von Rechten und Pflichten bewusst sind, wird sich das demokratische System langfristig erhalten lassen.

Gleiches gilt für das Verhältnis von Sicherheit und Freiheit. Auch hier muss ein viel stärkeres Bewusstsein dafür entwickelt werden, wie viel Freiheit zur Gewährleistung eines gesunden Sicherheitsmaßes aufgegeben werden sollte. Denn unlängst neigen wir schon heute, im Zeitalter der globalen Vernetzung und der dadurch scheinbar immer näher rückenden und zugleich steigenden Anzahl an Krisen dazu, unseren irrationalen Ängsten nachzugeben und Freiheiten/ Privatsphäre für einen angeblichen Sicherheitsgewinn zu opfern.
Wird sich diese Entwicklung bis 2050 noch verstärkt haben? Sollen dann neben öffentlichen Räumen auch private Wohnungen überwacht werden? Durch Kameras, Drohnen, Körperchips? Finden wir es dann okay, dass unsere Krankenkasse 2050 vermutlich sämtliche unserer Gesundheitsdaten per Mikrochip automatisch übermittelt bekommt und wir dafür zwar zum einen eine immer optimalere Gesundheitsversorgung bekommen, zugleich aber auch sämtliche Daten möglicherweise an große Firmen gelangen? 
Sieht die Zukunftsstadt vielleicht sogar ausgefeilte Sicherheitssysteme für Kinder vor, damit keines von ihnen mehr unbemerkt verschwinden kann? Und falls doch, innerhalb kürzester Zeit per überall verteilten GPS-Sensoren und digitale Infobildschirmen in der gesamten Stadt gefunden werden kann? Ist es gegenüber eines solchen Vorteils nicht schon fast empörend, kritisch darauf hinzuweisen, dass Kinder sich vor allem auch durch unbeobachtetes Experimentieren und Forschen zu selbstständigen Wesen entwickeln können? Ohne, dass ihnen bei der Entfernung aus der das Haus umgebenen Sicherheitszone gleich die schreiende Mutter, die Polizei und die Feuerwehr auf den Fersen sind. Denken sie mal an ihre eigene Kindheit.

Gelingt es nicht, diesen Trend umzukehren, dann kann der Wunsch nach kompletter Sicherheit die Zukunftsstadt 2050 vor allem zu einer machen, in der ihre Bewohner Gefangene ihrer eigenen Bequemlichkeiten und Paranoia sind. Wie ein Vogel im goldenen Käfig, eingelullt von Großkonzernen und Staat. Umgeben von hübschen Bauten und anderem oberflächlichem Schnickschnack. Womit wir wieder bei der Googlezukunft wären.

Wenn Sie wie ich der Meinung sind, dass eine Zukunftsstadt derartigen Aussehens nicht lebenswert ist, dann engagieren Sie sich schon jetzt gesellschaftlich, übernehmen Sie Verantwortung! Andernfalls gehören Sie 2050 zu denen, die wie so viele vor Ihnen klagen: Früher war alles besser ...

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