Wir tauschten unsere Männer weg

Einsendung zum Wettbewerb 2050 - Stadt meiner Träume von Lili, 14 Jahre

Eine perfekte Welt?

"Es tut mir leid Schatz, aber ich bin heute wieder mit meiner Freundin verabredet. Ich
komme gegen Abend wieder. Du kannst dir die Suppe warm machen, die auf dem Herd
steht. Bis dann!" Die Tür knallte zu und ich war allein. Es ist unfassbar, seit Tagen
möchte ich mit ihr etwas unternehmen, aber sie hat nie Zeit. Dauernd meint sie, dass
sie mit Freundinnen weg ist und kommt mit riesigen Einkaufstüten zurück. So viel Geld
kann sie doch gar nicht haben... Vielleicht steckt ja ein anderer Mann dahinter...
Als ich aus dem Fenster sah, stieg sie gerade in ihr Auto. Ein Geistesblitz durchzuckte
mein Gehirn und ich konnte nicht anders, als ebenfalls in mein Auto zu springen, um
herauszufinden, was mit Steffi los war. Wir fuhren ca. eine halbe Stunde, doch sie
blickte nicht ein einziges Mal in den Rückspiegel -typisch- aber in diesem Fall gut für
mich. Mir war diese Gegend gänzlich unbekannt und plötzlich tat sich vor mir ein
riesiger Parkplatz auf. Er war gut gefüllt und mir fiel auf, dass die Parklücken
mindestens doppelt so groß waren, als normale. Ich hob eine Augenbraue, doch
kümmerte mich nicht weiter darum, da ich erstmal damit beschäftigt war, ungesehen von
Steffi aus meinem Wagen zu steigen. Sie hat aber weit vorne geparkt, sodass sie mich
nicht sah und bog flink um eine hohe Hausecke. Ich folgte ihr, doch als ich hinter der
Ecke hervorlugte, stockte mein Atem. Ich blinzelte zweimal, um mich zu vergewissern,
dass ich nicht unter akuten Farbenblindheit litt, um dann festzustellen, dass tatsächlich
alles eine einzige Farbe angenommen hatte: Pink. Alle Häuser und was es sonst noch
so gab waren in den unterschiedlichsten Pink- und Lilatönen angestrichen. Nur die
Straße, die zwischen den Häuserreihen entlang lief und die Pflanzen haben ihre
natürlichen Farben behalten. Langsam löste ich mich aus meiner starren Haltung und
machte mich auf, diese merkwürdige Stadt zu erkunden.
Als erstes ging ich zu einem Laden, der mich in hellem Neonpink anstrahlte und blickte
durch das blankgeputzte, riesige Schaufenster. Die Schaufensterpuppen trugen allesamt
elegante Kleider, doch etwas irritierte mich. Es waren die Körper der Puppen. Sie waren
nicht schlank, sondern recht pummelig. Ich muss zugeben, dass mir diese Form viel
besser gefiel, als die, die von Frauen angestrebt wird. Dann bemerkte ich den
gegenüberliegenden Laden, der sich im Glas spiegelte, vor dem eine blonde Frau mit
zwei Hunden stand. Die Hunde - ein Mops und ein Chihuahua - hatten funkelnde
Diamanten an ihren Halsbändern befestigt und glichen ihrem Herrchen ungemein. Die
Frau war komplett in blau gekleidet: blaues Seidenkleid, blaue Stöckelschuhe, blaue
Handschuhe und blaue Fingernägel, die mindestens drei Zentimeter lang waren. Außerdem
war sie übersäht mit glitzernden Edelsteinen. Ich musste ihr Gesicht nicht sehen, um zu
wissen, dass ich ihr wahres Gesicht unter dem fünflagigem Make-up sowieso nicht
erkannt hätte. Die Frau stolzierte hochmütig in den Laden hinein und ich lugte vorsichtig
durch die Tür hinein. Das Innere war hell erleuchtet und es roch nach Seife. In den
vergoldeten Badewannen lagen Hunde, auf schneeweißen Handtüchern wurde Katzen das
Fell gebürstet und auf einem Sessel wurde gerade einem Leguan die Füße
massiert. Der Anblick verstörte mich, weswegen ich mich umdrehte und schnell weiter
lief.
Ich bog in viele Straßen, traf auf eine menge Frauen, die mich alle verwirrt anstarrten.
Gerade kam ich an eine Gasse, in der sich ein kleines Grüppchen Frauen gebildet
hatte, die mit dem Finger auf mich zeigten und miteinander tuschelten. Ich hörte, wie
eine kleine Dickere flüsterte: "Seht ihr! Ich habe es euch doch gesagt. Er ist ein
Mann!" Was bitte sollte das?! Was ist so ungewöhnlich daran? Haben die etwa noch
nie einen Mann gesehen? Ich ließ mir nichts anmerken, lief an ihnen vorbei und
versuchte mich auf andere Gedanken zu bringen.
Da ich mich nach einiger Zeit nach etwas Männlichem sehnte, blickte ich in einen der
tausend Spiegel, die an jedem zweiten Bauwerk hingen. Manche von ihnen waren mit
Lippenstiften, Wimperntusche, Puder und diversen Schönheitsprodukten ausgestattet, welche
die Frauen auch ausgiebig benutzten. Während ich einen blutroten Lippenstift betrachtete,
der mit einer dünnen Sicherheitsschnur verbunden war, fiel mir Steffi wieder ein. Oh
Mann, sie durfte mich auf keinen Fall hier entdecken! Den gekommenen Weg
zurückzulaufen war ausgeschlossen, da ich keine Ahnung hatte, wo ich mich befand. Ich
brauchte Zeit zum Nachdenken, bei dem mir die goldgerahmte Bank mit rosanen
Samtsitzen gerade recht kam. Erschöpft setzte ich mich und fragte mich, wofür wohl
diese gepolsterten Behälter vor der Bank gut waren. Ich war so in Gedanken versunken,
dass ich die Frau erst nicht bemerkte, die sich neben mich auf die Bank setzte. Sie
zog ihre zehn Zentimeter hohen High-Heels aus und legte sie behutsam in die dafür
vorgesehenen Kästen. Ihre Füße waren wund und sie zog sich einige Pflaster aus dem
Pflasterautomaten, die sich immer in der Nähe von Sitzgelegenheiten befanden. Plötzlich
sah die Frau auf und fragte mich: "Was machen Sie hier?" Die Frage kam so
unerwartet, dass ich aus Reflex "Bitte?" rief. "Ich hielt es für ein Gerücht der anderen
Frauen, dass Sie hier sind, aber Sie sind ja tatsächlich hier. Was wollen Sie? Sie sind
doch ein richtiger Mann, oder?" Die Übertragung von Informationen dieser Stadt
funktionierte wirklich ausgezeichnet. Die Frage kränkte mich, weshalb ich schnippisch
antwortete: "Ich wüsste nicht, wie man kein richtiger Mann sein kann!" Da ich eine
peinliche Situation vermeiden wollte, schwindelte ich ein wenig: "Was ich hier mache?
Eigentlich sollte ich meine Freundin am Parkplatz abholen und als sie einfach nicht kam,
habe ich mich kurzerhand entschlossen, hier auf der pinken Bank das schöne Wetter zu
genießen!" Natürlich hörte sie den ironischen Unterton meiner Stimme und kicherte: "Tja,
nur gut, dass ich Sie getroffen habe. Wir sind nämlich ziemlich weit vom Parkplatz
entfernt und wie Sie sehen, gibt es bei uns keine Autos." Das war mir bisher gar nicht
aufgefallen, aber ich war zu erschöpft, um weiter darüber nachzudenken. Meine Lieder
schlossen sich unabsichtlich und die junge Frau fragte höflich: "Sie sehen müde aus.
Sollen wir uns vielleicht in das Café dort setzten? Der Kaffee wird Ihnen sicherlich gut
tun und ich könnte Ihnen mehr über unsere Stadt erzählen. Übrigens, ich heiße Betty."
Dankend nahm ich das Angebot an und kurz darauf saßen wir im Café.
Während wir unseren heißen Kaffee aus magentafarbenen Tassen tranken, erklärte mir
Betty, wie das System der Stadt funktionierte. Wenn ich alles richtig verstanden habe,
musste man seine alte Kleidung abgeben, um neue zu bekommen. Sozusagen ein
Tausch: Alt gegen Neu, wenn das Alte noch wiederverwendbar ist. "Doch was ist mit
den Arbeitern und den Herstellern? Wenn man nichts bezahlen muss, woher bekommen
dann alle ihr Geld?". Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie das gehen
sollte. "Wir brauchen kein Geld. In unserer Stadt basiert alles auf Tauschhandel. Wenn
ich morgens Brötchen essen will, gebe ich Frau Bäcker ein paar Äpfel, da ich viele
Apfelbäume im Garten stehen habe. Die Menschen, die Kleidung herstellen, geben ihr
vielleicht neue Strümpfe oder so. Verstehst du? Jeder bekommt das, was er braucht und
gibt dafür das, was er hat. Es gibt keinen Geldmangel und niemand ist reicher als der
andere!"
Das klang einleuchtend, aber etwas zermürbte mir noch den Kopf: "Warum gibt es denn
hier nur Frauen?" Betty nippte an ihrer Tasse und antwortete zögernd: "Nun ja, früher
gab es auch noch Männer hier. Es war eine ganz normale Stadt, bis wir Frauen das
Geld abschaffen wollten. Das fanden die Männer überhaupt nicht gut, da sie sich nicht
mit anderen Männern messen konnten, wenn Geld keinen Wert mehr hatte. Außerdem
wollten wir auch immer mehr Schuh- und Klamottenläden. Die Frauen gewannen langsam
Überhand und so kam es, dass alle Männer praktisch von Tag auf Nacht verschwunden
waren. Zuerst waren wir alle völlig verzweifelt, aber was hatten wir für eine Wahl? Dies
ist unser Zuhause, wir konnten nicht weg und so gewöhnten wir uns bald an ein Leben
ohne Männer. Wie du siehst, hatten wir unsere Ideen umgesetzt und lebten unsere
feminine Seite aus."
Nach dieser Geschichte fühlte ich mich unwohl, da ich nicht wusste, was diese Frauen
über Männer dachten. Als hätte sie meine Gedanken gelesen, sprach Betty weiter:
"Keine Sorge, wir verachten Männer nicht; im Gegenteil, wir haben sogar versucht, sie
zurückzugewinnen. Wir haben viele gefragt, ob sie nicht herkommen wollen, doch
anscheinend hat man ihnen schreckliche Dinge über unsere Stadt erzählt, denn alle
wandten sich ab und ergriffen die Flucht. Sie sind der erste Mann seit Jahren hier. Und
ich sitze hier mit Ihnen und trinke Kaffee... Es ist vollkommen verrückt." Sie schüttelte
den Kopf. Um ehrlich zu sein, kann ich die Männer gut verstehen, aber irgendwie tut
mir Betty leid. "Ich möchte ja nicht aufdringlich sein, aber wie entwickelt sich die Stadt
denn weiter? Also biologisch gesehen?" Ich schaute sie unsicher an, doch sie antwortete
direkt: "Das ist das Problem... und einer der Gründe, warum wir die Männer brauchen.
Nachdem sie verschwunden waren, machten wir alles, was wir wollten. Wir genossen
unsere -eigentlich ungewollte- Freiheit und es war alles aufregend und neu. Jedoch
nach ein paar Monaten sahen wir nicht nur die Vorteile, sondern erkannten auch alle
Nachteile, unter anderem die Sache mit dem Kinderkriegen. Den Rest kennst du bereits:
unsere Bemühungen, die Männer zurück zu erobern, halfen nicht. Seitdem leben wir
abgeschottet von der Außenwelt, die uns nicht akzeptiert. Das stört uns aber nicht
weiter, da wir das geldlose System besser finden und sowieso noch nie Nutzen aus der
kapitalistischen Welt gezogen haben."
Ein langes Schweigen legte sich über Betty und mich, bis ich die Stille brach: "Was
meint denn eure Bürgermeisterin dazu?" Betty lächelte schwach: "Wir haben keine. Bei
uns sind alle gleichberechtigt und wenn jemand etwas anmerken möchte, werden alle zu
einer Versammlung zusammengerufen, in welcher per Mehrheitsprinzip abgestimmt wird."
Ich schaute betrübt aus dem breiten Schaufenster, durch das gerade die letzten
Lichtstrahlen fallen. Der Anblick riss mich augenblicklich in die Wirklichkeit zurück. Obwohl
ich Betty nur ungern sagen wollte, dass ich langsam nach Hause musste, wusste ich,
dass ich nicht bleiben konnte. Anscheinend habe ich einen nicht ganz unauffälligen
Gesichtsausdruck gemacht, weil sie mich fragend anblickte. Ich seufzte: "Betty, ich... ich
danke dir für den schönen Nachmittag. Es tut mir leid, aber ich muss wieder nach
Hause. Kannst du mich vielleicht zu meinem Auto bringen?" Ihr Blick war traurig, doch
sie nickte. Den ganzen Weg bis zum Parkplatz liefen wir schweigend nebeneinander her.
Als wir schließlich am Parkplatz ankamen, sah ich eine Gestalt an meinem Auto. Ich bat
Betty dort zu bleiben und ging mit festen Schritten auf die Person zu. "Steffi?!",
entfuhr es mir. Steffi erschrak und blickte zu mir auf. "Dann ist es also doch dein
Wagen! Was machst du hier?" Auf einmal tauchte Betty neben mir auf. Nun musste
ich meiner Freundin die ganze Geschichte wohl oder übel erzählen. Ich machte mich
schon auf eine heftige Ohrfeige gefasst, daher war ich umso überraschter, dass sie auf
einmal anfing zu lachen. "Schatz, hast du wirklich geglaubt, ich würde dich betrügen?
Es tut mir leid, ich habe mich auch falsch gegenüber dir verhalten, aber ich hatte Angst
vor deiner Reaktion, wenn du erfahren hättest, wo ich immer einkaufe. Die Stadt ist ein
Geheimtipp zwischen uns Frauen." Eine Flut der Erleichterung durchströmte mich und als
Betty sah, dass alles in Ordnung war, verabschiedete sie sich.
Zuhause angekommen erzählte ich Steffi von der Geschichte der Stadt. Sie sah mich
entgeistert an: "Das habe ich gar nicht gewusst. Ich dachte immer, die Frauen leben
glücklich dort ohne Männer. Wir sollten ihnen unbedingt helfen, ohne dass diese
wunderbare Stadt komplett zerstört wird." Mir kam die perfekte Idee: "Wir können ja
ganz klein anfangen." "Wie meinst du das?" Ich grinste: "Ich glaube, es würde schon
reichen, eine richtige Kneipe mit gutem Bier aufzumachen!"

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