Warum eigentlich nicht?

Einsendung zum Wettbewerb 2050 - Stadt meiner Träume von Romy, 14 Jahre

Wir schreiben das Jahr 2050, ich bin vor drei Wochen fünfzig Jahre alt geworden. Eigentlich habe ich mir früher die Zeit, in der ich jetzt lebe, immer bunt, fortgeschritten und fehlerlos vorgestellt, doch das war nur ein Trugbild meiner Fantasie. Die Stadt meiner Träume existiert nur in meinem Kopf.
Es ist mittags und ich besuche ich mit meiner Tochter den Kindergarten, in dem sie Teilzeit arbeitet. Meine Tochter Aurora ist zwanzig Jahre alt, ihr Bruder Aiden ist zweiundzwanzig. Die beiden machen mich so stolz, ich könnte mir kein Leben ohne sie und meinen Mann vorstellen.
Immer wenn ich den Kindergarten betrete, vergesse ich alle Sorgen, die ich vielleicht habe. Die Atmosphäre, die Freude und die leuchtenden Kinderaugen, die mich jedes Mal verzaubern, das alles sollte die ganze Welt kennen. Ich bin froh, dass es auch heute noch Kindergärten gibt, wie früher. Ich denke noch so gerne an meine Kindheit zurück. Sechs kleine, bekannte Gesichter grinsen mich an, doch ein mir unbekanntes weitet nur die dunkelbraunen Augen. Als ich das Mädchen anlächle, heben sich auch ihre Mundwinkel. Sie kommt direkt auf mich zugelaufen und sieht zu mir auf.
„Hallo“, begrüßt sie mich mit ihrem hohen Kinderstimmchen.
„Hey du“,, antworte ich und hocke mich hin. „Wie heißt du denn?“
„Velvet, wie der Samt“, erklärte sie. „Und du?“
„Ich heiße Romy. Also wie 'Omi', bloß mit einem 'R' vorne.“ Sie kichert. Doch verstummt dann direkt wieder.
„Romy? Warum ist die Welt so dunkel?“ Sie fragt mich das gerade heraus. Sie fragt mich das ernst, ihre Augen geweitet, den Kopf fragend schief gelegt. Ich atme tief ein und aus und räuspere mich. Ich habe keine Ahnung, was ich ihr erzählen soll. Doch mir fällt ein Ausweg ein. Vielleicht sollte sich die Stadt meiner Träume endlich einen Weg aus meinem Kopf heraus suchen.
„Weißt du, Velvet“, begann ich, „du hast einen sehr schönen Namen. Manche mögen ihn vielleicht nicht verstehen, denn er ist sehr ungewöhnlich. Die meisten würden ihn nicht einmal als einen Namen erkennen, sondern nur als die englische Übersetzung des Wortes 'Samt'. Das ist alles eine Frage der Perspektive. Du kennst deinen Namen als deinen Namen, nicht als Übersetzung. Und du kennst diese Welt nur als eine dunkle Welt, nicht als etwas anderes. Doch stelle dir einmal vor, du bist seit vielen Monaten gereist, bist durch Wüsten gelaufen, hast gegen Stürme gekämpft und bist über das Meer gerudert, nur um eine neue Heimat zu finden. Du kommst am Ende deiner Reise hier an. Wäre das nicht die Stadt deiner Träume? Ich habe mir die Stadt meiner Träume immer sonnig, fröhlich, voller Leben und Lachen vorgestellt. Ich habe geglaubt, dass in der Stadt meiner Träume jedermann glücklich ist, dass keiner Sorgen und Kummer leidet. Doch auch, wenn ich mit meinem Leben sehr glücklich bin, lebe ich nicht in der Stadt meiner Träume. Ich wünschte, die vielen Menschen hier würden sich mehr akzeptieren, denn Mensch ist Mensch, ganz egal, welche Hautfarbe, welche Sprache oder welche Herkunft. Ich will, dass du weißt, Velvet; Es wird immer Menschen geben, die das nicht akzeptieren, doch du musst über diesen Menschen stehen. Stelle dir einfach vor, du seist die Sonne und gehst über diesen Menschen auf. Hier in unserer Stadt sind die Menschen alle sehr freundlich und liebevoll zu ihren Kindern, denn Kinder versprechen neues Leben. Auch das ist so in der Stadt meiner Träume. Meine Tochter Aurora, die du bestimmt kennst“, ich deute mit dem Kopf auf Aurora, die mir ermutigend zulächelt, „liebt Kinder sogar so sehr, dass sie sich für einen Beruf, der sich um sie dreht, entschieden hat. Ihr Bruder Aiden ist ein Träumer. Er will reisen, will die Welt sehen, deswegen ist er auch selten da. Doch das ist gut. Ich will nur, dass die beiden glücklich sind, dass sie ihr Leben so leben wie sie es wollen. In meiner Traumstadt kann jeder selbst bestimmen. Wie soll denn ein Arzt, der immer arbeiten muss, seine Familie oft sehen? In meiner Traumstadt kann jeder sich genug Zeit für seine Familie nehmen, er kann immer selbst bestimmen, was nun wichtiger ist – Arbeit oder eben die Familie. Und, ganz ehrlich? In meiner Traumstadt gibt es Wochenende mit mindestens drei Tagen. Ein kleines 'Hallo' auf der Straße zu hören, ist zu einem verdammt seltenen Fall geworden. Du siehst den Menschen ihren Stress so sehr an, als würde das Wort auf ihrer Stirn stehen. Ich versuche stets, gute Laune zu verbreiten, denn dadurch, dass ich als Autorin arbeite, bin ich selbstständig. Doch nicht vielen Menschen steht diese Wahl offen. In meiner Traumstadt soll niemand Sorgen oder Kummer leiden, sollen alle gesund sein. Jeder kann mal einen schlechten Tag haben, auch ich. Die Menschen sollten sich achten, statt sich zu verachten, obwohl man sich gar nicht kennt. Keiner sollte Vorurteile hegen. Egal, gegen was. Auch, wenn in unserer Stadt hier die Autos elektrisch fahren, ohne dass man sie lenken muss, sind wir manchmal unkoordiniert. Auch, wenn wir ohne Geld bezahlen, sondern jeder sein Geld auf einer Karte hat, haben wir es manchmal nicht dabei. Auch wenn wir auf einem E-Reader 300 Bücher mit uns herumtragen können, vermisse und besitze ich noch sehr viele Bücher aus Papier, denn sie erinnern mich an meine Jugend. Ich habe das Gefühl, dass die Sonnenaufgänge früher viel heller und strahlender waren. Ich glaube, ich könnte sagen, dass meine Traumstadt Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft beinhaltet. Würde man alles mischen, dann würde ich in der Stadt meiner Träume leben.“ Velvet denkt nach. Sie schlägt die Augen nieder und legt
wieder den Kopf schief, erwidert nichts. Ich muss mich selbst erst einmal sammeln, nach
diesem Monolog. Ich hätte nicht gedacht, dass ich meine Gedanken je in Worte fassen kann. Wenn dann höchstens auf Papier. Sie sieht auf. „Warum mischt du denn das alles nicht?“, fragt sie. Ich hole Luft. Ja, warum?
„Weißt du was, Velvet?“, gebe ich zurück. „Warum eigentlich nicht?“

Zurück

Autorin / Autor: von Romy, 14 Jahre