Fast 200.000 Abonnenten bei YouTube, unzählige Facebook-Freunde und noch mehr Likes bei jedem Post und unter jedem Bild bei Instagram kann man durch Seiten voller Kommentare scrollen: Lara ist eine Internetberühmtheit.
Ihren YouTube-Kanal MauerBlume verfolgen und verehren tausende von jungen Mädchen, die sich für Make-Up, Frisuren und Mode interessieren. Was vor einigen Jahren mit einfachen Frisurentutorials begonnen hat, ist inzwischen zu einer riesigen Selbstvermarktungsshow geworden. Jeden Montag und Donnerstag veröffentlicht Lara neue Videos auf YouTube, dazwischen versorgt sie ihre Fans via Facebook, Instagram und Twitter mit News aus ihrem Leben. Sie lädt Fotos hoch von ihren Kleidern, ihrem Essen und Einkäufen, postet Sätze wie „Nichts geht über eine Runde Joggen früh am Morgen“ und „Neue Gesichtscreme ausgetestet – einfach der Hammer! Video dazu folgt am Donnerstag“ und teilt Beiträge ihrer YouTube-Kollegen und von Anbietern von Make-Up. Und ihre Fans kommentieren begeistert: „Du bist so hübsch, so cool, so selbstbewusst, so sportlich, so schlank; eine Inspiration, ein Vorbild, eine Heldin.“
Eine Netzheldin.
Eine Heldin im Netz, im Internet-Netz aus Werbung, Connections und Oberflächlichkeit.
Eine Heldin des Präsentierens und Vorstellens, des Sich - Verstellens.
Wann sie das letzte Mal einen „Wellnessabend nur für dich allein“ gemacht hat, wie sie es ihren Followern einmal im Monat zum Ausspannen empfiehlt, weiß Lara nicht mehr.
Ihre Figur hält sie nicht durch regelmäßiges Joggen und Schwimmen, wie sie es in all den FAQs erzählt, sondern mit einer strikten Diät.
Und wenn sie ein Video hochlädt mit einem Make-Up-Tutorial für einen Abend im Club, dann fragt sie sich schon gar nicht mehr, wann sie das letzte Mal wirklich aus war. Wann sie das letzte Mal einen Abend lang nur Spaß hatte und sich nicht darum Sorgen machte, ob das nächste Video auch rechtzeitig geschnitten ist und was ihre Facebook-Freunde wohl von dem Foto halten, das sie hochladen will, wenn sie abends wieder heimkommt. Sorgen, die andere Menschen nicht kennen, nicht verstehen und schon gar nicht quälen. Aber Lara schon. Weil Lara immer alles richtig machen will, richtig gut, perfekt. Bloß keine Angriffsfläche für Kritik bieten, die in der anonymen Internetwelt ganz schön heftig ausfallen kann. Und wenn jemand ihre mühsame Arbeit an der perfekten MauerBlume zerstören würde, dann würde Lara einknicken. Einmal niedergetrampelt würde sie nicht mehr hochkommen. Sie hat einfach nichts, an dem sie sich aufrichten kann außer ihrer Internetpräsenz. Denn Freunde hat Lara kaum noch, nur noch flüchtige Bekannte. Ihr fehlt einfach die Zeit für regelmäßige Treffen und Gespräche, und Lust darauf, immer darüber nachdenken zu müssen, ob ihr Gegenüber sie als Person mag oder nur ihre Internetpräsenz, hat sie schon gar nicht. Abgesehen davon sagen alle ihre alten Freunde, dass sie total oberflächlich geworden sei und sich nur noch für Äußerliches interessiere.
Aber das stimmt so nicht.
Es ist einfach nur so, dass man über innere Werte keine Follow-Me-Around-Videos drehen kann. Und vor allem am Anfang war Lara immer auf der Suche nach Ideen für neue Videos. Dann fragte sie eben ihre Freunde, woher sie ihre Klamotten hatten, welcher Lidstrich das denn sei und wie sie ihre Frisur gemacht hatten. Jetzt wird sie das andauernd gefragt von ihren Followern und Abonnenten und wünscht sich nichts sehnlicher, als dass jemand mal nachfragt, wie es ihr denn hinter der Kamera und dem Make-Up geht, wie es in ihrem ungeschminkten Inneren aussieht. Da, wo kein Concealer irgendwelche Makel überdeckt und kein Highlighter den Blick auf das besonders Gute lenkt.
Aber das scheint niemanden zu interessieren in der heilen Welt der Beautyblogger. Von Antriebslosigkeit, Ängsten und Verzweiflung will da niemand etwas hören. Oder von dem Gefühl, nicht glücklich zu sein, obwohl man doch eigentlich ein Leben führt, das nicht besser laufen könnte.
Ein Leben, das sich tausend von jungen Mädchen wünschen.
Ein Leben, das perfekt ist. Eigentlich perfekt. Oberflächlich perfekt.
Ein Leben, in dem negative Gedanken und Gefühle keinen Platz haben.
Ein Leben, in das Laras Wunsch danach, morgens einfach nur im Bett liegen zu bleiben, ohne Handy, ohne Laptop, mit geschlossenen Türen und heruntergelassenen Rollläden, einfach nicht passt.
Denn das würde niemanden inspirieren, das wäre kein Vorbild und überhaupt nicht heldenhaft.