Duo zu Diensten

Einsendung zum Wettbewerb #netzheldin von Simone, 18 Jahre

Ihre Finger rasen in Lichtgeschwindigkeit über die Tastatur. Ihre fein säuberlich orange lackierten Nägel scheinen wie Meteoritenschauer Schweife hinter sich her zu ziehen. Ona ist hypnotisiert, ihre Augen haben Schwierigkeiten den Bewegungen zu folgen, ihr Mund ist staunend leicht geöffnet. Auf ihren Wangen sieht man noch blasse Spuren verlaufener Wimperntusche, aber ihre Tränen sind längst versiegt. Ihre Hände umarmen eine heiße Tasse Schokolade und sie schnieft, als ihre Nase von der Wärme zu laufen beginnt.

„Taschentücher stehen auf dem Tisch“,  antwortet das andere Mädchen am Laptop, ohne vom Bildschirm aufzusehen. Zögerlich bedient Ona sich. Sie hat sich an der Tür als Melina vorgestellt, obwohl sie online nur als „ruby“ bekannt ist. Ona sieht warum: Ihr flammend rotes Haar fällt ihr in unzähmbaren Locken über die Schultern. In genau diesem Moment beendet sie das Stakkato der Tasten durch das energische Drücken von Enter. Ihre Augen sind auf den Desktop fixiert, als sie sich ein buntes Haargummi vom Handgelenk streift und ihre Haare in einem unordentlichen Pferdeschwanz bändigt.

„Wie...“ Onas Stimme klingt unbenutzt und sie muss sich räuspern. „Wie läuft es?“, erkundigt sie sich zaghaft. Rubys Blick schießt zu ihr hinüber. Ihre goldenen Augen sind derart intensiv, dass Ona verlegen den Blick abwendet. Blinzelnd klärt sich Rubys Blick allmählich und sie scheint sich daran zu erinnern, wo sie gerade ist. Schnell bemüht sie sich um ein beruhigendes Lächeln.

„Entschuldige“, säuselt sie, „Ich verliere mich gelegentlich in den Codes. Keine Sorge, solche blöden Kommentare sind schnell gelöscht. Darum habe ich mich längst gekümmert. Tut mir Leid, dass es ein wenig gedauert hat, aber ich habe mich gleich auch noch darum gekümmert, den Fake-Account zu manipulieren.“

Plötzlich pocht Onas Herz ihr bis zum Hals. Hoffnungsvoll hebt sie ihren Blick aus der Tasse auf. „Du meinst“, beginnt sie langsam, „du bist im Moment in seinem Profil eingeloggt?“

Rubys Augen sprühen Funken, als ihre Mundwinkel amüsiert zucken.
„Klar“, meint sie mit einem leichten Schulterzucken. Sie dreht ihren Bürostuhl vollends Ona zu und rutscht ein wenig zu ihr auf, sodass sich ihre Knie beinahe berühren. Sie stützt die Ellenbögen auf ihre löchrigen Jeans und sucht nach Worten.
Ona liegt besorgt den Kopf schief.
„Hör zu...“, setzt Ruby schließlich an, „Ich fühle mich generell dazu verpflichtet, meinen Klienten alle Optionen offen zu legen, aber die Entscheidung liegt alleine bei dir.“
„Okay?“
„Ich weiß, dass dieser Typ einigen Unsinn über dich im Netz verbreitet hat. Ziemlich übles Zeug sogar.“

Neue Tränen schwemmen Onas Augen und ihre Unterlippe zittert.
„Nein!“, ruft Ruby erschrocken und packt ihre Hand. „Bitte... Ich wollte nicht- Was ich damit sagen will, ist, dass ich jetzt die Möglichkeit habe, seinen Account zu löschen. Wir können ihn sogar für immer von dieser Seite sperren, sodass er auch keine neuen Profile mehr eröffnen kann. Hört sich doch gut an, oder?“

Ona nickt schwach. Ruby drückt ihre Hand.
„Auf der anderen Seite“, fährt sie fort und in ihr Gesicht schleicht sich ein düsterer Zug, als sie den Kiefer anspannt. Ona fragt sich, wie ein jugendliches Mädchen so gefährlich aussehen kann. Sie befinden sich in ihrem Schlafzimmer, einem völlig durchschnittlichen Raum: Das Bett mit Sternenbezug ist mehr schlecht als recht gemacht, auf einem Stuhl hängen knittrige Oberteile. Ein gut bestücktes Bücherregal und eine violette Orchidee auf dem Fensterbrett. Eine weiße Schminkkommode und ein Spiegel. Und dennoch strahlt dieses Mädchen eine derart undurchsichtige Atmosphäre aus.
Ruby bemerkt nichts von Onas akribischer Untersuchung. Sie spielt mittlerweile mit ihrem Armreif.

„Auf der anderen Seite“, wiederholt sie, „bin ich auch keine Heilige. Ich persönlich finde, dass ein klein wenig Rache nie schaden kann, vor allem nicht bei solchen Kerlen. Nichts ernstes, natürlich!“ Vorsichtig sucht sie Onas Blick, um ihre Reaktion abzuschätzen.

Ona lächelt ein wenig schüchtern.
„An was hast du denn gedacht?“

Ruby zuckt die Achseln, als sei sie die Unschuld in Person. „Kein Schimmer. Aber ich könnte dir ein wenig Gerechtigkeit verschaffen. Wie wär's, wenn ich in seinem Status ein Geständnis hinterlasse? Wer solche Lügen verbreitet, sollte auch dafür geradestehen. Lass uns deinen Ruf zusammen reinwaschen.“

Diesmal ist ihr Lächeln überwältigend und es ist Ona, die ihre Hand zurück drückt. Die Sonne ist ein ganzes Stück gewandert, als die beiden fertig und endlich mit ihrem Ergebnis zufrieden ist. Ruby begleitet Ona zur Tür und lehnt sich an den Rahmen. Sie löst das Gummi aus ihrem Haar und die Locken springen wie Flammen auf ihre Schultern über.

Drucksend steht Ona in der Tür, ihre Hände kneten die Henkel ihrer Handtasche.
„Das war super“, bricht es schließlich aus ihr heraus.
Ruby verschränkt die Arme vor der Brust. „Kein Ding...“, murmelt sie verlegen.
„Nein, wirklich, danke. Vielen Dank. Wie viel berechnest du denn? Wenn nicht reicht, was ich momentan bei mir habe, ist das kein Problem, ich kann-“

„Red' keinen Stuss“, unterbricht sie Ruby unwirsch. „Ich mach das nicht für Geld. Schreiben sie das nicht über mich im Netz?“ Sie rollt die Augen. „Ich weiß, dass da eine Menge Gerüchte über mich herumgehen.“
Ona lächelt. „Doch, das tun sie.“ Sie hält inne. „Sie nennen dich eine Heldin.“

Ruby schaut erst, als hätte sie nicht richtig gehört. Dann bricht sie in bellendes Gelächter aus.
Ona schmollt. „Weißt du, irgendwo haben sie ja recht.“
„Ja?“, fragt Ruby belustigt nach. „Warum kommst du dann nicht wieder? Und hilfst mir bei meinem nächsten Fall. Ich habe das Gefühl, du kannst besser mit aufgelösten Mädchen umgehen als ich. Wie steht's? Du könntest mein Cyber-Sidekick sein.“ Sie grinst und ihre Augen funkeln. Dann zieht sie die Tür hinter sich zu.

Ona starrt verblüfft das Holz der Tür an.
„Einverstanden!“, ruft sie dagegen. Eine Anwohnerin, die das Treppenhaus hinaufsteigt, wirft ihr nur einen missbilligenden Blick zu.

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