Ich bin viel im Netz unterwegs. Chats, Websites, Foren, egal, manchmal sogar auf illegalen Seiten! Dabei verfolge ich nur ein Ziel: Ich will neue Bekanntschaften machen. Vorzugsweise mit Mädels. Meinen Namen, den behalte ich für mich. Nur manchmal gebe ich diesen preis, oder ich erfinde einen. Ich bin ein geschickter Lügner, selbst wenn ich Gespräche führe. Mein Alter passe ich meinem neuen Kontakt an. Vielleicht bin ich erst dreizehn, oder ich bin wirklich zwanzig, wer weiß das schon? Heute habe ich wieder eine Nummer bekommen. Von wem die ist, weiß ich nicht. Es ist mir auch nicht wichtig. Aber wer sich dahinter verbirgt, ist mir wichtig. Ich bin nämlich unglaublich
neugierig und deshalb will ich nun auch herausfinden, wem diese Nummer gehört. Schnell kopiere ich diese Nummer und füge sie in meine Kontaktliste ein. Jackpot! Diese Nummer besitzt eine meiner unzähligen Chatportale. Und nun eröffne ich den Chat.
Wer bist du?, möchte ich wissen. Ich muss nicht lange auf eine Antwort warten. Bessere Frage, wer bist du?, erwidert mein neuer Kontakt und ich muss grinsen. Nun wird das Profilbild meines Kontakts sichtbar. Ich betrachte es. Auf dem Bild sehe ich ein Mädchen, sie ist jugendlich und eigentlich gar nicht so hässlich. Diesen Chat kann man also weiterführen. Manchmal breche ich den Chat sofort ab, weil mir der andere Kontakt vom Aussehen her nicht gefällt. Das mag gemein klingen, aber behandeln die Mädchen im echten Leben die Jungen nicht auch so? Kopfschüttelnd führe ich den Chat weiter, vielleicht wird das ja interessant. Deine Nummer wurde mir zugeschickt, antworte ich schlicht. Soviel Wahrheit darf mal sein. Von wem?, will sie sofort wissen.
Weiß ich nicht.
Sicher?
Jaa! Nun möchte ich einen Versuch wagen sie besser kennenzulernen und ich stelle mich vor.
Mein Name ist Till und ich komme aus Potsdam. Wie heißt du?
Erstmal erhalte ich länger keine Antwort und ich starre auf den Handydisplay. Als ich dann doch eine Antwort erhalte, bin ich überrascht. Ich habe einen längeren Text von der Unbekannten erhalten. So etwas bin ich in dieser Art von Chats nicht gewohnt.
Ich könnte dir jetzt erzählen, dass ich eine fünfzigjährige Frau bin, oder vielleicht bin ich eine junge Studentin, vielleicht auch nur eine Schülerin. Doch nützt dies am Ende was? Vielleicht stimmt eine dieser Sachen, vielleicht auch nicht! Desweiteren könnte ich dir sagen, dass ich Kaya heiße, oder Martina. Aber was dann? Vielleicht lebe ich in Potsdam oder in Thüringen. Aber wer kann am Ende für die Wahrheit garantieren?
Darauf weiß ich erstmal keine Antwort, ich bin überwältigt. Für gewöhnlich schreibt mir mein neue Kontakt nicht zurück, oder stellt sich ebenfalls vor, doch niemals machte sich jemand solche Gedanken.
Keiner, schreibe ich endlich, nur um irgendetwas zu antworten.
Na also!
Sie scheint sich über mich lustig zu machen. Eigentlich ist das immer umgekehrt. Während ich noch überlege, wie ich den Spieß umdrehen kann, bekomme ich eine neue Nachricht von ihr.
Was versprichst du dir aus solchen Chats?, möchte sie nun wissen.
Und aus irgendeinem Grund sage ich es ihr, ich weiß nicht warum und kann es auch nicht begreifen. Doch plötzlich tippe auch ich einen längeren Text.
Ich bin neugierig und wollte wissen, wer hinter dieser Nummer steckt. Sowas mache ich öfter. Außerdem stehe ich auf diverse Spielchen, falls diese sich ergeben. Wenn du verstehst. Es ist einfach so. Ich möchte immer wissen, wie meine Kontakte aussehen. Manchmal ärger ich die dann, bevorzugt Mädchen. Ich frage nach Bildchen und so.
Etwas zittrig schicke ich die Nachricht ab und warte.
Du brauchst vielleicht dringend eine Freundin!, erwidert die Unbekannte nach einiger Zeit.
Ich bin verblüfft. Ich hätte erwartet, dass sie mich verurteilt, mich blockiert. Aber sie tut es nicht.
Wäre vielleicht einfacher, aber nein!, antworte ich viel zu schnell.
Hmm, schreibt sie. Möchtest du noch immer wissen, wer ich bin?
Ich nicke, als mir einfällt, dass das Mädchen mich nicht sehen kann.
Ja!
Ich heiße Helena, bin fünfzehn und wohne in Thüringen.
Ich kann vor lauter Erstaunen erstmal nicht antworten.
Kann man dir trauen?, will Helena nun wissen.
Dir habe ich nur die Wahrheit gesagt, seit dem ersten Wort. Traust du mir?, antworte ich so
schnell wie irgend möglich.
Ich will dir vertrauen.
Nun muss ich lachen und zittern, ich weiß nicht warum. Vielleicht hat sie die richtigen Fragen gestellt.
Ich werde mich bei allen Mädchen, die ich je über einen Chat geärgert oder belästigt habe entschuldigen, verspreche ich. Einfach so. Was mich daran erstaunt: Es ist die Wahrheit.
Gut, antwortet Helena nun.
Ganz schlicht und es bedeutet mir trotzdem so viel. Mehrere Stunden lang tippe ich auf meinem Handy herum, bitte um Entschuldigungen, such alte Nummern heraus und bei jeder fällt mir wieder ein, was ich schlimmes getan habe. Ich habe die armen Mädchen belogen, um Nacktbilder gebeten und diese auch erpresst. Es ist schrecklich, was ich getan habe.
Hallo Helena, ich bin es wieder. Till!, schreibe ich nach der letzten Entschuldigung. Ich habe mich bei allen entschuldigt.
Fühlst du dich besser?
Ja!
Gut.
Ich weiß nicht, ob ich den Kontakt halten kann und ob sie das überhaupt möchte, aber er wäre mir wichtig. Dieses Mädchen hat mich eines besseren gelehrt.