Das Internet. Ein Ort der Freiheit, der Gleichberechtigung, der unbegrenzten Möglichkeiten. Und ein Ort des Cybermobbing, der Sucht, und Ungerechtigkeit.
Eine andere Welt, in der ich eindeutig viel zu viel Zeit verbringe.
Ich - das ist ein 15 jähriges rothaariges, 1,70 Meter großes Mädchen. Im realen Leben schüchtern, verträumt und intelligent, mit einer großen Liebe zu Einhörnern und dem Schreiben.
Und im Internet? - Das Mädchen mit Einhorn-Profilbild, bekannt unter einem Decknamen, leidenschaftliches Fangirl und Bloggerin, die kein Blatt vor den Mund nimmt. (Zugegeben, mit pinkem Einhorn als Bild ernst genommen zu werden ist manchmal schwierig, aber mir Vorschriften machen lassen - nein danke.) Oh, und ich bin auch das Mädchen, das täglich gerne kotzen würde, wenn es über die üblen Seiten des Internets stolpert. Ein Beispiel das mich extrem aufregt: Kinder im Internet. Neunjährige auf sozialen Plattformen, deren Rechtschreibung miserabel ist, die sorglos ihre privaten Informationen ausplaudern, und sich nicht bewusst sind, in welcher Gefahr sie schweben. Oder die 12 jährigen notgeilen Jungs, denen langweilig ist, die dann wahllos mit Beleidigungen und Drohungen um sich werfen, gerne auch an die schutzlosen Neunjährigen gerichtet. Oder Nazis, Homophobe und sonstiger Abschaum, der sich im Internet leider frei bewegen darf. Es gibt ernsthaft einen Youtube-Kanal, der Adolf Hitler heißt. Wieso?! Genug davon. Ich möchte nun meine Geschichte erzählen.
Alles begann an dem Tag, als ich den „upload“-Button drückte. OK, eigentlich begann es schon viel früher, aber es würde jetzt viel zu lange dauern, das zu beschreiben. Ich hatte mich seit längerem mit dem Filmen und Schneiden von Videos beschäftigt, und wollte meinen Traum ein Youtuber zu sein, endlich verwirklichen. Der Dreh dauerte mehrere Tage, der Schnitt ebenfalls. Und das, obwohl ich Hilfe von meiner kleinen Schwester bekam, und das Video nur 5 Minuten lang war. Es war eine Heidenarbeit. Ein Video in dem ich Youtube als Person darstellte, und wie ich es kennenlernte. Es wurden einige Youtube-kritische Szenen eingebunden.
Zurück zu dem Tag an dem ich den Upload-Button drückte. Erstmal passierte gar nichts. Ich war unglaublich nervös, denn der Gefahren war ich mir bewusst. Das erste Kommentar stammte dann übrigens von meiner Schwester, die dafür in ihr Zimmer nebenan gerannt war. Es folgten meine Freunde und Familie. Ich fühlte mich wie in eine Decke aus Liebe gehüllt. Umso empörter war ich, als der erste negative Kommentar eintrudelte. Und mit negativ meine ich nicht „Das Video ist scheiße“ sondern: „was ist dass den? Was für n scheis geh dich erhengen du Hexe!“ Ein unglaublicher Schwachsinn, der mich doch tief verletzte. Ich löschte den Kommentar sofort und meldete den Typ, doch die Narben blieben. Als meine Abonnentenzahlen stiegen, musste ich beobachten, wie immer mehr dieser Leute kamen. Unter einem sehr kritischen Video, es ging darum, was mich an Youtube stört, war es besonders schlimm. Ich las die ersten 20 Kommentare. Dann klappte ich den PC zu, schmiss ihn in eine Ecke, wobei er kaputt ging, und weinte, bis keine Tränen mehr da waren. Ich wurde unter anderem als Lügnerin, Schlampe, Hexe, Nutte oder Hurentochter beleidigt. Gott, ich verabscheute diese Leute. Das Internet, die ganze Menschheit war gefühlt gegen mich. So endete meine Youtube-Karriere mit 35.000 Abonnenten. Doch das machte mich auch nicht glücklicher. Nun fühlte ich mich leer, ich hatte aufgegeben, wegen ein paar hundert Vollidioten, die nun erreicht hatten, was sie wollten. Ein paar Tage später traute ich mich wieder auf Twitter, und eine Nachricht schockierte mich zutiefst. Und das war nicht mal eine Hass-Nachricht. Es war ein Mädchen, das mir schrieb: „Bitte verletze dich nicht wegen diesen Mobbern. Meine Freundin ist deshalb gestorben, sie konnte das Cybermobbing nicht aushalten“ - da musste ich hart schlucken, und filmte sofort ein neues Video. Nein. NEIN. So was würde mir nie passieren, und es sollte niemand mehr passieren. Das Video war ein Statement, und ging über 20 Minuten lang. Ich glaube, ich war noch nie so ehrlich, ich schüttete all meine Gedanken und Gefühle ins Internet. Und als ich die Kamera schließlich ausschaltete, war ich unglaublich erleichtert. Meine Schwester erkundigte sich tausendmal, ob ich das wirklich hochladen wollte, doch ich nickte nur entschlossen. Zu diesem Video gab es, wie durch ein Wunder, nur eine Hand voll Hater-Kommentare, und unglaublich viele Aufrufe. Ich saß mit offenem Mund vor dem PC und las jede einzelne Nachricht, während ich die Aufruf- und Abo-Zahlen wachsen sah. Und da weinte ich wieder, aber diesmal, weil es noch Hoffnung zu geben schien, denn es gab Leute, die sich tatsächlich interessierten, die verstanden. Darunter auch viele Youtuber. Innerhalb eines Tages ging mein Video viral. Das Lustige war, dass mein allererster Hater auch vertreten war, aber von meinen Zuschauern für sein Kommentar mit über 100 Antworten nett gesagt zur Schnecke gemacht wurde, was gut tat, sehr gut. Ich habe innerhalb eines Jahres viel gelernt. Dass Kameras keinen Gesprächsparter ersetzen können, dafür aber zig Tausende erreichen können; dass Englisch eine tolle Sprache ist, dass ich stark bin, und dass ich nie aufhören werde.
Übrigens, die Leute in meiner Klasse, die mich früher gemobbt hatten oder nichts von mir wissen wollten, fragten plötzlich, ob sie mal was mit mir filmen können, oder sogar ein Autogramm bekommen können. Aber ganz ehrlich, die können mich mal.