Schon wieder erhielt ich einen neuen Kommentar. Worte, die mein Herz vereisten, während es nichts gab, was ich hätte tun können. Meine beste Freundin, die mich beleidigt hatte und sich sicher war, dass ich ihr den Freund ausspannen wollte. Ich fühlte mich, wie ein Angeklagter in einem Prozess, dem keiner Glauben schenkte.
Alles ging vor zwei Wochen los. Nachdem ich mit meinem Freund Schluss gemacht hatte, hatte er mein Tagebuch geklaut. Dabei hat er Textausschnitte meinen Freunden gezeigt, um sie gegen mich aufzuhetzen. Natürlich habe ich schlimme Sachen in mein Tagebuch geschrieben, aber wir alle denken doch mal etwas Schlechtes über wen anders. Ja, ich war mal vor zwei Jahren in den Freund von Lisa verliebt, allerdings habe ich meine Gefühle verdrängt. Mein Ex-Freund, Jonas, zeigt aber immer nur die schlimmen Ausschnitte aus meinem Tagebuch.
Zur Schule gehen konnte ich nicht mehr: all die Blicke, all die Wörter, all die Gesichter. Aber weinen, das wollte ich nicht. Denn dann hätten die anderen gewonnen. Manchmal fragte ich mich, ob ich lieber angeklagt auf meinem Account bin, als in einer Beziehung, die sich anfühlt wie im Knast. Ständig hat mich Jonas kontrolliert, mit anderen Jungs sollte ich auch nicht befreundet sein.
Plötzlich stürmte meine Mutter hoch und schrie mich an, weil ich geschwänzt hatte. Deshalb wollte sie auch wissen was los ist und stellte mir lauter Fragen. Anstatt es ihr zu erzählen, fing ich einfach an zu weinen. Ich erlitt einen Nervenzusammenbruch und konnte mich erstmal nicht beruhigen. Ich hatte verloren. Haben die anderen jetzt erst gewonnen oder hatten sie vorher schon gewonnen? Gegen meinen Willen rief meine Mutter Lisa an. Und da wusste sie was los ist, sie wusste alles. Was dann passiert ist, kann ich nicht genau sagen. Ich weiß nur, dass meine Mutter von mir erwartete, meinen Account zu löschen und dass sie zu Lisa fuhr. Natürlich wollte ich meinen Account nicht löschen, denn dann könnten die Anderen einen Fake-Account aufmachen, um zu kommentieren. „Besser man kennt den Teufel, als man kennt ihn nicht“, fuhr es mir durch den Kopf.
Am nächsten Tag hatte ich eine Diskussion mit meiner Mutter, da sie wollte, dass ich zur Schule gehe. Nachdem ich mich endlich durchgesetzt hatte, warf ich einen Blick auf meinen Account. Meine beste Freundin hatte ein Statement abgegeben: „Ich denke, dass ich von allen Personen, die Person bin, die am meisten verletzt wurden ist. Ein Tagebuch beinhaltet unsere schlimmsten Gedanken, denn eigentlich ist es nur für uns bestimmt. Ich denke, dass man oft Sachen denkt oder schreibt, die man gar nicht so meint. Drum sollten auch wir darüber nachdenken, was wir schreiben.“
Darunter waren ganz viele Kommentare zu finden. Lisa hatte tatsächlich tausende Mobbing-Opfer zusammen getrommelt, um zu kommentieren. Zusammen waren wir auf einmal so stark, so dass die Anderen ganz schwach wurden. Zum ersten Mal seit langem fühlte ich wieder was: Freude. Doch dann kam ein Video online, welches meinen Freund zeigte, der an einem Stuhl gefesselt war. Über ihn wurde eiskaltes Wasser gekippt, während er laut aufschrie. Die Täter waren dabei in schwarz gekleidet, man konnte ihr Gesicht nicht erkennen.
Ich ging alle Möglichkeiten durch, wo dies gedreht werden konnte. Und auf einmal wusste ich es: Es war in einem Schuppen im Wald, einem Treffpunkt für Jugendliche. Ich rannte so schnell wie ich konnte los, wurde schneller, immer schneller und schließlich kam ich an. Vor dem Schuppen hing ein Schild „Geschlossene Gesellschaft“. „Pff, ist klar“, fuhr es mir durch den Kopf und dann trat ich ein. Tatsächlich saß dort mein Freund gefesselt auf einem Stuhl und die beiden Täter guckten mich an. „So und nun kommt das kochend heiße Wasser“, sagte die linke Person. „Halt, stopp“, rief ich erschrocken und klappte die aufgestellte Kamera zu.
„Ach komm schon, als ob du dir das nicht auch wünschen würdest“, sagte die rechte Täterin.
„Nein, nein, auf keinen Fall. Er, er ist es ganz einfach nicht wert. Vor allem ist er es nicht wert, sich strafbar zu machen“.
„Schön, du musst es ja nicht gut finden. Aber mach wenigstens wieder die Kamera an!“
„Kommt gar nicht in Frage!“
„Wie bitte? Wir haben dich die ganze Zeit auf deinem Account verteidigt, nur um dir zu helfen.“
„Moment mal“, auf einmal viel es mir wie Schuppen von den Augen, „ihr seid auch Mobbing Opfer“.
„Du Blitzmerker und auch wenn du die Kamera nicht einschalten willst, werden wir trotzdem die heiße Suppe über ihn kippen. 1,2…“
„Stopp! Wenn ihr das macht rufe ich die Polizei!“, drohte ich.
„Schön, mach doch. Unser Leben ist doch ohnehin im Eimer.“
„Das kann ja sein, aber es wird nicht besser werden, wenn ihr sein Leben versaut. So könnt ihr immerhin noch mit dem Gefühl aufstehen, dass ihr besser seid als er.“
Langsam, ganz langsam stellten die beiden ihren Eimer hin. Daraufhin befreite ich Jonas. Allerdings ließ ich ihn so leicht nicht gehen: „Glaub mir, wenn du nochmal jemanden unter Druck setzt, jemanden mobben wirst, oder ein Wort über diese Aktion verlieren wirst, dann wirst du das hier wirklich erleben.“ Angsterfüllt blickte er mich an und nickte. Daraufhin rannte er, so schnell wie er konnte.
Ab sofort spielten die anderen Mobbing-Opfer mit mir zusammen die Internet-Polizei. Letztens haben wir einem Mädchen geholfen, die gemobbt wurde, weil sie eine Brille trägt. So haben wir alle Bilder hochgeladen auf dem wir eine Brille angezogen haben. Darunter haben wir dann kommentiert „Brille ja, aber Schlange nein“.
Manchmal denke ich tatsächlich noch an Jonas. Aber dann tut er mir einfach nur leid, so richtig leid. Denn er muss schon sehr unzufrieden mit seinem Leben sein, wenn er meint andere runter machen zu müssen, nur um sich dann besser fühlen zu können. Er scheint auch gar nicht zu wissen was Liebe ist, denn hätte er mich wirklich geliebt, dann hätte er nie das Mobbing gestartet. Hätte er mich wirklich geliebt, so hätte er mir trotzdem geholfen, so wie ich ihm geholfen habe.