Wachs
Einsendung zum Wettbewerb "Schreiben mit allen Sinnen" von Emilia, 15 Jahre
Vorsichtig schloss er die schwere Tür hinter sich, nur zögernd konnte er seine Finger vom Türgriff lösen und sich in die Mitte des Raumes wagen. Mit leisen Schritten, die Hände verkrampft in den Taschen seines weißen Leinenkittels, näherte er sich dem Bett. Eine gespenstische Stille umhüllte ihn, nur gestört durch das regelmäßige Piepsen der Maschine. Verstohlen wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Die ihm durch seine Situation auferlegte Schwere drückte ihn nieder, er holte sich einen Stuhl herbei, ließ sich auf das harte Plastik fallen. Auf den Nachttisch war eine Kerze gestellt, daneben eine handvoll blauer Pillen, auf die das Wachs stetig tropfte. Sie würden ohnehin nicht mehr gebraucht. Er betrachtete die kleine Patientin. Im Halbdunkel wirkten ihre weichen Konturen und die geschlossenen Augen engelsgleich.
Ein Zittern durchfuhr ihn, als er den Knopf drückte. Die Kerze blies er aus und verließ mit weichen Knien den Raum. Er verbat es sich, die Sterbende zu betrachten, rückte stattdessen nervös sein Namensschild zurecht. Die Regung an Emotion, die er verspürt hatte, galt es nun zurück in die Gleichgültigkeit zu steuern. Denn sie hielt ihn am Leben.
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Autorin / Autor: Emilia