Flehendes Leid

Einsendung zum Wettbewerb "Schreiben mit allen Sinnen" von Safiya, 15 Jahre

Hilf mir!“, hörte er ihre verzweifelten Schreie.
Er ist, in der Tat, in der Lage ihr zu helfen. Nur mit wenigen Worten kann er ihr Leben retten. Einfach nur den Mund öffnen und reden. Dennoch bleibt er stehen, mit dem Rücken zu ihr gerichtet. Sie schaut ihn an, das spürt er. Ihr Blick brennt sich in seinen Rücken. Er spürt sie.
„Gott, bitte hilf mir doch!″, kreischt sie.
Ihr Schrei geht ihm durch Mark und Bein.
Ihre Stimme überschlägt sich während sie immer weiter gegen die Tür schlägt.
Ihre Hände, welche blutig sind, wollen nicht aufhören zu kämpfen.
Und ihre Augen, ihre Augen starren ihn noch immer ununterbrochen an.

Er kneift fest die Lider zusammen. Er darf nicht! Sie hatte es verdient.
Als würde sie seine Gedanken hören fängt sie plötzlich an atemlos zu lachen. Ein Geräusch, wie bei einer Erstickung, entflieht ihrer Kehle. Zittrig umklammert sie die kurzen Metallstäbe, die an der kleinen Öffnung der Tür festgemacht wurden. Wie bei einem Fenster kann sie herausschauen. Sie sieht ihn. Immer noch. Mit dem Rücken zu ihr gedreht ballt er seine Hände zu Fäusten.
„Bitte! Bitte lass das nicht zu!″ Tonlos formen ihre spröden Lippen diese Worte.

Ihre Kraft ist aufgebraucht. Das wissen sie Beide.

Noch ein letztes Mal schlägt sie gegen das harte Eisen der Tür. Dann geben ihre Beine nach und sie rutscht zittrig auf den Boden. Tränen fließen ihr unaufhaltsam den warmen Wangen herunter. Ihre kläglichen Versuche Luft zu holen prallen an den kahlen vier Wänden um sie herum ab. Die Kälte des Bodens scheint sich langsam auf sie zu übertragen.
Sie frisst sich einen Weg in sie hinein. Direkt zu ihrem Herzen.

Dann bricht es aus ihr heraus.
Ein Schrei, wie noch nie zuvor gehört.
Verzweifelt, angsterfüllt, voller flehendem Leid.

Kreischend und mit Adrenalin voll gepumpt schreit sie noch ein letztes Mal seinen Namen. Sie weiß selbst nicht was sie tatsächlich damit bewirken möchte. Doch diese Sekunden sollten sie ihr nicht auch noch stehlen.
Wie gelähmt kann er sich nicht mehr bewegen. Gelähmt von ihrem Schmerz.
„Es tut mir leid″, flüstert er rau. Doch sein Geflüster geht in ihrem Gekreische unter.
Dann setzt er einen Fuß nach den Anderen vorwärts. Seine Arme sind bis zum letzten Muskel angespannt, man könnte befürchten das diese unter der extremen Spannung brechen könnten. Lange Sehnen zeichnen sich auf seiner Haut ab.

Seinen Finger legt er auf den roten, nicht übersehbaren großen Knopf. Neben ihm hängt eine blaue Tafel mit stillstehenden Zahlen. 10. Er will den Knopf drücken, doch es scheint als würde sich ein unsichtbares Seil um seine Hand schlängeln. Mit Gewalt muss er dagegen ankämpfen. Als er mit einem ersticktem Keuchen schließlich drauf drückt, bemerkt er, dass sich eine erdrückende Stille in der Halle ausgebreitet hat. Dann zählen die Sekunden runter.

10; 9; 8

Bei jedem aufschlagen einer neuen Zahl, ertönt ein schrilles Geräusch, welches einer kleinen Hupe gleicht. Das langgezogene Piepen wird letztendlich zur einzigen Wahrnehmung der Beiden.

Laut und doch leise. Schrill und doch besänftigend. Heilend und doch so tödlich.

Im Moment ist dies die einzige Frequenz, welche die zwei unvermeidlich verbindet.
Schwerwiegend legt sich ein beklemmendes Gefühl auf seinen Geist. Nur mit viel Konzentration kann er seine wenigen Gedanken ordnen. Mit einem letzten Blick auf die Stahltür verlässt er das Gebäude.

Sie sitzt zusammengekauert auf dem Boden. Die Hände, an die Ohren gepresst, versucht sie sich zu entspannen.
Er hatte sich entschieden.
Mit leeren Augen schaut sie an die Decke. Ein ironisches Lächeln ziert ihre Lippen.
„Du wirst dich an mir verbrennen″, hört sie das letzte Mal seine Stimme in Gedanken.

Und dann brennt es.
Mit einem lauten Knall spürt sie nur noch eine unerträgliche Hitze, die sich auf ihren Geist legt.

Splitter drängen sich in ihre Haut. Ihre Augen brennen. Der Kopf dröhnt.

Sie spürt wie sie gegen etwas Hartes geschleudert wird.
Dann ist da nichts mehr.

Kein einziges Gefühl. Kein Schmerz, kein Leiden, keine Trauer und keine Liebe.

Er hatte Recht.
Sie hatte sich, letzten Endes, an ihm verbrannt.

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