Die Präsidentin
Autor: François Durpaire. Mit Illustrationen von Farid Boudjellal
Aus dem Französischen von Edmund Jacoby
François Durpaire wurde 1971 in Frankreich geboren. Er studierte Geschichte an der Université Panthéon-Sorbonne und schrieb schließlich seine Doktorarbeit in internationale Beziehungen zur Rolle der Vereinigten Staaten bei der Dekolonialisierung des französischsprachigen Nordafrika. Er schrieb unter anderem die erste nicht-englischsprachige Biographie über Barack Obama. Nach zahlreichen weiteren Publikationen zu Themen aus Geschichte und Bildung erschien 2016 sein erstes Comicbuch, das in Zusammenarbeit mit dem Comicbuchautor Farid Boudjellal entstanden ist.
Das Buch beginnt mit den nächsten Präsidentschaftswahlen in Frankreich 2017, entwirft also eine mögliche Zukunft Europas. In dieser Zukunft, gewinnt der Front National immer weiter an Macht und seine Chefin Marine Le Pen wird Präsidentin der Französischen Republik. Das Land steht unter Schock, rechtes Gedankengut drängt immer weiter in die Mitte der Gesellschaft, Rassismus wird salonfähig.
Damit greift Durpaire ein hochaktuelles und stets präsentes Thema auf, das in ganz Europa, in jedem einzelnen Land, täglich brisanter wird. Er wählt jedoch nicht den üblichen, verschulten Weg, der komplexe Hintergründe noch komplizierter darstellt als sie sind oder durch eine unverständliche Fachsprache und eine allumfassende Hilflosigkeit abschreckt. Stattdessen wählt er mit dem Medium des Comicbuchs ein ungewöhnliches Mittel, dem ich zunächst skeptisch gegenüberstand. Kann Politik wirklich in Sprechblasen erklärt werden? Kann man Themen, denen man in Zeichnungen begegnet, ernst nehmen? Ist Politik überhaupt ein Themenkomplex, der ein Comicbuch füllen kann?
Doch die Antwort auf all diese Fragen ist ja! Denn hier ist kein Sachbuch entstanden, sondern ein dystopischer Roman, der uns alle eine Zukunft vor Augen hält, die genauso in den nächsten Monaten eintreten könnte. Deren Eintreten sogar gar nicht so unwahrscheinlich ist, wie wir es uns wahrscheinlich erhoffen. Das Thema wird auf angemessene und zugängliche Weise präsentiert. Alle handelnden Personen sind real, es sind wichtige Politiker der französischen Republik. Doch dieses Wissen wird nicht vorausgesetzt, stattdessen gibt es zahlreiche Fußnoten, die dem Leser nötige Hintergrundinformationen zu einzelnen Personen, der Historie oder dem politischen System Frankreichs liefern. Alle Zeichnungen sind in schwarz-weiß gehalten, was mir persönlich sehr gut gefallen hat. Auch der Stil der Zeichnungen spricht mich an, passend zum Thema ist er schlicht, aber detailgetreu. Alle realen Personen sind so gezeichnet, dass sie leicht wiederzuerkennen sind. Die Grenze zwischen Fiktion und Realität scheint beinah zu verschwimmen. Durch die Form des Comicbuchs ist der Raum für Fließtext natürlich beschränkt. Das führt jedoch nicht zu einem Mangel an Erklärungen oder Hintergrundinformationen, sondern vielmehr zu pointierten Aussagen und viel Raum für eigene Gedanken und Vorstellungen.
Alles in allem hat mir „Die Präsidentin“ sehr gut gefallen. Das Buch bietet eine Mischung aus französischer Politik und einer Zukunftsvision mit Gruselfaktor. Damit kann es unterhalten, aber durchaus auch das Bewusstsein für rechte Tendenzen in der Gesellschaft, und hoffentlich auch deren Ablehnung, verstärken.
*Erschienen bei Jacoby & Stuart*
Deine Meinung zu diesem Buch?
Autorin / Autor: lacrima - Stand: 12. September 2016