Schärfe Deinen Blick
Tausende Urlaubs- und Erinnerungsfotos stapeln sich in den “Privatarchiven” der Bevölkerung - aber was macht wirklich gute, außergewöhnliche Fotografie aus? Autor: Roswell Angier
Mit dieser Frage beschäftigt sich das Buch “Schärfe deinen Blick”, das als “Lehrbuch oder als praktisches Nachschlagewerk für Portraitfotografie” angekündigt wird. Tatsächlich schafft es der Autor die Themen Laien verständlich zu vermitteln, ohne dabei Erfahrene mit Oberflächlichkeiten zu verschrecken. Gelungen ist vor allem die Mischung der Bilder: Jeder, der sich auch nur ein klein wenig für Fotografie interessiert, wird bekannte Aufnahmen entdecken, beispielsweise die der schreienden Kinder, die 1972 vor dem Napalmangriff in Vietnam flüchteten, oder “Hinter dem Gare St. Lazare” von Henri Cartier-Besson, das die Shilouette eines über eine Pfütze springenden Mannes zeigt. Zu entdecken gibt es aber auch sehr ungewöhnliche und unbekanntere Bilder. Meine Favoriten sind unter anderem die Aufnahmen von Rineke Dijkestra: Ihre Bilder zeigen zwei etwa gleichaltrige Mädchen am Strand, das eine in Kolobrez, Polen, das andere in Hilton Head Island, USA. Beide wirken authentisch, da es sich um Zufallsmodelle handelt. Obwohl sie die gleiche Pose vor demselben Hintergrund (Strand und Meer) einnehmen, sind die kulturellen Unterschiede der Mädchen deutlich zu erkennen. Zwölf Kapitel widmen sich den unterschiedlichsten und ausgefallensten Themen von Voyeurismus, über Portraitfotografie ohne Gesicht, bis hin zu Momentaufnahmen. Der Titel des Buches “Schärfe deinen Blick” ist aber nicht ohne Grund als Aufforderung formuliert. Jedes Kapitel schließt mit einer hilfreichen Übungsanleitung ab, so dass der Leser die gezeigten Fotos nachstellen oder sich selbst zu etwas Originellem anregen lassen kann.
Jede der abgebildeten Fotografien werden in einem Begleittext erläutert und die Bedeutung herausgestellt. Auch die Fotografen kommen in Zitaten selbst zu Wort. Diese Kommentare sind sehr interessant, da sie Hintergrundwissen vermitteln und so einen völlig anderen Blickwinkel auf die Werke ermöglichen. Allerdings bieten sie auch Anlass zu negativer Kritik: In manchen Fällen steigen die Anmerkungen zunächst sehr tief in das Thema ein, um dann ganz plötzlich zu stoppen und sich der nächsten Fotografie zu widmen. Natürlich erhebt das Buch nicht den Anspruch über alle Facetten eines bestimmten Künstlers oder einer Fotografie berichten zu wollen, vielmehr soll es einen Überblick über die Möglichkeiten der Portraitfotografie bieten. Nur der berühmte rote Faden ist manchmal schwer ausfindig zu machen.
Das Buch ist nicht als blutiger Einstieg gedacht, der Leser sollte rudimentäre Kenntnisse über die Fotografie besitzen. So ist beispielsweise Voraussetzung, dass der Fotograf zwischen Kleinbild-, Mittel- und Großformatkamera unterscheiden und wählen kann. Im Anhang werden zwar viele Details zu Blitzlicht, Einstellungen etc erläutert, aber sicherlich ist es hilfreich ein reines Lernbuch zusätzlich zu benutzen, um die Fotografie kennen zulernen.
Ganz gleich ob man einfach stöbern oder etwas lernen möchte: Dieses Buch ist eine Fundgrube von Bildern, die man einfach gesehen haben muss.
*Erschienen bei: Addison-Wesley*
Weiter >>>
Autorin / Autor: beatrice123 - Stand: 24. Oktober 2008